Interkalibration am Nordpol

Polarstern und Healy am 7.9.2015 am Nordpol. Foto: Stefan Hendricks

Von Ursula Schauer |

Am 7. September 2015 erreichte Polarstern den geographischen Nordpol. Schon von ferne sahen wir schemenhaft ein anderes Schiff dort: Das US-amerikanische Küstenwachschiff CGC Healy.

Fröhlich aufgekratzte Stimmung auf der Brücke beim Anlaufen des Nordpols. Foto: Stefan Hendricks
Fröhlich aufgekratzte Stimmung auf der Brücke beim Anlaufen des Nordpols. Foto: Stefan Hendricks

Steuermann Igor Hering fuhr durch eine geschlossene Eisdecke langsam die Position 90°N an, bis sich das Schiff um 20:36 Uhr genau auf dem Pol befand. Die Kompassanzeige drehte sich ordnungsgemäß wild im Kreis, und viele andere Displays konnten nun zeigen, ob ihre Softwares 90 Grad Nord im Repertoire haben oder nicht. Auf der Brücke herrschte großer Auftrieb, es gab Geschnatter und Gelächter, glückliche Gesichter und gefühlte zweitausend Fotos.

Die Anzeige des „Chartpilot“ auf der Brücke am 7.9.2015 um 20:36 Uhr. Der Abstand der Linien für die geographische Breite ist 180 m. Foto: Moritz Langhinrichs
Die Anzeige des „Chartpilot“ auf der Brücke am 7.9.2015 um 20:36 Uhr. Der Abstand der Linien für die geographische Breite ist
180 m. Foto: Moritz Langhinrichs

Es gab auch betont gelassene Gesichter, denn einige Besatzungsmitglieder sind schon zum vierten Mal mit Polarstern am Nordpol. Polarstern war das erste Mal 1991 in Begleitung des schwedischen Eisbrechers Oden am Pol, dann 2001 zusammen mit dem amerikanischen Eisbrecher Healy und 2011 alleine. Mit dem letzten Besuch in 2014 und nun unserem Besuch nur ein Jahr später werden Forschungsarbeiten am Nordpol fast zur Routine.

Die Healy war bereits ein paar Tage am Nordpol. Auch sie hat ca. 60 Wissenschaftler an Bord, die wie wir ein umfangreiches ozeanographisches Programm absolvieren. Unser Forschungsprogramm ist mit dem der Healy eng verknüpft und aufeinander abgestimmt. Die Healy arbeitet auf zwei langen Transekten im Pazifischen Sektor der Arktis, während wir mit unserem Stationsnetz den Eurasischen Teil abdecken. Auf beiden Schiffen werden neben hydrographischen Messungen umfangreiche Spurenstoffanalysen durchgeführt, um den Kreislauf dieser Stoffe auch im Arktischen Ozean zu untersuchen. Diese Arbeiten sind ein Beitrag zum internationalen Programm GEOTRACES, mit dem die globale Bilanz für Spurenstoffe erstellt werden soll (siehe Zusammenfassung der Expedition und Wochenbericht 2 sowie www.geotraces.org). Durch die Kombination unserer zeitgleich stattfindenden Expeditionen in der Arktis, die noch durch kanadische Arbeiten ergänzt werden, werden große Teile des Arktischen Ozeans im gleichen Sommer und damit synoptisch untersucht.

Polarstern und Healy am 7.8.2015 am Nordpol. Foto: Stefan Hendricks
Polarstern und Healy am 7.9.2015 am Nordpol. Foto: Stefan Hendricks

