Rückkehr ins Lena-Delta nach mehr als 10 Jahren

200819_titel (Credit: NASA, Image provided by the USGS EROS Data Center)

Beitrag von Dr. Tina Sanders, Abteilung Aquatische Nährstoffkreisläufe

Nachdem ich im Sommer 2007 und 2008 jeweils Teile meines Sommers auf der Insel Samoylov im Lena-Delta (Nordostsibirien) verbracht hatte, um dort Daten und Versuche für meine Doktorarbeit zu erheben, bin ich diesen Sommer nach 11 Jahren wieder im Lena-Delta und auch auf Samoylov unterwegs. Meine Doktorarbeit befasste sich mit der Charakterisierung von Ammoniak oxidierenden Mikroorganismen, die auch in Permafrostböden vorkommen und dort sogar aktiv sind. Meine Doktorarbeit hatte ich bereits 2011 abgeschlossen und widmete mich danach eher dem Stickstoffkreislauf in gemäßigteren Breiten wie im Elbe Ästuar.

Im Rahmen des Projektes EISPAC habe ich nun die Möglichkeit, wieder in das Lena-Delta zu fahren und dort den Stickstoffkreislauf und Eintrag von reaktivem Stickstoff in den Arktischen Ozean zu untersuchen. EISPAC steht für Effects of ice stressors and pollutants on the Arctic marine cryosphere und ist ein Projekt im Rahmen des „Changing Arctic Ocean“ (CAO) Programms, das durch das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das britische Natural Environment Research Council (NERC) gefördert wird. Im CAO werden insgesamt 12 Projekte mit deutschen und britischen Partnern finanziert. Innerhalb des EISPAC Projektes untersuchen Wissenschaftler vom HZG gemeinsam mit britischen Kollegen von der Universität Lancester, der Universität in Ostengland (Norwich) und der CEFAS, das gemeinsame Verhalten und die Verteilung von Schadstoffen und Nährstoffen im Meereis. Dabei werden in einer Meereiskammer an der Uni in Norwich Versuche zum Verhalten diese Substanzen beim Einfrieren und Auftauen gemacht. Zusätzlich geht es aber eben auch um den Eintrag von Nährstoffe, hauptsächlich aus Flüssen, in den Arktischen Ozean. Hier bietet sich die Lena in Sibirien an.

Lena Delta mit markierten Messstellen im Sardakhskaya Kanal (Source: https://earthobservatory.nasa.gov/images/2704/lena-river-delta. Image provided by the USGS EROS Data Center Satellite Systems Branch. This image is part of the Landsat Earth as Art series.)

Ein weiteres Projekt, was innerhalb des CAO gefördert wird, ist das Changing Arctic Carbon cycle in the cOastal Ocean Nearshore (CACOON) Projekt. Im Mittelpunkt von CACOON steht der Kohlenstoff und das Untersuchungsgebiet dazu sind Flüsse in Sibirien, eben auch die Lena. Wir nutzen also die Gelegenheit im Rahmen der Sommerexpedition, gemeinsam den Kohlenstoff und Stickstoff zu untersuchen. CACOON wird auf der deutschen Seite von den Kollegen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Jens Strauss und Gesine Mollenhauer durchgeführt.

Auf der Sommerexpedition habe ich vor allem mit Olga Ogneva (AWI Bremerhaven), Matthias Fuchs (AWI Potsdam), Slava Polyakov (AARI St. Petersburg) und Waldemar Schneider (AWI Logistik) zusammengearbeitet und wir haben uns perfekt ergänzt. Wenn man in kurzer Zeit auf engsten Raum miteinander arbeitet, sollte man gut harmonieren. Das hat auf jeden Fall gepasst.

Olga und Matthias vom AWI, Projekt CACOON (Foto Tina Sanders / HZG)

Ziel meiner Expedition ist es, die Stickstofffracht aus der Lena in den Arktischen Ozean abzuschätzen. In den Permafrostböden entlang der Lena und auch im Delta selbst sind große Mengen Stickstoff organisch gebunden, vor allem in den Mooren der Tundra und im Delta meist in Polygonen. Polygone sind Landschaftsformationen, die durch Eisbildung in den Böden entstehen. Wenn der Boden gefroren ist, bricht er auf und es entstehen Risse und Ritzen, die sich wieder mit Wasser füllen und sich dann ausbreiten. An den Stellen mit diesen Eiskeilen hebt sich der Boden und es entstehen kleine Wälle, das Wasser fließt dann im Sommer von der Auftauschicht ins Zentrum des Polygons, wo sich Moore bilden. Das Wasser kann nicht weiter abfließen oder versickern, da es durch den darunterliegenden Permafrost gestaut wird.

