Gedanken

Elephant Island. Foto: Sacha Viquerat

Von Christoph Plum |

Ich sitze alleine im Roten Salon und lese. Eine Seltenheit an Bord. Ich nutze die Gunst der Stunde und ziehe mich für einen Moment von den Festlichkeiten zum Fahrtende zurück um Zeit für mich zu haben, außerhalb der beengten vier Wände der Kammer. Ich beobachte den Monitor an der Wand der ständig die Computeraktivitäten auf der Brücke zeigt. Wie von Geisterhand bewegt sich die Maus über den Bildschirm und legt den Kurs fest.

Elephant Island. Foto: Sacha Viquerat

Das Buch welches ich lese heißt Wild und erzählt die Geschichte der Shackleton Expedition in die Antarktis aus der Sicht von Frank Wild. Wie passend, dass wir uns zurzeit vor Elephant Island befinden, die Insel, auf denen die Kameraden von Ernest Shackleton unter der Führung von Frank Wild ausharrten und auf ihre Rettung hofften. Der Kontrast zwischen den damaligen Geschehnissen und den Bewegungen auf dem Computerbildschirm könnte nicht größer sein. Ich befinde mich gefühlt am Ende der Welt, und dennoch macht es die Technik heute möglich dieses Gebiet der Erde auf relativ komfortable Weise zu erforschen. Auch über einhundert Jahre nach der Eroberung des Südpols wissen wir doch vergleichsweise wenig über diesen Kontinent und die Meere die ihn umgeben, vor allem was sich in ihnen abspielt

Südkapper. Foto: Magnus Lucassen

In diesem Moment wird mir bewusst, was die letzten Wochen eigentlich geschehen ist. Es blieb kaum Zeit die Erlebnisse zu verarbeiten. Zu sehr waren wir getrieben von unserer Neugier und unserer Arbeit an Bord. Man war oft hin und her gerissen zwischen den wissenschaftlichen Aufgaben im Labor und der Welt da draußen. Dem eigentlichen Grund unseres Aufenthaltes. Als wenn die stählernen Wände unserer Behausung uns die Sicht auf den eigentlichen Gegenstand unserer Arbeit nehmen.

Wir verbrachten tagtäglich viele Stunden damit, den Rätseln der Antarktischen Gewässer auf die Spur zu kommen. Mit Netzen, Echolot, Tauchern, Wasserschöpfern, Sedimentfallen, verschiedenen Sensoren und nicht zuletzt einer Vielzahl an Experimenten. Es wurde ein großer Aufwand betrieben um das komplexe Nahrungsnetz der subantarktischen Küstengewässer besser zu verstehen, insbesondere die Wechselbeziehung zweier Schlüsselorganismen – Krill und Salpen und deren Einfluss auf das Nahrungsnetz. Erste Ergebnisse unserer Untersuchungen an Bord zeigten eindrucksvoll die geographische und bathymetrische Verbreitung dieser Organismen rund um die Antarktische Halbinsel. Doch immer wieder zog es uns auch raus an Deck um die Eindrücke der Landschaften um uns herum aufzusaugen oder wenn es mal wieder hieß: Wal in Sicht, Eisberg voraus, Land in Sicht.

Polarstern vor dem Antarctic Sound. Foto: Christoph Plum

Unsere Reise führte uns auch ein Stück ins Weddelmeer und durch den Antarctic Sound. Hier bekamen wir die Antarktis zu Gesicht wie man sie sich oft vor dem geistigen Auge vorstellt. Eisschollen, Eisberge, eine geschlossene Meereisdecke oder gigantische Gletscherzungen auf dem Festland, dem Antarktischen Kontinent.

Neben unserer Arbeit an Bord wurden wir immer wieder verwöhnt von Walsichtungen, Pinguinen die in Gruppen pfeilschnell durch das Wasser gleiten, Pelzrobben oder Seeleoparden – ich hatte es nicht gewagt auch nur davon zu träumen. Darüber hinaus Eisberge deren Größe nicht zu erahnen war, gigantischen Tafeleisbergen, die scheinbar den Horizont bedecken. Riesen, von mehreren Kilometern Länge und Breite die wie Landmassen im Meer treiben.

Eselspinguin. Foto: Dominik Bahlburg

Dazu ein Licht, wie man es andernorts nur selten beobachten kann. Wolkenformationen, Formen und Bilder wie aus einer anderen Welt. All das gilt es zu verarbeiten für jemanden der zum ersten Mal in dieser abgeschiedenen Region der Erde unterwegs ist.

Insbesondere die Ansammlungen von Finnwalen die wir um Elephant Island beobachten konnten ließen uns staunen und verschlugen uns zum Teil die Sprache. Bis zu 40 Individuen dieser majestätischen Tiere versammeln sich hier um zu fressen, denn Krill, die Hauptnahrung dieser Bartenwale gibt es hier reichlich wie wir während unserer Expedition beobachten konnten. Auf unserem Weg durch den Antartic Sound spürten wir mittels Echolot einen Krillschwarm auf, welcher sich über 4 km Breite, 20 km Länge und 400 m Tiefe erstreckte. Eine unvorstellbare Ansammlung von Biomasse.

Krill Euphausia superba. Foto: Morten Iversen

An einem besonderen Tag konnten wir dann tatsächlich beobachten wie Finnwale in einer größeren Ansammlung von mehreren Individuen fraßen – ein sogenannter „feeding frenzy“. Ein Phänomen was bei Finnwalen erst selten beobachtet wurde. Dazu Pelzrobben, Pinguine und Albatrosse die ihren Anteil suchten. Das Wasser schien förmlich zu kochen. Wir trauten unseren Augen nicht und alle an Bord waren in heller Aufregung. Insbesondere für die Walforscher an Bord war es der Moment der Ausfahrt.

 

All das zog in den letzten Wochen wie im Rausch an uns vorbei. Selten die Momente, in denen man mal in Ruhe über das Erlebte nachdenken konnte. Oft zu erschöpft von der Arbeit und froh über ein paar Stunden Schlaf. Jetzt, wo sich unsere Reise dem Ende neigt, überkommen einen die Bilder. Noch ist es wie ein Film. Man wird wohl noch ein paar Wochen brauchen um alles zu verarbeiten, glücklich über das Erreichte und die besonderen Erlebnisse an Bord. Am Ende war es eine erfolgreiche und beeindruckende Expedition.

 

Leser:innenkommentare (3)

  1. Reiner Gerke

    Sehr schöner Beitrag. Christoph Plum beschreibt für alle sehr nachvollziehbar die Zeit von Hektik, Stress und Überflutung mit Eindrücken sowie dem Verarbeiten, wenn man endlich mal zur Ruhe kommt. Geht mir unter die Haut.

  2. Petra Seifert

    Ja .Das ist auch mein Eindruck.

  3. Ebeling Thomas

    Sonnige Grüße ans Ende der Welt. Sitze gerade in Zürich Airport und warte auf den Flug nach Berlin. Die Polarstern verfolge ich seit Jahren. Mein Traum einmal auf dem Pott. Naja träumen kann man ja 😊 Grüße bitte auch an die Pinguine 🤗 thomas

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