Die letzten Tage – Unsere 2000 Proben wollen gut verstaut sein

Vier Tage vor dem Einlaufen werden die verschiedenen Proben bereits im Container verstaut. Foto: Sophie Peschke

Von Sophie Peschke |

Marc und Robert vom Arbeitsbereich Sedimentgeologie packen ihre Arbeitsgeräte in den Container auf dem Achterschiff. Foto: Sophie Peschke

Ich stehe an der Reling von Polarstern. Es ist windig draußen und wir sind wieder einmal von dichtem Nebel umgeben. Vier Tage bleiben uns noch von unserer Expeditionszeit an Bord von Polarstern, bevor wir am dritten September in Longyearbyen einlaufen. Das trübe Wetter passt zur Stimmung: Viele von uns sind traurig, dass die Fahrt schon so bald zu Ende geht, andere können es kaum erwarten nach Hause zu ihren Familien zu kommen. Im Hintergrund höre ich wie eine der Containertüren auf dem Achterschiff geöffnet wird. Da für die letzten Tage die seismischen Untersuchungen geplant sind, bei denen das Schiff in stetiger Bewegung bleiben muss, sind die Sedimentbeprobungen bereits abgeschlossen. Marc und Robert tragen Kisten mit Arbeitsgeräten, die sie nicht mehr brauchen, in den Container. Auf dem Schiff macht sich insgesamt eine Aufbruchsstimmung breit. Ich folge den beiden durch die nahegelegene Tür ins Nasslabor. Vor ein paar Tagen noch war im Nasslabor alles voll mit Proben, Kisten und Arbeitsgeräten. Wo sind die ganzen Sachen? Insgesamt 2000 Proben wurden während der Fahrt PS115.1 durch Schwerelot, Multicorer und Kastengreifer von den diversen Arbeitsgruppen genommen. Die Proben werden zwischen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), dem Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem GEOMAR sowie dem Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) aufgeteilt.

Die Proben aus dem Schwerelot werden von Robert und seinem Team verpackt und genau beschriftet. Foto: Sophie Peschke

Die Arbeitsgruppe der Sedimentgeologie des GEOMAR hat schon längst alles beschriftet und zusammengepackt. Ich folge Marc in den Lagerraum. Wir laufen an verschiedenen Containern vorbei, die jeweils auf eine bestimmte Temperatur herunter gekühlt werden. In den Containern findet sich alles wieder: Die 25 Zentimeter langen X-Ray Slabs sind dort bereits eingepackt und auch die kleineren Proben in Plastikgefäßen, mithilfe derer die Trockendichte und Fluxrate berechnet werden soll, finden Marc und ich schnell wieder. Auch die Probennahmen aus dem Großkastengreifer wurden bereits vom Nasslabor in den Container gebracht.

Zurück zuhause wird sich Marc die X-Ray-Slabs unter dem Röntgengerät genau anschauen können. Foto: Sophie Peschke

Diese sind für Marc und Robert mit am interessantesten. Mit dem Kastengreifer wurde während der Fahrt an verschiedenen Positionen senkrecht ein Kasten in den Meeresboden hineingestochen. „Wir haben also ein Stück Meeresoberfläche senkrecht ausgestochen“, erklärt mir Robert. Die Sedimentproben untersuchen Robert und Marc auf Foraminiferen, also Mikroorganismen, die ihnen eine Klimarekonstruktion ermöglichen. „Wir haben so viel Material sammeln können, dass es möglich sein sollte, Klimaeinflüsse und Temperatursprünge anhand der Foraminiferen aufzeigen zu können“, erzählt mir Marc. Ein Ziel der beiden Sedimentgeologen ist die Klimarekonstruktion der letzten etwa 1000 Jahre. Das umfasst die Mittelalterliche Warmzeit, die kleine Eiszeit und das Industriezeitalter.

Der Arbeitsbereich Sedimentgeologie schaut sich auch die X-Ray Slabs an, welche zurück in Deutschland radiografisch untersucht, also geröntgt, werden. „Daran ist die interne Struktur interessant“, sagt Marc. Anhand von groben Körnern im Sediment können Rückschlüsse auf im Eis transportiertes Material gezogen werden.

