Extraterrestrische Vakuum-Bedingungen ermöglichen Gas-Messungen unter Wasser?

MIMS auf dem Arbeitsdeck. Foto: Martina Wilde

Von Martin Wilde |

Bevor Frank Schätzing seinen – im ersten Teil sehr wohl naturwissenschaftlich basierten – über 1000 Seiten dicken Erfolgs-Science Fiction „Der Schwarm“ veröffentlichte, gab es wohl nur wenige Menschen, die Details über die sogenannte Gas Hydrat Stabilisations Zone (GHSZ) und insbesondere Methan-Hydrate, also Methan, das in gefrorenem Wasser eingelagert ist, wussten. Im Buch taucht tatsächlich ein realer Experte der Tiefsee-Community auf, der den Autor offensichtlich durch sein Fachwissen über Gashydrate zur Beschreibung eines Szenarios motivierte, bei dem Bakterien das Methanhydrat abbauen und damit den Kontinentalabhang des norwegischen Schelf so destabilisieren, dass ein Tsunami über die Norwegische Küste bis tief ins Innere des Landes hereinbricht.

MIMS vor Spitzbergen. Foto: Stefan Sommer

Hier, vor der Küste von Spitzbergen, in der Region, wo der arktische und der atlantische Ozean aufeinander treffen, wird Methanhydrat nicht von Bakterien abgebaut, aber es kommt entlang eines 25 km langen Abschnitts am oberen Rand der GHSZ in ca. 400 m Wassertiefe zu einer starken Freisetzung von Methan aus dem Meeresboden in die Wassersäule. Da man diese Ausgasungen bereits mithilfe von Echolot vermessen hat, ist hier also der ideale Einsatz- und Testort für das „Unterwasser-Membran-Einlass-Massenspektrometer (UW-MIMS)“, welches im Rahmen von ROBEX vom GEOMAR entwickelt worden ist. Mit diesem UW-MIMS ist es möglich, nicht nur das Vorkommen von Ausgasungen nachzuweisen, sondern sogar die Gasmengen zu quantifizieren.

Finetuning am MIMS. Foto: Martina Wilde

Die Kollegen um Dr. Stefan Sommer und Dr. Mark Schmidt hatten bei dieser Fahrt – wegen der relativ leichten Handhabung des Gerätes beim Ausbringen ins Wasser – die eher ungeliebten Experimentierzeiten in der Nacht zugewiesen bekommen. Bei ihren insgesamt 4 Einsätzen von jeweils etwa 3 Stunden reiner Messzeit wurde das UW-MIMS vom Schiff „geschleppt“. Hört sich im Zusammenhang mit einer solchen High-Tech-Anlage schon erstaunlich genug an. Noch erstaunter und voller Bewunderung bin ich aber darüber, wie robust das Hochpräzisionsmessgerät , das tagsüber etwas unscheinbar und bescheiden auf dem Arbeitsdeck stand, ab und zu, im „Eifer des Gefechts“, beim Aus- oder Einbringen der Robotersysteme schnell mal aus dem Weg gerollt werden musste, den manchmal etwas rauen Einsatzbedingungen von Wind und Welle widerstand.

Aber zurück zum „schleppen“: das UW-MIMS wurde also in 400 bzw. in 90 Meter Tiefe gelassen und das Schiff zog es dann mit maximal 0,5 Knoten (1 Knoten entspricht 1,852 km/h) Geschwindigkeit auf einem vorher von den Wissenschaftlern definierten Kurs durch das zu vermessende Gebiet. Die Gase, die dort im Wasser aus dem Boden ausperlen, dringen durch eine Membran in das UW-MIMS ein, dort werden sie getrennt, so dass letztendlich nur das Methangas den Weg bis zum Herzstück des Gerätes, der Messkammer findet. Dabei liefern sich im Inneren des eher unscheinbaren Gerätes extreme Kennzahlen einen Wettstreit: mit 90.000 Umdrehungen in der Sekunde sorgt die Turbopumpe für ein Hochvakuum in der Messkammer; die 10-6 mbar in dieser Kammer stehen wiederum dem Außendruck von 40 bar bei 400 Meter Wasser Tiefe gegenüber. Damit muss dieses UW-MIMS höheren Druckunterschieden standhalten als sämtliche Raumfahrtgeräte, die während des Baus maximal dem normalen Umgebungsdruck auf der Erde ausgesetzt sind und dann außerhalb der Atmosphäre auf Hoch-Vakuum treffen.

MIMS auf dem Arbeitsdeck. Foto: Martina Wilde

Ihre Laptops aufgeschlagen haben die Wissenschaftler um Dr. Stefan Sommer im sogenannten Windenleitstand, wo sie nachts während der geschleppten Messung nicht nur online die Messdaten zum Methangas in der Wassersäule, sondern auch Bilder von der unten dem Gerät angebrachten Kamera verfolgen konnten. Nach anfänglichen Problemen mit einer der Pumpen sind sie in der Zwischenzeit voll des Lobes und stolz auf das äußerlich eher unauffällige, aber innerlich hoch komplexe und ehrgeizige neuartige In situ-Messinstrument , dass es mit extremem und extrem unterschiedlichem Druck in seinem Inneren und dem Äußeren aufnimmt und während der PS108 Tour auf Polarstern wertvolle Daten aufgenommen hat.

Ich selbst habe – lange bevor ich auch nur ahnte, dass ich einmal Koordinatorin einer Allianz aus Raumfahrt- und Tiefseeforschung sein würde – das Buch „Der Schwarm“ verschlungen wie selten einen Science Fiction. Und ich bin in besonderer Weise davon fasziniert, dass im Rahmen von ROBEX innovative robotische Geräte und Instrumente entwickelt wurden, die uns helfen werden, weit über die Fiktion hinaus das Thema Gashydrate und Ausgasungen zu verstehen, einzuordnen und letztendlich zum Beispiel in Klimamodelle eingehen zu lassen.

Martina Wilde

Koordinatorin der Helmholtz Allianz ROBEX

Leser:innenkommentare (2)

  1. Claudia Zywietz

    Da bin ich doch ein wenig stolz, dass das Vakuum-Experiment der Plasmakristallforschung auf der Internationalen Raumstation von Anfang der 2000er Jahre, bei dem ich (bei damals noch Kayser-Threde) im Projekt mitarbeiten durfte, nun seinen Weg in die Meeresforschung gefunden hat. Eine spannende Sache.

  2. Martina Wilde

    Das freut mich sehr! Ich selbst habe beim DLR 1990 beim DLR mit der D-2 Mission angefangen!
    Viele Grüße, Martina Wilde

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