Kurz – kurz – kurz – kurz – kurz – kurz – kurz – LAAANG!

Was ist zu tun bei einer Havarie? Alarm-Übung an Bord der SONNE.

Das Schiffshorn donnert durch den gesamten Schiffsleib. General-Alarm! Für den Safety Drill gilt es jetzt, in Eile die unter unseren Betten versteckte Rettungsweste zu finden – und ordnungsgemäß anzulegen! Trotz Vorwarnung auf die Übungseinheit ist eine gewisse Konfusion unübersehbar. Durch welches Loch gehörte jetzt nochmal der Kopf…? So mancher verstrickt sich zunächst einmal in den mannigfaltigen Heftverschlüssen seiner Weste. Und als unsere Namen am Sammelplatz – der Muster-Station auf Deck 5 – aufgerufen werden und jeder kurz die Seite angeben muss, auf der sich sein zugeteiltes Rettungsboot befindet, scheinen doch noch wieder einige zu zweifeln, ob Backbord bzw. Steuerbord nun links oder rechts bedeuten. Kurz darauf das nächste Signal: Kurz – lang – kurz – lang – kurz – lang – … Das Zeichen für den absoluten Notfall, gleichbedeutend mit der Evakuierung des Schiffs. Inzwischen hat sich die erste Aufregung aber gelegt, denn alle finden sich ordnungsgemäß vor den beiden Rettungsbooten ein. Die Schiffsleitung scheint jedenfalls mit unserer Performance zufrieden sein. Wir dürfen uns aus den Westen schälen und ein jeder verschwindet von neuem in seinem Forschungslabor…

UFZ-Doktorand Stefan Lips im Klimalabor II

Als ich zu Stefan Lips ins Klimalabor II trete, habe ich das Gefühl, als würde ich in den kühlen Ozean geworfen. Die hohe Luftfeuchtigkeit und der Temperatursturz haben ihren Grund: „Wir möchten die Umweltbedingungen für Plastikpartikel im Ozean hier so naturnah wie möglich darstellen“, erklärt uns der UFZ-Doktorand. Er ist gerade dabei, seine Sauerstoffmesskammern vorzubereiten. Der kleine schwarze Knopf, den Stefan mit der Pinzette an der Innenseite des Glasgehäuses platziert, ist der Sensorspot. Er wird später die Messdaten durch die Glaswand zum auf der Außenseite befindlichen Sensorkopf senden. „Sobald wir die ersten mit Biofilm bewachsenen Plastikpartikel aus dem Ozean haben, werde ich sie in die mit frisch abgepumptem Pazifikwasser gefüllten Messkammern platzieren und sie dann in meinen Inkubator einspannen.“

Stefans „Inkubator“ befindet sich vor uns auf dem Boden in einer offenen Edelstahlkiste. „Man kann ihn am besten als eine Mikro-Umwelt beschreiben, die es mir erlaubt, Umweltbedingungen nachzustellen und zu manipulieren,“ erläutert er und zeigt auf die an der aufgeklappten Wannendecke befestigte Lichtquelle: „Unsere Sonne!“ Durch die Kopplung an eine Zeitschaltuhr kann mit ihr ein Tag-Nachtrhythmus simuliert werden. Plötzlich versetzt sich der gesamte Inkubator in gleichmäßige Rüttelbewegungen. „Unser Schüttler“, stellt Stefan stolz das nächste Element seines Messinstruments vor. „Er hat eine Doppelfunktion: Zum einen wird er später garantieren, dass wir in den Messkammern eine homogene Durchmischung der Nährstoffe haben, damit die Versorgung des Biofilms ähnlich wie im Ozean erfolgt. Darüber hinaus sorgen die Schwingungen auch dafür, dass der von den Algen ausgestoßene Sauerstoff sich nicht nur in unmittelbarer Umgebung der Plastikoberfläche konzentriert, sondern bis zu unserem Sensorspot an der Glasinnenseite gelangt. Und gerade auf diese Messdaten habe ich es abgesehen“, präzisiert der Doktorand. „Ich möchte Erkenntnisse über den im Wasser gelösten Sauerstoff gewinnen, der im Zuge der Atmung der Organismen abnimmt bzw. durch Photosynthese zunehmen kann. Man kann sich die bewachsenen Plastikpartikel also als kleine Mikro-Riffe in einem Ozean vorstellen, auf denen u. a. Bakterien und Algen in Symbiose leben und daher mit Blick auf ihren Beitrag zur Produktivität des Ozeans sehr interessant sind.“ Als ich schon dachte, den Inkubator nun wirklich einmal in all seinen Facetten verstanden zu haben, zeigt Stefan auf ein letztes Bauteil seines detailliert durchdachten Messinstruments: „Die türkiesen Drehregler werden mir eine Temperatursteuerung des in den Messkammern befindlichen Ozean-Wassers erlauben. Auf diese Weise kann ich die vom Schüttler und der Lichtquelle ins System abgegeben Wärme wieder ausgleichen.“ Damit es endlich losgehen kann, fehlen also nur noch die Plastikpartikel! Der Wissenschaftler erwartet den morgigen Tag daher mit Ungeduld. Dann werden endlich erste Plastiksammler in die Tiefen des Ozeans geschickt, um hoffentlich mit erstem „Experimentier-Futter“ für seinen Inkubator zurückkehren…