Die Bodenprobe vom grönländischen Küstenabschnitt wurde mit dem Helikopter auf Polarstern gebracht. Schon bald ist sie auf dem Weg zum UFZ nach Leipzig. Foto: Sophie Peschke

Beim Gang über das E-Deck fällt mir auf, dass viele der Wissenschaftler in ihren Laboren oder Kühlcontainern mit dem Packen beschäftigt sind. Ich treffe auf Isabell und Martin von der BGR. „Hier herrscht das reinste Chaos“, meint Isabell während sie eine weitere Kiste schließt. Bei insgesamt 30 zu packenden Kisten an Ausrüstung ist das wohl kein Wunder. Fünf weitere Kisten werden alleine mit Proben der Geomikrobiologen gefüllt sein. Mit den Probennahmen der Fahrt PS115.1 sind Martin und Isabell mehr als zufrieden. Insgesamt 17 Off-Shore-Sedimentbeprobungen und elf Landstationen konnten sie realisieren. Nun haben sie DNA-, Gas- und Lebendproben, eingefrorene Proben und Porenwasser für ihre Untersuchungen in der Heimat. Vor allem die Lebendproben interessieren Martin. Er wird die mit Meerwasser angereicherten Mikroorganismen in der BGR in Hannover für zwei bis drei Monate in Glasgefäßen beobachten. „Ich versuche eine Ölverschmutzung zu simulieren“, sagt er. In einige der Glasgefäße wird somit auch Öl hinzugefügt, sodass untersucht werden kann, ob die Mikroorganismen dieses abbauen können. Andere Gefäße bleiben ohne Öl und dienen als Kontrolle. „Wir bekommen nach diesen Untersuchungen einen ersten Eindruck, ob Öl durch die Mikroorganismen und somit biologisch am Strand und im Meeresboden abgebaut werden kann“, sagt Martin. So ermittelt er eine wissenschaftliche Grundlage zum Kohlenwasserstoffkreislauf im arktischen Gewässer. Die natürlichen Abbauprozesse von Ölen und Gasen, die aus Sedimentschichten in die Meeresoberfläche austreten, sind bis dato noch wenig erforscht. Die BGR untersucht wie mikrobielle Gemeinschaften unter arktischen Bedingungen auf Kohlenwasserstoffe reagieren.

Isabells grönländische Sedimentproben stammen aus dem Landesinneren. Martin wird sie in der BGR in Hannover auf Kohlenwasserstoff abbauende Mikroorganismen untersuchen. Foto: Sophie Peschke

Bereits drei Ausfahrten im Rahmen des BGR-Projektes PANORAMA hat Martin unternommen. „Dass wir Proben am grönländischen Strand nehmen konnten, war neu und besonders spannend“, sagt er. Auch dass die Fahrt der PS115.1 bis über den 84 Grad nördlicher Breite gekommen ist, hat den Geomikrobiologen gefreut: „Ich werde also auch untersuchen, welche Organismen sich generell in den Sedimenten dieser extremen Region befinden und wie ihr Ökosystem, in dem sie leben, aussieht“, erzählt er mir.

Für das UFZ Leipzig ist Mikrobiologe Florin mit an Bord. „Die Probennahmen waren wirklich aufregend“, sagt auch Florin rückblickend. Er ist zum ersten Mal mit auf einer Expedition und begeistert von den vielen spannenden Erlebnissen auf Polarstern. Wir erinnern uns zurück an die Landbeprobung mit dem Helikopter, die wir gemeinsam unternommen haben. Florin hatte in kürzester Zeit Flasche um Flasche mit Sedimentproben an einem Küstenabschnitt in Grönland gefüllt. Vom grönländischen Strand kamen die Bodenproben in den Helikopter, dann an Bord von Polarstern. An Bord wurden sie auf fünf Grad in einem Kühlschrank gekühlt, dass die Mikroorganismen, die Martin an der BGR untersuchen wird, nicht absterben. Sobald wir eingelaufen sind, werden die Proben nach Deutschlang geflogen und zur BGR gebracht. „Wahrscheinlich sind sie sogar schneller daheim als wir“, scherzt Martin.

