Begegnung mit dem Eis

Pinguine beobachten das Schiff aus sicherer Entfernung. Foto: Emilio Riginella
Das erste Eis driftet bei Nebel an Polarstern vorbei. Foto: Yasemin Bodur
Das erste Eis driftet bei Nebel an Polarstern vorbei. Foto: Yasemin Bodur

Von Yasemin Bodur

Am 12.12. driften ab dem 55. Breitengrad die ersten Vorboten der Antarktis an den Bullaugen unserer Kammern vorbei. Der Himmel ist mit dem Nebel zu einer grauweißen Suppe verschmolzen, und immer mehr von uns streifen sich das Polarequipment über, das wir vom AWI bekommen haben. Zuerst kaum von den schäumenden Wellenkämmen der See zu unterscheiden, werden die wandernden Eisbrocken immer massiver und gewaltiger. Mehr und mehr Eisblöcke, in immer skurrileren Formen, schälen sich aus dem Nebel und treiben wie schaukelnde, weiße Geisterschiffe durch eine Wüste aus Wellen und Eis.

Morgens scheint sich das Meer noch dagegen zu sträuben, Polarstern in seine südlichsten Breiten zu lassen. Die Eisbrocken, die bedrohlich im Wasser hängen, ragen wie kleine Festungen aus dem Meer, die einen Vorgeschmack auf die Gewaltigkeit geben wollen, die uns noch erwartet. Gegen Abend aber entspannt sich die See.

Die Schelfeiskante ist fast erreicht. Foto: Yasemin Bodur
Die Schelfeiskante ist fast erreicht. Foto: Yasemin Bodur

In dieser Nacht durchbrechen wir die Eiskante. Neben der Besatzung trifft man ab dem nächsten Morgen deshalb auch die Eisobservierer, kurz „Eisobs“ genannt. Die Obs bilden einige Wissenschaftler und Studenten, die von unserer Eisphysikerin Steffi in vier-Stunden-Wachen eingeteilt werden. Sie müssen auf der Brücke stehen und abschätzen, wieviel Masse unter den Eisklötzen und –platten steckt, die am Schiff vorbeidriften. Durch diese Abschätzungen können Aussagen über die Verteilung des Eises getroffen werden.

Mittlerweile merkt man langsam, dass die Polarstern ein Eisbrecher ist. Mit seinem Gewicht schiebt sich das Schiff auf die Eisfläche und drückt sich auf die strahlend weiße Fläche. Verschieden große Risse ziehen sich wie Blitze vom Schiff weg und geben das dunkle, tiefe Wasser unter der weißen Decke preis. Auch im Schiff ist die Wucht zu spüren. Durch das Eisbrechen jagen kleine Erdbeben vom Bug bis zum Heck durch das Schiff, und in den unteren Decks kann es auch mal ordentlich donnern.

Pinguine beobachten das Schiff aus sicherer Entfernung. Foto: Emilio Riginella
Pinguine beobachten das Schiff aus sicherer Entfernung. Foto: Emilio Riginella

Am Donnerstag, den 17.12. kommen wir dann endlich an der Schelfeiskante an, ungefähr am 70. Breitengrad. Das Eis wurde in den letzten fünf Tagen immer dichter, immer unendlicher. Jetzt liegt das Schiff zwischen mehreren Tafeleisbergen, die vielleicht 30, 40 Meter hoch in den Himmel reichen. Kaum vorstellbar, dass dieser Anteil, den wir über Wasser sehen, höchstens 20 Prozent der Gesamtmasse der Kolosse ausmacht. Das Wetter hat sich so weit beruhigt, dass sich das Meer ab und zu aalglatt unter der Polarstern ausbreitet, und sich die Eisschollen im Wasser spiegeln. Bei den draußen herrschenden Temperaturen zünden mittlerweile die Schmerzrezeptoren im Gesicht und an den Händen, sodass wir uns immer dicker in unsere Polarklamotten einzwiebeln. Nicht mehr weit in der Ferne, fast „greifbar nah“ können wir bei guter Sicht schon die Neumayer-Station auf dem Schelfeis ausmachen. Wir sind am antarktischen Festland so gut wie angekommen.

Polarstern fährt Schmetterling: Wir versuchen, uns einen Weg durch das Eis zum Ziel (roter Punkt) zu brechen, und müssen dafür mehrmals abdrehen, Anlauf nehmen, eisbrechen- abdrehen, Anlauf nehmen, eisbrechen… Die graue Linie zeigt die Schelfeiskante. Foto: Patricia Burkhardt-Holm
Polarstern fährt Schmetterling: Wir versuchen, uns einen Weg durch das Eis zum Ziel (roter Punkt) zu brechen, und müssen dafür mehrmals abdrehen, Anlauf nehmen, eisbrechen- abdrehen, Anlauf nehmen, eisbrechen… Die graue Linie zeigt die Schelfeiskante. Foto: Patricia Burkhardt-Holm

Unser Ziel ist es, zu einem Liegeplatz der Neumayer-Station zu gelangen. Das Schiff ist mit Versorgungsgütern beladen, die zur Station gelangen müssen, außerdem werden vier Wissenschaftler mit an Bord gehen, die dann im Drescher-Inlet ausgesetzt werden, um eine Beobachtungsstation für Robben aufzubauen. Diese Aufgabe gestaltet sich allerdings nicht ganz einfach: So kurz vor dem ersten Ziel dieser Expedition versperrt uns festes, aufgetürmtes Eis wie Stacheldraht den Weg. Und so rammt Polarstern Keil um Keil in die Eismatte, und versucht sich einen Weg zum Anleger freizukämpfen. Der ein oder andere Pinguin beobachtet uns dabei. Für die Belegschaft des Schiffs heißt es aber erst einmal: Abwarten und hoffen.

Bis dahin,

Yasemin Bodur, vom Senckenberg am Meer Wilhelmshaven

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