Luftpulser und Eiserkundung – Woche 3 auf Polarstern

Die Polarstern schleppt den drei Kilometer langen Streamer mit den orangenen Auftriebskörpern der Luftpulser achter aus. Foto: Viktoria Timkanicova

Von Sophie Peschke |

Ich schrecke aus dem Schlaf. „Vier, fünf, sechs, sieben“, ich zähle die Sekunden. Jetzt wird es spannend. „Acht, neun, zehn“. Ich strecke meinen Fuß schon aus der Bettdecke hervor. Ich bin bereit aus dem Bett zu springen. „Elf“. Das Schiff vibriert ein kleines bisschen und ein entfernter Knall erklingt. Mein Fuß gleitet zurück ins Bett. Es gibt doch keinen Grund aufzustehen.

Kai, Dieter und Rüdiger im Windenleitstand. Foto: Sophie Peschke

Das Geräusch, auf welches ich gewartet hatte, war das Luftpulsersignal der Seismik. Alle elf Sekunden ertönt es im Moment, da Polarstern wieder ein Profil abfährt. Wenn wir das Geräusch nicht mehr hören, bedeutet das, dass etwas nicht stimmt. Wenn die Luftpulser nach 11 Sekunden still bleiben, sind sie abgestellt worden oder noch schlimmer, ausgefallen.

Am nächsten Morgen gehe ich ins Seismik-Labor von Polarstern, gleich neben dem Windenleitstand. Ich treffe auf Kai Berglar von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Zusammen mit weiteren BGR-Kollegen, Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut, vom Karlsruher Institut für Technologie und vom Geological Survey of Denmark and Greenland  (GEUS) kümmert er sich um die seismischen Untersuchungen während dieser Ausfahrt. „Wenn ich nichts höre, werde ich auch wach“, erzählt er mir, „Wenn das Geräusch erklingt, kann ich beruhigt weiterschlafen, weil ich weiß, dass die Messungen laufen“, sagt er weiter. Es geht ihm also wie mir. An das Geräusch während der Profilverläufe haben sich nach zwei von vier Wochen der Expedition alle Fahrtteilnehmer gewöhnt. Dass es die Luftpulser der seismischen Untersuchungen auslösen, wissen wir. Aber wie genau entsteht das Geräusch? „Polarstern hat installierte Kompressoren, die die Seismik-Luftpulser mit je 150 bar beladen. Auf einen Schlag wird die Luft entlassen und so entsteht die Luftblase und damit auch das Geräusch“, erklärt Kai.

Erste Ergebnisse der seismischen Untersuchungen zeigen einen Salzstock auf dem nordost-grönländischen Schelf. Foto: Sophie Peschke

Die seismischen Untersuchungen, die an Bord durchgeführt werden, erlauben es uns, „in die Erde hineinzuschauen“, erfahre ich von Kai. Die akustischen Signale der Luftpulser laufen in den Meeresboden hinein. Das Gestein unter dem Meeresboden ist unterschiedlich, sodass es unterschiedliche Dichten aufweist. Kai nennt das den Impedanzkontrast: „Ein Teil der Energie wird zurückreflektiert, der Rest geht weiter in den Boden hinein“, sagt er. Die jeweils zurückreflektierten Schallwellen werden von Hydrophonen in einem langen Messkabel, dem sogenannten Streamer, aufgezeichnet. Kai zeigt nach draußen auf die große Winde, die auf dem Achterschiff steht. Sie ist leer, weil der Streamer nun, während der seismischen Untersuchungen, im Wasser ist. Ich schaue über das Achterschiff hinweg aufs Wasser. Die zwei orangenen, kugelförmigen Auftriebskörper der Luftpulser kann ich sehen. Vom gelben, langen Streamer-Kabel ist aber weit und breit nichts zu sehen. „Das wird auf 12 Meter Wassertiefe hinter dem Schiff geschleppt“, sagt Kai. Drei Kilometer ist der Streamer lang, der jetzt gerade genutzt wird. „Je länger der Streamer, desto besser die Daten, denn die lange Kette von Hydrophonen zeichnet die Reflexionen der Gesteine unter dem Meeresboden in unterschiedlichen Winkeln mehrfach auf, solange sich das Schiff bewegt“, sagt Kai. Nun wird mir klar, weshalb das Schiff stets in Bewegung sein muss, wenn die seismischen Untersuchungen laufen. Auch verstehe ich, weshalb sich die Seismik-Arbeitsgruppe ständig darüber freut, wenn das Eis nicht allzu dicht ist.

