PS134: Expeditionsbrief Nr. 2 – Vom Weddellmeer zum Bellingshausenmeer

Lemaire-Kanal (Christian Rohleder)

Unsere Geduld, endlich mit dem Hauptforschungsprogramm beginnen zu können, war auf dieser Expedition wirklich auf die Probe gestellt, auch wenn wir auf die lange Überfahrt schon in den frühen Expeditionsplanungen vorbereitet waren. Nach dem Ablegen vom Ekström-Schelfeis der Neumayer-Station dauerte es nochmal 10 Tage, bis wir vor ein paar Tagen endlich im Bellingshausenmeer ankamen. Die Durchfahrt durch das Weddellmeer verlief problemlos, auch wenn hier und dort etwas dichteres und dickeres Eis zu brechen war. Am 15. Januar sahen wir dann zum ersten Mal seit Auslaufen von Kapstadt wieder felsiges Festland, die Nordspitze der Antarktischen Halbinsel, die den atlantischen vom pazifischen Sektor der Antarktis trennt. Dieser Tag bot auch eine gute Gelegenheit, die traditionelle Südpolartaufe zu vollziehen, bei der alle sehr viel Spaß hatten.

Die Polarstern durchfuhr den Lemaire-Kanal, eine enge Durchfahrt in der Inselwelt der Antarktischen Halbinsel (Foto: Christian Rohleder).

Schon über Tage hinweg beobachteten unsere Meteorologen Jens und Christian das Durchziehen von kräftigen Tiefdruckgebieten mit starken Stürmen entlang des Bellingshausenmeeres und der Antarktischen Halbinsel. Nach einigem Abwägen entschieden sich Kapitän und Expeditionsleiter, die vom hohen Seegang geschützte innere Route zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln der Antarktischen Halbinsel zu nehmen. Das erste Stück war noch einfach zu durchqueren. Auffallend waren die vielen Kreuzfahrtschiffe, die uns so weit im Süden dieser Inselwelt begegneten. Die inzwischen eisfreien Sommer an der gesamten westlichen Antarktischen Halbinsel machen dies möglich. Im südlichen Abschnitt der Halbinsel wurde es dann aber spannend. Diese innere Route östlich der Adelaide-Insel wurde noch niemals von der Polarstern und überhaupt von nur sehr wenigen Schiffen befahren und ist nur ungenau in den Seekarten erfasst. Wir sind einem engen, aber von einem anderen Schiff verlässlich auskartierten Streifen zwischen den Untiefen gefolgt: ein anstrengender Job für Kapitän und Nautiker. Diese Routenwahl hat sich als absolut vorteilhaft herausgestellt: Sie ist zeitlich nahezu gleich lang wie die gängige Route durch den offenen Ozean, und man ist vor den Stürmen des Südost-Pazifiks geschützt. Das werden auch zukünftige Polarstern-Expeditionen nutzen können. Vorbei an der britischen Forschungsstation Rothera, einhergehend mit einem herzlichen Austausch über Funk, dampften wir dann ins offene Meer und erreichten einen Tag später unser Hauptforschungsgebiet auf dem Kontinentalschelf des Bellingshausenmeeres.

Karte eines Meeresbodenabschnitts im Gebiet des Ronne Entrance auf dem östlichen Bellingshausenmeerschelf. Die morphologischen Formationen am Meeresboden wurden durch frühere Gletscherbewegungen verursacht. Angeregt diskutieren Johanna, Kolja und Simon vom Bathymetrie-Team diese Formationen (Foto: Karsten Gohl).

Die Westantarktis, ungefähr so groß wie halb Europa, stellt für die nächsten Generationen ein ernsthaftes Problem dar: Große Teile ihres Eisschildes schmelzen und tragen zum globalen Meeresspiegelanstieg bei. Insbesondere die pazifischen Sektoren am Amundsenmeer und Bellingshausenmeer sind von der Abnahme der Eismassen betroffen. Doch warum ist der Rückgang der Gletscher in diesen Sektoren so dramatisch? Deren Untergrund im Hinterland der Westantarktis liegt bis zu zwei Kilometer unter dem Meeresspiegel, d.h. der Untergrund neigt sich zum Hinterland hin ab. Dies erlaubt ein immer weiteres Eindringen von relativ warmen Wassermassen des Südpazifiks bis in die tiefen Bereiche der Schelfeise und ihrer Aufsetzzonen. Diese Wassermassen schmelzen das Eis an seiner Basis. Ein Kollabieren des Großteils des westantarktischen Eisschildes würde einen Anstieg des Meeresspiegels von ca. drei bis fünf Metern bedeuten.

Obwohl die Art und Weise der heutigen Schmelzprozesse größtenteils verstanden sind, ist es jedoch weiterhin unklar, wie schnell und wie weit dieser Rückzug des Eisschildes ablaufen wird. Hinweise über das Verhalten des Eisschildes und seiner Gletscher während natürlicher Warmzeiten in verschiedenen Epochen der geologischen Vergangenheit, z.B. in der letzten Warmzeit vor rund 120 Tausend Jahren oder in einer mit heute vergleichbaren Warmzeit vor ca. drei bis vier Millionen Jahren in Pliozän, können hier Aufschlüsse liefern. Genau dieses und den Unterschied zu den heutigen Änderungen, die durch den anthropogen bedingten Klimawandel enorm beschleunigt sind, zu ermitteln, ist das Ziel unserer Expedition. So haben wir als erstes den Meeresboden in der Fläche der Größe Hamburgs und Umland mit dem Fächersonar komplett auskartiert, um die glazialmorphologischen Strukturen zu erfassen, die sich seit der letzten Eiszeit erst durch das Vorrücken und danach den Rückzug des Eises geformt haben. Das meeresgeologische Team hat anhand dieser neuen Kartierungen Stellen am Meeresboden ausfindig gemacht, von denen es jetzt Sedimentmaterial mit Hilfe eines Schwerelots und Kastengreifers aufnimmt. Dieses tonige Material enthält Mikrofossilien und Minerale, mit denen Alter und Herkunft dieser von früheren Gletschern transportierten Sedimente – und damit die damalige Eisschildbewegung – rekonstruiert werden kann.

Gleichzeitig sind die Landgeologinnen Daniela und Anne mit dem Helikopter unterwegs, um Gesteinsaufschlüsse an den wenigen kleinen Stellen in der Küstenregion zu beproben, die nicht von Eis bedeckt sind. Sie werden dann später im Labor aufwendige geochemische Analysen an bestimmten Gesteinsmineralien und deren Elemente durchführen. Deren Isotope erlauben eine Aussage über den Zeitpunkt des Rückzuges der Eisdecke von diesen Gesteinen und der damit einhergehenden Abnahme der Eisschilddicke. Während die seismische Arbeitsgruppe noch etwas auf ihren Einsatz warten muss, versuchen die Geophysikerinnen Mareen und Caroline, den geothermischen Wärmestrom mit Hilfe einer sogenannten Temperatur-Gradientensonde an verschiedenen Stellen des Meeresbodens zu bestimmen. Die Höhe dieses Wärmestroms, der aus dem Erdinneren stammt, ist einer der Parameter, die das Fließen von Gletschern und Eisströmen über dem geologischen Untergrund beeinflusst.

Zur Zeit spielt das Wetter für günstige Arbeitsbedingungen mit, so dass man bei allen Gruppen in glückliche Gesichter schauen kann.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen in die Heimat

Karsten Gohl

(Expeditionsleiter)

 

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