PS134: Expeditionsbrief Nr. 4 – Der Untergrund der Westantarktis

Beprobung von Gesteinsformationen (Anne Hübner)

Das knapp zwei Wochen lang anhaltende gute Wetter nahm in unserem Arbeitsgebiet des Bellingshausenmeeres leider vor einigen Tagen ein jähes Ende, aber trotzdem können wir die seismischen Profilfahrten weiterhin durchführen. In dieser Ausgabe des Expeditionsbriefs werden wir die Arbeiten des seismischen Teams, aber auch die der Landgeologinnen näher beleuchten. Beide Gruppen untersuchen den tieferen geologischen und tektonischen Untergrund, der für die Entwicklung und die Dynamik des westantarktischen Eisschildes von großer Bedeutung ist.

Erst kürzlich wurde über die wissenschaftlichen und öffentlichen Medien vom Rekord-Minimum der antarktischen Meereisausbreitung in diesem Südsommer berichtet. Das Meereis, das im letzten Südwinter gebildet wurde, ist zum großen Teil verschwunden, hier im Bellingshausenmeer sogar vollständig. Dieser Vorgang ist seit den ersten Datenaufzeichnungen über Satelliten zum ersten Mal in diesem Ausmaß beobachtet worden und geht einher mit den seit Jahrzehnten gemachten Beobachtungen eines beschleunigten Rückzugs des westantarktischen Eisschildes auf dem Kontinent. Aber wie sind diese Prozesse in der geologischen Vergangenheit gewesen, als das Klima sich aufgrund der natürlichen Veränderungen der Erdbahnparameter ohne menschliche Einflüsse änderte? Wie verhielt sich der frühere Eisschild, wann breitete er sich aus und wann zog er sich zurück? Wir wissen heute, dass die Wechselwirkungen von Ozean, Atmosphäre und Eis dabei eine große Rolle dabei spielen. Und diese Prozesse in der Vergangenheit wollen wir verstehen und rekonstruieren, um die natürlichen von den heutigen anthropogenen Faktoren für Klimaänderungen zu unterscheiden und um bessere Hinweise über den zukünftigen Meeresspiegelanstieg zu erhalten.

Das 3000 Meter lange seismische Hydrophonkabel („Streamer“) wird von der Winde ins Wasser gelassen. Dabei montiert das Team in bestimmten Abständen Geräte zur Tiefensteuerung des Kabels, wegen der Flügel auch „Birds“ genannt (Foto: Karsten Gohl).

Eine Herangehensweise, die vergangenen Wechselwirkungen z.B. zwischen den Ozeanströmungen und der Eisschilddynamik zu rekonstruieren, ist die Erkundung des tieferen sedimentären Untergrundes auf dem Kontinentalschelf. Die Sedimentabfolgen auf dem Schelf geben Hinweise, wie früher die Tiefenwasserströmungen verlaufen sind und wie sich die Eisschilde über viele Millionen Jahre in der Vergangenheit ausgebreitet und zurückgezogen haben. Diese sedimentären Strukturen lassen sich mit Hilfe von seismischen Aufnahmen des Untergrundes abbilden. Dafür werden entlang der zu vermessenden Strecke Signale mit einer seismischen Quelle hinter dem fahrenden Schiff in Form von niederfrequenten regelmäßigen akustischen Pulsen erzeugt. Die durch diese Pulse erzeugten seismischen Wellen laufen durch das Wasser und dringen tief in den Untergrund ein. Dort werden sie an geologischen Schichtgrenzen reflektiert und mit einem 3000 Meter langen geschleppten Hydrophonkabel (Abb. 1) aufgezeichnet. Im Seismiklabor (Abb. 2) überwacht das Team im Schichtbetrieb ständig die Funktion der seismischen Quelle und die Qualität der aufgezeichneten Daten (Abb. 3).

Im Seismiklabor werden die angezeigten Kontroll- und Messdaten eines seismischen Profils von Ingra, Pascal, Gabi und Thorsten aufmerksam auf den Bildschirmen verfolgt (Foto: Karsten Gohl).

Unterstützt werden die seismischen Vermessungsarbeiten vom Team der Walbeobachter, die die Umgebung des Schiffes visuell und mit Hilfe einer Infrarotkamera nach Meeressäugern absuchen. Wenn ein Wal innerhalb einer Sicherheitszone entdeckt wird, schaltet die Seismikwache die seismische Quelle sofort vorübergehend ab, so dass man keine Gefahr läuft, die akustisch sensiblen Tiere zu stören.