An der grönländischen Küste füllte Florin Flasche um Flasche mit Sedimentproben. Foto: Sophie Peschke

In Leipzig wird sich Florin die Tiefseeproben genau ansehen. Er plant sie zu kultivieren, indem er sie mit den Gasen Ethan, Propan oder Butan „füttert“. „Die anaeroben Bakterien nutzen natürliche Gase als Nahrung“, erklärt Florin. Er wird die Sedimentproben mit anoxischem Salzwasser in Glasgefäße füllen, die Luft entziehen und eins der Gase sowie Druck hinzufügen. Dann kann er überprüfen, ob die Mikroorganismen Sulfat in Sulfid umwandeln, ein Indikator dafür, dass sie aktiv sind. Das sei ein langer Prozess: „Ich werde bestimmt drei bis acht Monate mit den Messungen beschäftigt sein“, sagt Florin. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, hat Florin eine bessere Vorstellung davon, welche Prozesse und Reaktionen im Sediment stattfinden und welche Spezies welche Prozesse durchführt. Die Fahrt hat ihm so gut gefallen, dass er sich vorstellen kann, noch einmal mit auf eine Expedition zu fahren: „Es war großartig und hat mir das Gefühl gegeben ein kleines bisschen mehr mit der Natur verbunden zu sein“, erzählt er. Seine eigenen Proben hat er noch nicht zusammengepackt. Insgesamt hat er 70 Flaschen Lebendproben, mit jeweils 80 Millilitern, zu verstauen. 150 weitere Proben, je 10 bis 15 Gramm schwer, sind für die DNA-Analyse vorhergesehen.

Die Schwerelotproben kommen auf eine Palette und werden dann bei 0 Grad gekühlt transportiert. Foto: Sophie Peschke

Genau wie Martin, freut sich auch Robert darüber, dass Polarstern bei dieser Ausfahrt so weit in den Norden fahren konnte: „Wir sind in eine Region gekommen, wo noch niemals Sedimentkerne genommen werden konnten und wo also auch die ozeanische Geschichte vollkommen unbekannt ist“, sagt Robert. Den Fragen nach der ozeanischen Geschichte wird Robert mit seinem Team zuhause nachgehen können. Er freut sich bereits jetzt auf den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Instituten: „Wir vergleichen unsere Auswertungen und Interpretationen und versuchen, durch das Zusammensetzen verschiedener Datensätze aus der selben Probe die Umweltverhältnisse zur Ablagerungszeit des Sedimentes zu rekonstruieren. Wir stehen alle in regem Kontakt und genau das macht den Spaß an der Wissenschaft aus“, sagt er.

Isabells kann die dritte Kiste schließen. 27 weitere wird sie noch mit Arbeitsgeräten füllen bis Polarstern am Montag in Longyearbyen einläuft. Foto: Sophie Peschke

Die Arbeitsbereiche Geomikrobiologie und Geologie sind mit ihrem Material zufrieden und besonders die einmalige Chance bis über 84 Grad nördlicher Breite mit Polarstern vorzustoßen, begeistert die wissenschaftliche Crew noch immer. Die Polynia beziehungsweise das Eisloch, welches es uns ermöglicht hat, bis vor die Nordspitze von Grönland zu fahren, beschäftigt auch mich. Christian, der Meteorologe vom Deutschen Wetterdienst (DWD) erzählt mir, dass sich das Eisloch mittlerweile längst wieder geschlossen hat und dass es tatsächlich ein großes Glück für unsere Expedition war, dass wir in der „Region des letzten Eises“ im Norden von Grönland Proben nehmen konnten. Ich frage mich woher die Region an der Nordspitze Grönlands ihren Namen hat und Christian liefert mir die Erklärung: „Bisher wurde die Annahme vertreten, dass sich, wenn in etwa 30 bis 50 Jahren jegliches Eis im arktischen Sommer geschmolzen sei, an der Nordspitze Grönlands noch Reste von altem Eis sammeln könnten.“ Begründet sei diese Annahme mit der Strömung im eurasischen und kanadischen Teil der Arktis. Der Beaufort-Gyre treibt das Eis über mehrere Jahre im Uhrzeigersinn und bewegt es schließlich so, dass es sich vor Grönland sammelt. In diesem Sommer jedoch sammelte sich das Eis wohl an anderer Stelle. „Das zeigt uns, dass wir nicht alles modellieren und vorhersagen können“, sagt Christian. Eine Erklärung könnten Wetterlagen mit abeisigen Bedingungen, katabatische Winde, Strömungen oder Gezeiten liefern. „Die Meeresströmung und damit die Bewegung des Eises scheint sich in diesem Jahr an vielen Stellen verschoben zu haben“, sagt Christian. Ob die Region weiterhin die Region des letzten Eises genannt werden kann oder aber bald weitere Probennahmen unternommen werden können, wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre herausstellen können.

 

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