12 Minuten auf Polarstern

Maskottchen Pepe. Foto: Florian Koch

Von Pepe (Plüschpinguin und Expeditions-Maskottchen) |

An Bord schlagen die Uhren anders als an Land. Welcher Tag heute ist weiß ich nicht, ist aber auch nicht so wichtig. Ob Mittwoch oder Donnerstag – eigentlich vollkommen egal. Der Unterschied besteht nur darin, dass es am Donnerstag zum Nachtisch Eis gibt aber den lasse ich mittlerweile auch häufiger ausfallen, denn schließlich bleibt dem bordeigenen Weightwatcher-Club nichts verborgen. Ob Tag oder Nacht ist eigentlich auch nicht mehr so wichtig, denn unsere Forschung wird 24 Stunden sieben Tage die Woche betrieben. Und so verschwimmt mein Gefühl für Zeit immer mehr. Durch den Dauerbetrieb an Bord gibt es immer etwas zu erleben denn auch um 3 Uhr nachts kann ich fast überall noch jemanden treffen. Ob Evgeny mit Larysa konzentriert Salpen sortiert, Philipp noch an der Filtrationsanlage steht während Metallica aus seinen Kopfhörern dröhnt oder Felix von seinen alten Zeiten auf einem Tanker erzählt, irgendetwas passiert hier immer. Selbst in wenigen Minuten kann ich hier eine Vielzahl von Eindrücken sammeln und deswegen nehme ich Euch mal mit auf eine kleine Tour durch die Polarstern.

Heute Vormittag hatte ich frei, denn die Beprobung unserer Experimente startet dieses Mal erst um 13 Uhr. Deswegen habe ich die Zeit etwas genutzt, um Sport im Fitnessraum zu machen. Ganz unten im Schiff kann ich hier ein bisschen Hanteln stemmen und auf dem Laufband joggen. Außerdem ist heute Abend Herrensauna, woran mich der Zettel an der orangenen Tür erinnert. Es ist 9:38 und nach einer Dusche verlasse ich den Fitnessbereich und laufe auf dem abgetretenen grünen Boden den Korridor Richtung Bug runter, vorbei am Maschinenraum und den Preislisten des Stores (Studentenfutter kostet 2,26 €). Links an der Wand hängt ein Segelkalender und mehrere Ferienhauskataloge sowie Karten von Usedom. Warum eigentlich genau Usedom? Keine Ahnung, vielleicht weil mehrere Leute von der Besatzung von der Insel kommen? Vorbei an den Kühlräumen der Küche sehe ich am Ende des Ganges schon blaue Laborcontainer hervorscheinen. Links lenkt mich der gemalte Werner („Ekkhaaard!“) auf der Werkstatttür ab sowie die vielen verschiedenen Aufkleber. Letzten Sonntag hat hier der Weightwatcher-Club sein wöchentliches Wiegen abgehalten. Ich habe sogar etwas Gewicht verloren, da muss ich mir diese Woche mehr Mühe geben – also doch Eis zum Nachtisch…! Die Aufkleber erzählen eine lange traditionsreiche Geschichte von Polarstern: Ob NDR-Walross Antje, die NASA, der deutsche Kranichschutz und auch Rudolf das Rentier – sie alle haben sich hier in den vergangenen 36 Jahren an der Tür der Elektrowerkstatt verewigt.

Die Laborcontainer

Noch ein paar Schritte weiter und ich stehe zwischen den blauen Laborcontainern, die sich hier aneinanderreihen. Expeditionskisten aus Genua, Warnemünde und Bremerhaven sowie Kühltruhen für wissenschaftliche Proben dekorieren den Vorraum. Ganz links ist der Fischcontainer. Hier kümmert sich Nils um die antarktischen Aalmuttern, die wir vor Deception Island mit Fischfallen gefangen haben. Ein Zettel an dem Container für die Respirationsexperimente warnt mich davor ihn unbedacht zu betreten. Komplett abgedunkelt darf man hier nur mit Rotlichtkopflampe rein und soll die Tür wieder schnell hinter sich schließen! Ganz rechts steht noch der eher an einen Science-Fiction-Film erinnernde Spurenmetallcontainer. Mit Haarnetzen und Armstulpen wird hier den geringsten Spuren von Metall auf den Grund gegangen. Für mich wäre das nichts – ich würde wahrscheinlich alles verunreinigen. Hochachtung aber vor Florian und seiner Truppe die hier täglich emsig arbeiten. Deswegen lieber schnell wieder weg bevor ich noch etwas kaputt mache.