Dieser Ausschnitt eines noch weitgehend unbearbeiteten seismischen Messprofils vom Kontinentalschelf des Bellingshausenmeeres zeigt bereits in diesem frühen Bearbeitungsstand eine schöne Abfolge von Sedimentschichten. Die Struktur dieser Schichten liefert Hinweise darauf, wie und wo die früheren Eisschilde die Sedimente vor sich hergeschoben und abgelagert haben. Nach einer aufwendigen Bearbeitung im Institut, bei der u.a. die starken Meeresbodenmultiplen entfernt werden, kann man die Sedimentschichten auch mehrere Kilometer tief in den Untergrund hinein verfolgen.

Auch das landgeologische Team hat zum Ziel, den geologischen und tektonischen Untergrund der Westantarktis zu entschlüsseln, denn der steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des Eisschildes. In der Antarktis wird der größte Eismassenverlust im Bereich des Amundsen- und Bellingshausenmeeres verzeichnet, wo tiefe Tröge den Kontinentalschelf bis in das Landesinnere durchziehen. Entlang dieser Senken befinden sich schnelle Eisströme, welche große Mengen von Inlandeis auf den Schelf exportieren. Hier können bodennahe Warmwasservorstöße bis weit unter das Gletscherschelfeis vordringen und zu einer rasanten Destabilisierung des westantarktischen Eisschildes führen. Man vermutet, dass diese Vertiefungen Arme des westantarktischen Grabensystems darstellen, einer großen tektonischen Senke, die die ganze Westantarktis durchzieht. Allerdings ist kaum etwas bekannt über seine Entwicklung und seinen Einfluss auf die Eisschildentwicklung und -dynamik. Die geologischen Arbeiten sollen diese Lücke füllen und Einblicke in die örtliche Landschaftsentwicklung geben. Dabei wird auch untersucht, wie tektonische Prozesse die Eisschildvorstöße und -rückzüge in der Vergangenheit kontrolliert haben.

Die Geologin Daniela ist mit dem Helikopter zu einem der wenigen vom Eis nicht bedeckten Aufschlüsse im küstennahen Bereich geflogen. Sie und ihre Kollegin Anne beschreiben und beproben diese und weitere Gesteinsformationen (Foto: Anne Hübner).

Thermochronometrische Datierungen an Schwermineralen wie Apatit und Zirkon ermöglichen die zeitliche Einordnung von Phasen tektonischer Aktivität. Erfasst wird dabei die Abkühlung der Erdkruste in Folge von Hebung und Erosion. Sobald ein kritischer Temperaturbereich unterschritten wird, sammeln sich Spuren radioaktiver Zerfalls- und Spaltungsprodukte in den Kristallen an, die mit Hilfe hochauflösender Laboranalytik ausgewertet werden können. Zwischen den verschiedenen Gesteinstypen variiert die mineralogische Zusammensetzung jedoch sehr, und es ist oftmals eine Herausforderung, geeignete Aufschlüsse im Feld zu finden (Abb. 4). Insbesondere im Landsektor des Bellingshausenmeeres, welcher durch sehr flache Topographie und starke Eisbedeckung geprägt ist, sind frei zugängliche Gesteinskörper eine Seltenheit. Geologischen Feldeinsätzen an Land geht daher eine sorgfältige Erkundung und Vorauswahl möglicher Probenpunkte mittels hochauflösender Satellitenbilder voraus. Erst dann kommen die beiden Helikopter der Polarstern mit dem äußerst erfahrenen Piloten- und Mechanikerteam zum Einsatz. Nicht selten erschweren schwierige Wetterbedingungen die Arbeit an Land. Auch die ausgedehnte Eisbedeckung macht eine direkte Beprobung vielerorts unmöglich. In diesem Fall können Ablagerungen auf dem Meeresboden wichtige Informationen liefern. An küstennahen Standorten werden mit Hilfe von Großkastengreifern am Meeresboden abgelagerte, durch Gletscher verfrachtete Gesteinsfragmente geborgen, die Rückschlüsse auf die Geologie des Hinterlands zulassen.

Die anschließende Aufbereitung der Gesteine ist eine zeitintensive Prozedur, welche das Zerkleinern in einzelne Mineralkörner beinhaltet. Diese stehen dann für mikroskopische und chemische Analyseverfahren bereit und bringen Licht in die verborgene Welt unter dem Eis.

Im nächsten Expeditionsbrief werden wir u.a. die biologischen Forschungsarbeiten unserer Expedition genauer beschreiben.

 

Bis dahin verbleiben wir mit herzlichen Grüßen und Wünschen

 

Gabriele Uenzelmann-Neben, Daniela Röhnert und Karsten Gohl

 

 

Weitere Informationen von PS134:

Häufig erscheinende Kurz-Blogs: https://follow-polarstern.awi.de/

125-jähriges Jubiläum der Belgica-Expedition: https://125yearsbelgica.com/

 

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