Die Ostereiersuche im arktischen Ozean

Das OBS verschwindet in der Tiefe des dunkelblauen arktischen Ozeans. Foto: Viktoria Timkanicova

Von Viktoria Timkanicova |

Die OBS angereiht auf dem E-Deck, kurz vor dem Aussetzen. Foto: Viktoria Timkanicova

Die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist für die Arbeitsgruppe der Refraktionsseismik zum Tage geworden. Zweieinhalb Wochen musste die Arbeitsgruppe warten, bis sie ihre Messinstrumente zum Einsatz bringen konnten. Wie viele der Wissenschaftler an Bord, will auch ich mir das Spektakel nicht entgehen lassen. Da unser Meteorologe Christian gefühlte Temperaturen von -20 Grad vorhergesagt hat, ziehe ich meinen warmen Overall an und laufe zum E-Deck. Schon auf dem Gang zum Arbeitsdeck sehe ich die neun orangefarbenen Geräte aufgereiht, in einer Schlange wartend. Während das Streamerkabel der Reflektionsseismik am Achterdeck eingeholt wird, habe ich noch ein bisschen Zeit, um mit Marc zu sprechen. Ich erhoffe mir, eine genauere Vorstellung von den “orangefarbenen Geräten” zu bekommen. Marc studiert in Bremerhaven Maritime Technologie mit der Spezialisierung auf Meeresmesstechnik und koordiniert an Bord von Polarstern den Einsatz und die Technik rund um die refraktionsseismischen Geräte. Er erklärt, dass die orangefarbenen Geräte “Ocean Bottom Seismometer”, kurz OBS, heißen. Marc zeigt mir, wie ein OBS aufgebaut ist: aus einem orangefarbenen Auftriebskörper, einem Bugkorb, in dem die Batterien und der Recorder verbaut sind, einem Hydrophon, Seismometer und einem Releaser, der für das Auslösen des Ankers zuständig ist. Ganz schön ausgeklügelt, so ein OBS!

Marc und Andi hängen mit Sebastian von der Besatzung das OBS mit einer Schlaufe an den Kran, das später über die Reling gefahren wird. Foto: Viktoria Timkanicova

Es ist 01:30 Uhr an Bord der Polarstern und die Arbeitsgruppe der Refraktionsseismik macht sich an die Arbeit. Gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen Andi, Mareen und Thomas bereitet Marc das erste OBS für das Aussetzen vor. Wolfram, von der Sektion Geophysik am Alfred-Wegener-Institut, ist der Verantwortliche für die Refraktionsseismik an Bord von Polarstern. Er steht auch am Arbeitsdeck und ist mit dabei, während das erste OBS programmiert wird. Wolfram erklärt mir den Unterschied zwischen der Refraktions- und Reflexionsseismik: “Der Vorteil der Refraktionsseismik ist, dass man tiefer in die Erde schauen kann, weil man eine größere Entfernung zwischen der seismischen Quelle und dem Aufzeichnungsgerät realisieren kann, welche man sonst nur mit einem sehr langen Hydrophonkabel erreichen könnte.” Der Nachteil ist, dass die einzelnen Schichtpakete nicht so gut aufgelöst werden können wie bei der Reflexionsseismik.

Um 02:00 Uhr morgens ist es endlich soweit, das erste OBS wird ausgesetzt. Gespannt stehe ich neben einer großen Winde und schaue wie das 200 Kilogramm schwere Messinstrument mit einer Schlaufe an den Kran gehangen und über die Reling ins Wasser gefahren wird. Ich halte meinen Atem an während das OBS langsam über die Wasseroberfläche geleitet wird. Kurze Stille und dann Plopp – das erste OBS ist ausgesetzt und taucht ins Wasser. Sowohl die ganze Refraktionsseismik-Gruppe als auch ein paar Interessierte von der Besatzung und der wissenschaftlichen Crew schauen, wie das Messinstrument langsam in der Tiefe des dunkelblauen arktischen Ozean versinkt.

„Jetzt fahren wir zur nächsten Station. Das OBS sinkt derweil auf den Meeresgrund und nach etwa drei Stunden sind alle Sensoren einsatzbereit,“ erklärt mir Marc. Die Überfahrt zur nächsten Station dauert circa fünf Seemeilen, also genieße ich für eine Weile die frische arktische Luft, während Marc und seine Kollegen das zweite OBS für das Aussetzen vorbereiten. Um 03:30  Uhr verschwindet das nächste Gerät unter der Wasseroberfläche. Sieben weitere OBS müssen noch ausgesetzt werden. Marc und seine Arbeitsgruppe beweisen in dieser Schicht Durchhaltevermögen. Ich kann meine Augen kaum aufhalten, während das nächste OBS vorbereitet wird.