Nasslabor und Geräteraum

Schnell die Treppe hoch und schon bin ich im E-Deck gelandet. Nasslabor oder Geräteraum – links oder rechts abbiegen? Ich entscheide mich für links und lande im großen Nasslabor. Die Krillleute haben gerade wieder ein Netz reinbekommen und Tash untersucht die kleinen Krebse am Binokular während Ryan Protokoll führt. Ein wilder Mix aus improvisierten Arbeitsplätzen füllt den Raum. Noch mehr Expeditionskisten – dieses Mal vor allem aus Oldenburg – Probengefäße, Seewasserleitungen, Eismaschine (leider kein Speiseeis sondern Eis um die Proben zu kühlen) und das Schlauchboot der Taucher ergeben ein skurriles Gesamtbild. Wissenschaft unter engen Umständen! Ich würde gerne etwas rausschauen aber die Tür nach draußen ist verriegelt – wir haben noch Fahrt, die See ist rau und das Arbeitsdeck draußen ist aus Sicherheitsgründen gesperrt. Durch das Bullauge sieht man wie ab und zu eine Welle über die Bordwand schwappt und auf das Deck knallt. Ist dann doch besser die Tür lieber verriegelt zu lassen. Ich lasse die Anderen mal wieder in Ruhe arbeiten, schließlich stehe ich gerade mehr im Weg rum anstatt nützlich zu sein.

Bei den Tauchern

Vorbei am Taucherraum geht es in einen schmalen Korridor. Neoprengeruch liegt hier in der Luft. Von dort geht es weiter in den großen Labortrakt. Evgeny sitzt gerade nicht an seinem Arbeitsplatz. Ein seltener Anblick… Fotos von Salpen-Embryonen, Muskelbändern und Mägen hängen an der Wand um ihm dabei zu helfen das Stadium der gefangenen Salpen zu bestimmen. Während Evgeny sich wohl von seiner letzten Nachtschicht ausruht, sind Morten und Nora gerade da. Nora schmeißt sich noch schnell in ihren Blaumann um Magnus und Chiara spontan beim Fisch zu helfen, Morten hingegen schreibt irgendwas am Computer. Auf dem Tisch steht ein abgefahrenes Gerät. Krillkotgegenstrommaschine würde es ganz gut treffen, der Name ist wohl aber kaum vermarktungstauglich. Morten sieht mich und versucht mir zu erklären was da genau passiert. Irgendwas mit Kot, Dichte, Turbulenz und Navier-Stokes-Gleichungen. Ich verstehe nur die Hälfte, nicke aber natürlich nach jedem Satz zustimmend – bloß keine Schwäche zeigen. Trotz meines nun unvollständigen Wissens über dieses Gerät bin ich voll überzeugt: So eine Krillkotgegenstrommaschine ist schon fantastisch und mit jeder Menge verbautem Know-How. Am Ende des Labortrakts stehen die Filtrationsanlagen. Meerwasser durch einen Filter ziehen und Hightech-Messgeräte – ein Aufeinandertreffen von Altbewährtem und Moderne. Marina und Tommaso die hier häufig stehen sind aber gerade nicht da.