Kai und seine Kollegen brauchen etwa drei Stunden, um den Streamer ins Wasser zu lassen. Foto: Sophie Peschke

Kai und ich haben einen wunderbaren Ausblick auf das dunkelblaue Wasser und die vereinzelten Eisschollen, an denen Polarstern vorbeizieht. Wäre das Eis dichter, könnte der 3 Kilometer lange Streamer nicht so gut hinter dem Schiff geschleppt werden. Vor allem wenn das Schiff aufgrund von zu dickem Eis stoppen müsste, wäre das für die seismischen Untersuchungen ungünstig. Im schlimmsten Fall könnte das Streamer-Kabel bei einem Stopp Schaden nehmen, wenn es auf das Schiff oder womöglich die Schiffsschraube trifft. Bei dieser Ausfahrt ist aber zum Glück bisher alles gut verlaufen. Damit das so bleibt, werden auch weiterhin die MMO’s Ausschau nach marinen Säugetieren halten, damit die Luftpulser im Falle einer Sichtung, auf die Mitigation umgestellt werden können (mehr dazu gibt es im letzten Blogartikel).

Fahrtleiter Volkmar Damm freut sich während der Eiserkundung darüber, dass der geplante Fahrtverlauf fortgeführt werden. Foto: Viktoria Timkanicova

Fahrtleiter Volkmar Damm plant die Ausfahrt PS115.1 bis zum 84. Grad nördlicher Breite, in ein Gebiet, in dem Polarstern seit 1993 nicht mehr war. „Hier, im hohen Norden, sind die Gesteinsschichten bisher nur wenig verstanden. Es gibt erst wenige Daten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das ein weißer Fleck auf der Karte und besonders spannend“, sagt Kai. Wie ein buchstäblich weißer Fleck sieht das derzeitige Forschungsgebiet auch aus dem Helikopter aus. Fahrtleiter Volkmar, 1. Offizier Moritz Langhinrichs und Wolfram Geissler vom AWI machen einen sogenannten Reconaissance-Flug, einen Helikopterflug zur Eiserkundung. Da geplant ist, mit Polarstern bis zum 84. Grad nördlicher Breite zu fahren, muss sich der Nautiker gemeinsam mit dem Fahrtleiter ein Bild darüber machen, ob Polarstern es problemlos durch das Eis schaffen kann. „Es gilt ein „Bottleneck“ zu durchfahren“ sagt Volkmar, ein Stück mit dichtem Eis bevor dann wieder bessere Eisbedingungen für die Seismik kommen. Nach dem Eiserkundungsflug treffe ich auf Fahrtleiter Volkmar und den 1. Offizier Moritz. Es sehe gut aus, sagen sie mir. Polarstern muss jetzt an zwei großen Eisschollen vorbeifahren, sodass wir weiter Richtung Norden kommen. „Wir haben uns die Koordinaten notieren können und halten uns jetzt am Eisfeldrand“, sagt Moritz.

Der Blick aus dem Helicopter während des Reconaissance-Fluges. Foto: Viktoria Timkanicova

Auch Kapitän Thomas Wunderlich freut sich über die vom Fahrtleiter geplante Route. „Das gibt uns eine Art Entdeckergefühl, dass Polarstern nun in einem Seegebiet ist, wo Schiffe nur sehr selten hinkommen und welches bisher kaum vermessen ist“, sagt er mir, als ich ihn auf der Brücke treffe. Pionierarbeit leistet die Seismik-Arbeitsgruppe momentan mit dem Sammeln der Daten in diesem wenig erforschten, nördlichen Gebiet und ein bisschen fühlen wir Fahrtteilnehmer uns alle wie der Kapitän Thomas: Als Entdecker, nur rund 300 Seemeilen vom Nordpol entfernt.

 

 

Leser:innenkommentare (4)

  1. Polarforschung: Was ist los in der “Region des letzten Eises”? – News

    […] Müsste Kapitän Thomas Wunderlich Angst haben, dass das Schiff kurzfristig auf Eisschollen trifft, würden die Forscher einen deutlich kürzeren Abstand wählen. Es gebe "eine Art Entdeckergefühl, dass Polarstern nun in einem Seegebiet ist, wo Schiffe nur sehr selten hinkommen und welches bisher kaum vermessen ist", berichtet Wunderlich im "Polarstern"-Blog der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft. […]

  2. Andreas Tober

    could you please give information about where and when photos showing ice conditions were taken? It would make these reports from rarely visited regions more informative for people who take an interest in the arctic.

    1. Folke Mehrtens

      Dear Andreas Tober, all pictures are taken during the expedition, otherwise they are labelled as „archive photo“. Due to the need of compressing them before data transfer via satellite, the information about the exact time and date gets lost in the metadata of the images. We are happy to receive blogposts and photos including figure captions, and try to keep the formal expenditure as low as possible. If you want to follow the ships position you can find the map here (sroll down a little bit): https://www.awi.de/expedition/schiffe/polarstern.html; the exact position (and a lot of additional informaition is given here: https://www.awi.de/fileadmin/user_upload/MET/PolarsternCoursePlot/psobsedat.html.

  3. Die Ostereiersuche im arktischen Ozean – Polarstern-Blog

    […] werden auch bei der Refraktionsseismik Schallwellen durch die Luftpulser erzeugt (mehr dazu im Blogartikel “Luftpulser und Eiserkundung” – Woche 3 auf Polarstern), die schließlich vom Hydrophon und Seismometer gemessen und im Recorder aufgezeichnet werden. […]

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