Für viele Stoffe kann die Konzentration im Ozean erst seit Kurzem durch neuartige Analysemethoden genau bestimmt werden. Daher sind Vergleichsmessungen unterschiedlicher Labore an derselben Position im Ozean von unschätzbarem Wert um zu beurteilen, ob unsere arktisweiten Messungen die räumlichen Unterschiede richtig aufzeigen oder ob diese durch Unterschiede in der Methodik der Labore verzerrt werden. Solche Vergleichsstationen in der eisbedeckten Arktis am gleichen Ort zu organisieren, ist nicht einfach. Diese Vergleichsmessungen auch noch zeitnah, das heißt, im gleichen Sommer stattfinden zu lassen, ist eine strategische Herausforderung. Dass diese Vergleichsmessungen noch dazu genau am gleichen Tag stattfinden können, ist jenseits jeglicher vernünftigen Planbarkeit. Wenn dann aber diese Messung zur gleichen Zeit am gleichen Ort auch noch am Nordpol stattfindet, dann verleiht das der Forschung einen kleinen Zauber, der für alle Teilnehmer an Bord beider Schiffe weit über die eigentliche Fahrt hinaus wirkt und den daraus gewonnenen Erkenntnissen einen besonderen Stempel aufdrückt.

Polarsternfahrer auf dem Weg zur Healy. Foto: Stefan Hendricks
Polarsternfahrer auf dem Weg zur Healy.
Foto: Stefan Hendricks

Aber auch wenn wir nicht aus symbolischen Gründen am Nordpol sind, sondern weil uns unser Forschungsprogramm hierher geführt hat, gab es natürlich auch Feierlichkeiten. Die Vorbereitungen dazu liefen schon seit Tagen: ein Wegweiser mit Schildern und der Entfernung zu allen Heimatorten wurde gebastelt, Fahnen wurden gebügelt und Glühwein wurde aufgeheizt. Endlich waren wir an der gleichen Scholle fest, an der auch die Healy lag, und alle – bis auf die Wachgänger – gingen zusammen aufs Eis und spazierten oder kugelten, je nach Temperament, durch den Schnee. Und dann setzte natürlich der Besuchsverkehr zwischen den Schiffen ein.

Nach vorsichtigen Anfragen (immerhin ist ein Küstenwachschiff eine militärische Plattform) war schnell klar, dass gegenseitige Besuche auf beiden Schiffen höchstwillkommen waren. Nun gab es kein Halten mehr. Ströme von Besatzungsmitgliedern und Wissenschaftlern pilgerten in beiden Richtungen über das Eis, wurden auf der jeweiligen andern Seite mit großer Herzlichkeit in Empfang genommen und mit Leidenschaft übers jeweils eigene Schiff geführt: durch Labore, Messen und Kammern, von der Brücke bis in den Maschinenraum. Mancher traf alte Bekannte und neue Forschungspartner und konnte sich über wichtige Arbeitsfragen direkt im Gespräch austauschen.

… und unser Gegenbesuch von der Healy auf dem Weg zu uns. Foto: Moritz Langhinrichs
… und unser Gegenbesuch von der Healy auf dem Weg zu uns. Foto: Moritz Langhinrichs

Nach ein paar Stunden ging jeder wieder „nach Hause“; für die Amerikaner war es Nachmittag und für uns war es immerhin bereits früher Morgen, weshalb auf Polarstern alle erfüllt von dem schönen Tag in die Koje sanken – bis auf die Wachgänger der Mannschaft natürlich und vor allem diejenigen, die noch bis weit in den Tag hinein die Interkalibrationsstation fuhren – glücklich in dem Bewusstsein, damit einen unschätzbaren Datensatz zu gewinnen.

Austausch zwischen Healy- und Polarsternforschern im Labor auf Healy. Foto: Andreas Krell
Austausch zwischen Healy- und Polarsternforschern im Labor auf Healy. Foto: Andreas Krell
Sven Ober, unser Experte für Wasserschöpfer, begutachtet die Rosetten auf Healy. Foto: Andreas Krell
Sven Ober, unser Experte für Wasserschöpfer, begutachtet die Rosetten auf Healy. Foto: Andreas Krell

Leser:innenkommentare (1)

  1. Historic crossover meeting in the North Pole – GEOTRACES

    […] (top) USCGC Healy and RV Polarstern at the North Pole, 7 Sept. 2015. ©Stefan Hendricks. Source: blogs.helmholtz.de; (bottom left) RV Polarstern; (bottom right) USCGC Healy. You can see scientists and crew walking […]

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