Computerraum

Also weiter zum Computerraum. Tomasz liest polnische Nachrichten während Wiebke kryptische Zeilen in ihren Laptop tippt. Am Ende kommt ein Bild mit bunten Punkten und Linien raus. Sie nennt es Plot und fängt an mir die Punkte und Linien zu erklären. Sauerstoffaufnahme, Salpen, Zeit und Oszillationen… Wieder nicke ich eifrig zustimmend, verstehe aber nur die Hälfte. Im Raum gegenüber sitzt der Systembeauftragte Andreas, sonst nur Sysman genannt. Mit etwas Glück bekommt man hier nachmittags einen Cappuccino. Leider ist es dafür ist es noch zu früh. Am schwarzen Brett stehen die Ergebnisse des Bundesliga-Tippspiels und scheinbar ist Donnerstag Toto-Abend. Außerdem zwei Poster mit Portraitaufnahmen aller FahrtteilnehmerInnen – Besatzung sowie Wissenschaft. Ich finde ich bin nicht so gut getroffen und sehe ein wenig aus wie ein Frosch aber auch das ist okay. Schnell durch das schwere Schott geschlüpft treffe ich auf Michael und Horst von der Besatzung. Sie tragen Helm, Rettungsweste und Wetterkleidung, scheinbar soll bald ein Gerät ausgesetzt werden. Schaut man sich die herumwuselnden Ozeanographen an, kann es sich dabei eigentlich nur um die CTD-Sonde mit Kranzwasserschöpfer handeln. Auch hier will ich lieber nicht im Weg stehen und gehe lieber links. Die Spurenmetallleute sitzen im Labor gegenüber von Winfrieds Werkstatt. Teambesprechung. Eine Tür weiter dann Steffis Planktologentrupp. Musik, die wie eine mexikanische Version von Rage Against the Machine klingt, ist neben den laufenden Filtrationsanlangen bis in den Gang zu hören. Gerade beproben sie ihre Experimente, die ein paar Meter weiter in einem Kühlcontainer laufen. In den sechzehn Quallenkreisen ziehen entspannt Krill und Salpen ihre Bahnen. Irgendwie beruhigend, den Tierchen beim Fressen und Schwimmen zuzuschauen, nur auf Dauer ziemlich kalt bei knapp 0°C Raumtemperatur.

Wissenschaftlerkammer

Ich will außerdem noch schnell auf meine Kammer, habe mein Handy dort vergessen. Empfang habe ich hier in der Antarktis zwar sowieso nicht aber Gewohnheit ist Gewohnheit. Also auf dem E-Deck schnell wieder zum Treppenhaus (oder Niedergang wie es auf dem Schiff heißt). Eine Etage höher, im D-Deck, hat überwiegend die Mannschaft ihre Kabinen. Ich muss also noch einen höher, auf das C-Deck. Ich kürze den Weg durch den Roten Salon ab – ein Aufenthaltsraum für abendliches Kartenspielen oder Nachmittagsbesprechungen. Ein Glaskasten mit einer Pfeife von Alfred Wegener hängt neben dem modernen Touchscreen, der aktuelle Wegpunkte, Seekarten sowie allerlei Informationen über Wassertiefe, Außentemperatur usw. anzeigt. Die Seefahrt ist schon komfortabel geworden. Ich gehe durch die Messe – den Essensraum – um zu meiner Kammer zu kommen. Die Nähe zur Messe ist nicht schlecht, so kann man sich abends noch schnell ein Brötchen schmieren falls der spontane Hunger einsetzt. Also schnell auf Kammer, Handy eingesteckt, den roten Polaranzug angezogen und noch kurz raus. Es ist ziemlich windig und ich gehe Richtung Heck zum Helikopterlandeplatz um etwas in den Windschatten zu kommen. Heute wird definitiv nicht mehr geflogen, zu viel Wind. Sacha und Helena planen ihre nächsten Walbeobachtungsflüge wenn sich das Wetter etwas beruhigt hat. Ich gehe allerdings lieber noch ein Deck weiter hoch, denn da ist die Aussicht besser. Raus aus dem Windschatten entstellt der Wind meine Gesichtszüge. Um das Schiff fliegen spielerisch Kapsturmvögel und Schwarzbrauenalbatrosse. Am Horizont erkennt man die gletscherdurchzogene Küste von Elephant Island. Zwischen der Gischt werden Wale und Pinguine heute leider nur schwer zu erkennen sein, in den Vortagen wimmelte es hier aber von ihnen. Ein Eisberg treibt nur wenige hundert Meter am Schiff vorbei. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 9:50.

Leser:innenkommentare (2)

  1. Inga

    Wir lieben den Pinguin! Und unser Dugong wäre supergern sein Brieffreund. Ist zwar ne total andere Klimazone, aber das hat ja seine Reize-liebe Grüße vom Team „Plötzlich Wissen!“ aus Deutschland.

  2. BENEDIKT GREWER

    Ahoi Polarstern.Ich möchte ein großes Dankeschön der gesammten sagen .Bei der schweren Arbeit,so einen guten Bericht noch fertig zu stellen.Weiterhin viel Erfolg,und gutes Gelingen bei dem Studium!Kommt ALLE gesund und voll guter Gedanken wieder nach >>Old Germany,Benedikt Grewer

Schreibe einen Kommentar zu BENEDIKT GREWER Antworten abbrechen

Verwandte Artikel