Der Tag des Wassertropfens

Auf diesem Foto sehen Sie KEINE Wassertropfen. Ich zeige Ihnen dieses Foto, weil heute der 8. Juni, der Tag des Meeres, ist. Und weil ich an diesem Tag zunächst lieber über einen unscheinbaren Wassertropfen schreiben wollte, als über das große, weite Meer. Bevor mir dann bewusst wurde, dass ich eigentlich auch über Wassertropfen kein Wort verlieren wollte …

Eine Woche dauert nun unsere Pazifik-Expedition auf dem Forschungsschiff SONNE. Ich habe bisher und werde bis zu unserer Ankunft in Singapur mein Bestes geben, um Ihnen ein bescheidenes Schlüsselloch zu sein, Sie teilhaben zu lassen an unserer Welt, in der jeder Tag reich gefüllt ist mit den mannigfaltigsten Eindrücken. Gewiss könnte man versucht sein, Sie an einem internationalen Aktionstag wie dem „World Oceans Day“ mit einer Galerie der spektakulärsten Momente unserer ersten Woche zu beeindrucken: Der Moment etwa, an dem man, in gleißend-gelbes Scheinwerferlicht der Nachtschicht getaucht, seine Hände in lehmige Sedimente gräbt, die der Multicorer, eine futuristisch anmutende Tiefseesonde, soeben aus mehr als 5000 Metern Tiefe an die Oberfläche befördert hat. Aber dieses Bild wäre geschminkt. Jene Momente aus dem Gewebe ihres Alltags herausreißen, um sie aneinandergereiht im Spotlight einer „Best of“ Galerie zu präsentieren, würde weder dem verästelten Wirken der Wissenschaftler noch dem eigenwillig-charmanten Zusammenwachsen zwischen Forscherteam und Schiffsbesatzung gerecht.

 

Glaucus Atlanticus; Foto: Gritta Veit-Köhler

Ich frage den blauen Drachen neben mir, was er vom Tag des Meeres hält. Aber er bleibt stumm. Das Filternetz unseres Katamarans hat ihn heute zusammen mit einer bunten Horde Plastikpartikel aus dem legendären „Great Pacific Garbage Patch“ gefischt. Vielleicht verweigert der Glaucus Atlanticus mir die Antwort, weil er sich einfach keinen Deut um den gigantischen Ozean schert. Hat er mit 5 Millimeter Länge doch bequem in einem (großen) Regentropfen Platz.

Es ist gut, dass es Tage wie den „Word Oceans Day“ gibt. Psychologisch sind wir Menschen vielleicht einfach so verknotet, dass uns Gedenkfeiern, Geburtstage und ähnliches helfen, uns zu orientieren und gewisse Dinge nicht aus den Augen zu verlieren. Und trotzdem fühlt es sich gerade so an, als würde ich heute zum Ozean und selbst zum Regentropfen lieber schweigen und anstatt dessen an allen anderen Tagen des Jahres ein kleines bisschen verantwortungsvoller mit allem Wässrigen umgehen.

 

 

Das linke Foto, auf dem Sie keine Wassertropfen, sondern unter einer Folie gefangene Luftblasen sehen, zeigt einen kleinen Ausschnitt eines unserer Mesokosmen;  jene mit Pazifikwasser durchflutete Experimentierwannen, in denen die Wissenschaftler die Alterung von Polymeren bei unterschiedlichsten Bedingungen erforschen. Erlauben wir es uns, der Poesie des Alltäglichen und Unspektakulären einen kleinen Platz am heutigen Aktionstag einzuräumen:  Das Foto könnte uns erzählen, dass Luft und Wasser – das Element, in dem wir Menschen atmen, und jenes der Ozeane – zwar verschieden sind, aber zusammengehören.

 

Das Foto rechts zeigt Ihnen den sich vor uns öffnenden Pazifik am allerersten Tag unserer Reise. Die Grenze des Horizonts verschwunden, Himmel und Meer verschmolzen. Die Schiffe schlummern in einem vereinten Ort beider sonst klar getrennter Sphären.

Es ist gut, dass es einen „World Oceans Day“ gibt. Vielleicht nicht nur, um über das Meer zu reden. Vielleicht einfach nur, weil solche Tage eine Einladung an uns Menschen sind, Horizonte zu verschieben, ungewohnte Perspektiven einzunehmen und Getrenntes als Einheit zu betrachten.

 

 

Eine umfassende Foto-Dokumentation der Expedition siehe: https://www.instagram.com/roman.kroke/

Wochenberichte und Short Cruise Reports aus der Leitstelle der deutschen Forschungsschiffe: https://www.ldf.uni-hamburg.de/sonne/wochenberichte.html

Leser:innenkommentare (5)

  1. Franz Veit-Köhler

    Seit Jahren habe ich immer wieder via Internet an Forschungsreisen meiner Tochter Gritta Veit-Köhler mit der Polarstern in die Antarktis Teilnehmen dürfen. Für mich jedesmal ein spannendes Erlebnis. Nun ist sie zum ersten Mal in anderen Breiten unterwegs. Dank Ihrer Bilder und Berichte bin ich nun wieder ganz fasziniert und warte schon mit Spannung auf den nächsten Eintrag.
    Mein nächstes Nachschlagewerk ist schon in Arbeit.
    Vielen Dank Herr Kroke.
    Alles Gute und viel Erfolg bei dieser Reise, Franz Veit-Köhler und Ulla Veit-Köhler.

    1. Roman Kroke

      Sehr geehrtes Ehepaar Veit-Köhler,
      über Ihre Rückmeldung habe ich mich sehr gefreut, allerbesten Dank!
      Aquatische Grüße,
      Roman Kroke

  2. Uwe Machnitzki

    Danke für die Teilhabe auf der Sonne.
    Mein Sohn Tobias ist an Bord,und nicht ganz so schreibefreudig wie sie.
    Ich freue mich auf ihren nächsten Beitrag.
    Uwe

    1. Roman Kroke

      Lieber Herr Machnitzki,
      ich kann Ihnen versichern, dass Ihrem Sohn die Schreibfreude nicht vollends fremd ist – zumindest was seine Algorithmen betrifft, mit denen er den Launen der Atmosphäre nachspürt.
      Vielen Dank für Ihre Zeilen – es ist fabelhaft, ein Echo zu bekommen.
      Pazifischer Gruß,
      Roman Kroke

  3. Wir und die Mammuts

    […] habe mich mit Melanie heute zu diesem Gespräch verabredet, weil wir nach dem World Oceans Day morgen den zweiten internationalen Aktionstag während unserer Expedition erleben werden: Die […]

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