Von Ulrich Küster | Auch wenn diese Forschungsarbeit mir als Fernerkundler bisher eher unbekannt war, machen sich Arktisforscher tatsächlich liebend gerne die Finger schmutzig. Auf dieser Expedition insbesondere beim Fischen, denn die Biologen um Fahrtleiter Hauke Flores wollen den Polardorsch fangen, der im arktischen Ozean und rund um Spitzbergen lebt. Dabei geht es nicht um „haushaltsübliche“ Mengen, sondern eher um mehrere Hunderte, denn das Interesse am Polardorsch in der Forschungs-Community ist groß. Bereits in der Vorbereitung der Expedition ist klar, welches Institut wie viele Fische, oder welche Teile des Fisches bekommen soll.
Der Polardorsch kommt in verschiedenen Meerestiefen vor, daher werden an Bord der Polarstern auch verschiedene Netze verwendet: im freien Wasser ein handelsübliches Grundschleppnetz, das „Bottom Trawl“; direkt unter dem Eis das definitiv markanteste Netz, das SUIT (Surface and Under Ice Trawl), von der Besatzung liebevoll „Kampfwagen“ getauft. Der Name liegt nicht allzu fern, denn der zwei Meter hohe und knapp vier Meter lange Metallrahmen des SUITs ist an der Oberkante mit mehreren Autoreifen bestückt, die dafür sorgen, dass der Rahmen nicht unter dem Eis hängen bleibt. Das SUIT ist eine Erfindung aus den Niederlanden. Die Erfinder stehen bei jeder SUIT-Fahrt gespannt an Deck und hoffen, dass es heile wieder an Deck kommt. Unter dem Eis bilden sich durch Druck auf den Schollen teils mächtige Presseisrücken, an denen das Netz hängen bleiben kann. Falls es nach dem Einholen nicht mehr einsatzfähig ist, wird in Windeseile geschweißt und gebogen, bis es wieder in seiner ursprünglichen Form ins Wasser gelassen werden kann.
Mit dem Verlassen des dichten Meereises östlich von Spitzbergen und einer Vielzahl von insgesamt erfolgreichen, aber mit eher wenigen Polardorschen belohnten Einsätzen des SUIT-Netzes, sollte also wieder der Bottom Trawl ins Wasser gehen. Nach Beendigung der Vielzahl an nächtlichen Eisstationen hatte ich zum Ende der zweiten Juli-Woche meinen Schlafzyklus wieder einigermaßen hergestellt und wollte die Fischerei nun auch endlich mal aus der Nähe sehen.
Beim Aussetzen des Netzes bin ich neben den Matrosen der einzige Wissenschaftler. Die Biologen haben das Aussetzen inzwischen schon oft genug gesehen. Der spannende Teil beginnt auch erst nach knapp 20 Minuten, wenn das Netz wieder eingeholt wird.
Rostiger Eisenstaub steigt auf, wenn die mehrere Hundert Kilogramm schweren, runden Bodengewichte des Netzes wieder über das Deck schrammen. Die Staubwolken auf nassem Grund irritieren aber die wenigsten, denn der interessante Teil kommt direkt dahinter: das Netz. Wie Kinder an Weihnachten blicken nun Mannschaft und Wissenschaftler auf die Rampe am Heck der Polarstern. Langsam zieht sich das Netz über das Deck, man sieht Seesterne, Krabben und vereinzelte Fische, bis das Netz dann ganz an Bord liegt. Sobald der Steert, das Ende des Schleppnetzes, geöffnet ist, stürzen sich die Biologen mit Körben und Eimern auf den Fang – und siehe da: Dieses Mal ist endlich auch eine stattliche Menge Polardorsch dabei!
Zwischendrin muss dann mal kurz der Helm festgehalten werden, weil der Helikopter von einem Messflug zurückkommt. Wer glaubt, dass auf der Polarstern alles ganz entspannt nacheinander gemacht wird, liegt sehr falsch. Nach so vielen Wochen ist der Umgang mit den verschiedenen Arbeitsbedingungen für alle aber schon Routine und nach den Sekunden der Landung wird bereits weiter der Fang sortiert.
Vom Deck geht es durch das Labyrinth des Schiffes zwischen Kühlcontainern hindurch in das Fischlabor. Der Fang wird gewogen, die Länge der Fische wird gemessen und es werden Gewebeproben in kleine Fläschchen sortiert. Für den Polardorsch ist bereits ein OP-Tisch vorbereitet. Bei ihm werden noch sämtliche Organe entnommen und ebenfalls in kleinen Fläschchen mit Alkohol konserviert. Die Stimmung bei den Fischern bleibt an diesem und auch an den folgenden Tag gut. „Heute fangen wir wie verrückt!“ ruft mir ein grinsender Biologe zu, als er mit Eimern voller Dorsch an mir vorbeigeht. Als ein letztes Mal das Netz an Bord kommt, sind mehrere Hunderte Exemplare Polardorsch gefangen worden. Biologen und Mannschaft können aufatmen, jetzt wo vier arbeitsreiche Wochen auf dem Deck und im Labor beendet sind und sich viele Forscher auf gesunde Polardorsche freuen können.
Das Interessante für die Biologen ist, wie sich der Polardorsch im Ökosystem verhalten wird, wenn andere Arten wie der atlantische Kabeljau aufgrund der Klimaveränderung immer weiter nordwärts wandert und dem Polardorsch das Revier streitig macht, und was das dann für das gesamte Ökosystem bedeutet.
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