Das OBS verschwindet in der Tiefe des dunkelblauen arktischen Ozeans. Foto: Viktoria Timkanicova

Noch bevor mein Wecker klingelt sind alle OBS-Geräte am Meeresboden platziert. Ich kann noch auf dem Heli-Deck beobachten, wie die Luftpulser am Achterdeck ausgesetzt werden. Polarstern dreht um und wir fahren das ganze Profil entlang, an dem die OBS ausgesetzt wurden. Genauso wie bei der Reflexionssseismik, werden auch bei der Refraktionsseismik Schallwellen durch die Luftpulser erzeugt (mehr dazu im Blogartikel “Luftpulser und Eiserkundung” – Woche 3 auf Polarstern), die schließlich vom Hydrophon und Seismometer gemessen und im Recorder aufgezeichnet werden. Circa zwölf Stunden dauert es, bis wir am Ende des Profils angekommen sind. Um Mitternacht beginnt die nächste spannende Nachtschicht der Refraktionsseismiker: Jetzt wird sich zeigen, ob alle ausgesetzten OBS auch auf das Auslössignal reagieren, sodass das Ankergewicht freigegeben werden kann. Vor allem in den Polarregionen ist das Einsammeln der OBS mit vielen Herausforderungen verbunden. “Es ist ein ziemlich riskantes Unterfangen, das Ganze ins Wasser zu lassen. Man weiß nie genau, ob die Geräte auch wieder geborgen werden können, insbesondere beim Eis. Es könnte passieren, dass sie beim Aufsteigen unter einer Eisscholle hängen bleiben und dann findet man sie nicht,” erklärt mir Marc, während seine Augen vor Aufregung aufleuchten. Jetzt verstehe ich auch, warum es so wichtig war, am Anfang der Expedition einen Releaser-Test durchzuführen, bei dem das Auslösen der Releaser getestet wurde.

Das OBS gefangen in einer driftenden Eisscholle. Foto: Thomas Funck

Wie geplant, fängt das Bergen des ersten OBS um Mitternacht an. Marc und Andi lassen die Sonde ins Wasser gleiten und geben den ersten Code ein. Nach wenigen Sekunden ertönt das schrille Piepen – der erste Releaser antwortet und löst das OBS vom Anker. Jetzt müsste das OBS langsam vom Meeresgrund aufsteigen. Vier Minuten dauert das bei einer Wassertiefe von 200 Metern. Alle stehen an der Reling und suchen mit aufmerksamen Augen die Meeresoberfläche ab. Auch der Kapitän Thomas Wunderlich und die nautischen Offiziere halten von der Brücke aus Ausschau nach den Geräten. Denn es steht viel auf dem Spiel: Kann das OBS-Gerät nicht gefunden werden, ist es nicht nur ein wirtschaftlicher Schaden. Noch schlimmer wäre der wissenschaftliche Verlust, denn alle aufgezeichneten Daten würden für immer auf dem Meeresboden des arktischen Ozeans bleiben. “Es ist wie eine OBS-Ostereiersuche. Ich hoffe sehr, dass die OBS im freien Wasser an die Wasseroberfläche kommen,” sagt Marc erwartungsvoll. Plötzlich höre ich Mareen rufen: “Da ist es! Ich kann es sehen!” Sie zeigt mit dem Finger auf einen kleinen orangenen Punkt am Horizont. Das erste OBS ist aufgetaucht und schwimmt auf der Meeresoberfläche! Polarstern nähert sich dem OBS, bis die Mannschaft das Messinstrument aus dem Meer herausziehen kann. Nummer 1 ist also geschafft, 8 weitere warten noch…

Ein der neun OBS wird noch mit einem Stück Eis erfolgreich an Bord von Polarsten geborgen. Foto: Thomas Funck

Das Einholen der OBS dauert länger als das Aussetzen. Auch nach dem Frühstück ist die Arbeitsgruppe immer noch gut beschäftigt. Bis jetzt konnten alle OBS erfolgreich eingesammelt werden, doch zwei bereiten Probleme: sie liegen unter driftenden Eisfeldern. Viele Mitglieder der Besatzung und der wissenschaftlichen Crew stehen sowohl auf der Brücke als auch am Arbeitsdeck und suchen gemeinsam nach den beiden Messinstrumenten. Die letzten Stunden waren sehr anstrengend, die Müdigkeit macht sich bemerkbar. Ich kann die Anspannung in der Luft spüren. Doch die Schiffsleitung manövriert Polarstern erfolgreich, sodass das Schiff auch die diese beiden OBS vom Eis befreien kann. Nach dem langen Einsatz, sehe ich die Erleichterung in Marcs Gesicht. “Ich bin froh, dass wir alle neun Geräte wieder gefunden haben, trotz des relativ vielen Eises an den Stationen.” Erschöpft, aber mit guten Gefühl kann die Refraktionsgruppe ausatmen und erstmal lange ausschlafen.

 

 

Kommentar hinzufügen

Verwandte Artikel