Im Nasslabor instruiert Melanie Bergmann, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), den Rest des Teams für die bevorstehende Treibgut-Untersuchung.
Bei diesem sogenannten „Flotsam-Survey“ wird von Bord aus mit dem Auge eine Wasseroberfläche von ca. 10 Metern neben dem Schiff abgescant – bevorzugt auf der sonnenabgewandten Seite, um irritierenden Licht-Reflexen auf der Wasseroberfläche zu entgehen. In jeweils 1-Stunden-Schichten protokollieren die Forscher*innen dann ihre Beobachtungen so genau wie möglich: Material und Größe des treibenden Objekts sollen dabei genauso festhalten werden, wie der genaue Standort der Sichtung. Dabei hilft ihnen ein Hand-GPS-Gerät, das auf Knopfdruck die jeweiligen Koordinaten festhält. „Es handelt sich bei diesem Messverfahren um eine relativ einfache, ohne viel Aufwand umsetzbare Methode,“ erläutert Melanie die Vorteile des Flotsam-Surveys. „So viele Gegenstände könnte man anders überhaupt nicht beproben und wir nutzen bei dieser On-the-way Messung gleichzeitig die Fahrtzeit zwischen den Stationen. Das Schöne ist, dass wir sofort Daten haben und nicht erst auf eine Auswertung im Labor in Deutschland warten müssen.“

 

Am Ende des Tages lesen sich die Ergebnisse wie folgt: Wir haben relativ wenige Objekte gesichtet, durchschnittlich 9 pro Stunde. Die Identifizierungen reichen dabei von einer 1,5 Meter großen Plastikfolie, über Flaschen bis hin zu diversen ca. 5 cm großen, nicht näher bestimmbaren Bruchstücken. Unsere aufmerksame Beobachtung wurde allerdings auch mit der Sichtung von drei Mondfischen, Delfinen und Haien belohnt. In den Folgetagen werden regelmäßig weitere Treibgut-Untersuchungen folgen, die protokollierten Daten anschließend noch digitalisiert und kartografiert.

 

Melanie Bergmann, AWI

 

„Wir sind jetzt natürlich alle gespannt, inwieweit die Dichte an Treibgut ansteigen wird, je mehr wir uns dem nordpazifischen Müllstrudel nähern“, wagt Melanie einen Blick in die Zukunft. Die verwandte Begrifflichkeit liegt ihr dabei besonders am Herzen. „Die in den Medien gern benutzte Bezeichnung North-Pacific Garbage Patch ist irreführend, genauso wie die Rede von einem siebten Kontinent.“ Derartige Begriffe würden nach Melanie Bilder in den Köpfen der Menschen erzeugen, die mit der Realität wenig zu tun hätten. „Sie suggerieren, dass es sich hierbei um einen zusammenhängenden Müll-Teppich handelt, der einfach in einem Stück abgefischt werden könnte. Tatsächlich ist die Verteilung der Plastikobjekte nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand aber auch in diesem Gebiet viel verstreuter.“ Werden wir also bald auf unregelmäßig verteilte Plastik-Ansammlungen stoßen oder vielleicht doch auf einen regelrechten Teppich? In voraussichtlich drei Tagen dürften wir die ersten Ausläufer des Plastikstrudels erreichen …

 

Leser:innenkommentare (4)

  1. Dana

    Lieber Roman, danke für die tollen Fotos und Texte bisher! ich habe jedes Mal das Gefühl, mir weht salzige Luft um die Nase…
    Viele Grüße an Alle, ich drücke die Daumen das alles so läuft wie geplant!!!

  2. Ilsemarie Weber

    Liebe Melanie,
    es ist schon beeindruckend, euch auf diese Weise ein wenig auf eurer Reise und bei eurer Arbeit folgen zu können – und zu lernen, z.B. das es sich nicht, wie auch ich mir vorgestellt hatte, um einen zusammenhängenden Müll-Teppich handelt.
    Weiterhin eine gute, ruhige Reise und viel Erfolg, Ilsemarie

  3. Miteinander (Teil II)

    […] Christoph unsere zu Beginn kennengelernte Biologin Mechthild Schmitt-Jansen sowie der Hydrobiologe Stefan Lips, die zur Ökosystemleistung des Biofilms forschen,  also zum Beispiel an dessen Fotosyntheserate […]

  4. Miteinander (Teil I)

    […] Veränderung des Biofilms durch Kontakt mit anderen Mikroorganismen vermieden. Inzwischen ist mit Stefan Lips noch ein weiterer Kollege vom UFZ eingetroffen. Zu dritt wird der Biofilm nun filetiert, die […]

Schreibe einen Kommentar zu Ilsemarie Weber Antworten abbrechen

Verwandte Artikel