Polygonale Tundra mit der alten Samoylov Station. Das Bild ist von 2008. Heute steht dort eine moderne russische Station. (Foto: Tina Sanders / HZG)

Durch Erosionsprozesse sowie den Tau- und Gefrierprozession gelangen große Menge Sediment und damit Kohlenstoff und Stickstoff in der Lena und werden über kurz oder lang in den Arktischen Ozean gewaschen. Teilweise lagert sich diese organikreiche Fracht im Fluss auch wieder auf den zahlreichen Überflutungsebenen und Sandbänken ab. Ich möchte nun wissen, wie viel Stickstoff im Fluss transportiert und umgesetzt wird, als Folge der Boden- und Sedimenterosion in die Lena.

Für den ersten Teil wurden Wasser- und Sedimentproben in einem langen Transekt im Lena –Delta und der angrenzenden Laptewsee genommen. Dabei ist interessant, dass sich in der Laptewsee das süße Lena Wasser, dessen Temperatur Anfang August zwischen 14° und 16°C beträgt, auf das salzige kalte Ozeanwasser schiebt. Wir haben also eine sehr starke Schichtung, d.h. oben trübes warmes Lena Wasser und unten klares, kaltes Meerwasser. Nur durch starke Sturmereignisse werden diese Wassermassen vermischt. An unserem Messtag hatten wir allerdings auch Glück, dass es kaum Wellen gab und wir diese unterschiedlichen Wasserschichten in der Laptewsee beobachten konnten. Im Gegensatz zu unserem Tag auf der Laptewsee ist die Nordsee häufig deutlich ungemütlicher.

Die Ausfahrten auf der Lena und in die Laptewsee sind nicht zu vergleichen mit den Fahrten unseres Forschungsschiffs  “Ludwig Prandtl” oder gar mit der RV “Meteor” oder RV “Sonne”, da die zur Verfügung stehenden Schiffe nicht primär für Forschungsaufgaben ausgerichtet wurden. Für die Fahrten auf der Lena konnten wir das Schiff “Merzlotoved” nutzen, das übersetzt so viel heißt wie „Permafrost-Wissenschaftler“. Das Schiff gehört zu dem Permafrost Institut in Jakutsk und war von Mitte Juni bis jetzt Mitte August im Delta unterwegs.

Unser kleines Forschungsschiff „Permafrost-Wissenschaftler“. Wir liegen an der Insel Sobo. (Foto Tina Sanders / HZG)

Das kleine Schiff hat eine Drei-Mann-Besatzung und zwei Räume zum Schlafen, Essen und Arbeiten. Also alles auf engstem Raum. Aber die Besatzung war immer bemüht, uns zu unterstützen. Der Kapitän sah es als sportliche Herausforderung, so weit wie möglich auf dem Sardakhskaya Kanal zu fahren, dem zweitgrößten Kanal der Lena in die Laptewsee Richtung Osten. Natürlich wird im Lena-Delta nicht die Fahrrinne immer wieder ausgebaggert und bereinigt wie zum Beispiel in der Elbe bis nach Hamburg. Durch den hohen Sedimenttransport gibt es immer wieder Untiefen und tiefere Fahrrinnen, die es zu finden galt. So haben wir ab und zu eine zusätzliche Schleife gedreht, um die tiefe Fahrrinne zu finden. So kamen wir mit der “Merzlotoved” fast bis in die Laptewsee, nur für die letzten 10 km benutzten wir zwei kleine Boote, um die Wasser- und Sedimentproben zu nehmen. Da diese natürlich keinen Anker haben, wurden wir während der Probennahme zu unserer Überraschung ca. 800 m durch die Strömung abgetrieben. Allerdings haben wir das natürlich in unseren Feldnotizen festgehalten.

Erste Messungen zeigen eine Zunahme der Nitratkonzentration, je weiter flussabwärts die Proben genommen wurden. Die Konzentrationen sind allerdings nicht mit den Werten in deutschen Flüssen zu vergleichen. Aber an der Lena gibt es im Norden ja schließlich auch keine Landwirtschaft mehr.

Die Fahrt in die Laptewsee war dann noch etwas spektakulärer. Wir sind mit der kleinen “Merzlotoved” auf Samolyov gestartet, um uns dann mit dem größeren Frachtschiff “Anatoliy Zhilinskiy” zu treffen. Dann mussten die ganzen Kisten, Material und Wissenschaftler umgeladen werden. Eine spannende Angelegenheit. Danach fuhren wir erstmal aus dem Delta raus und dann 100 km in die offene See, aber auch hier können wir nicht einfach geradeaus fahren, weil es am Rand des Deltas viele Untiefen gibt. Die Fahrt zum ersten Messpunkt hat dann eben anderthalb Tage gedauert. Die beste Idee war es, versuchen zu schlafen. Der „Komfort“ war dem eines russischen Frachtschiffs in der Arktis angepasst. Es gab dreimal am Tag Essen. Langsam habe ich mich mit dem russischen Kascha angefreundet, das ist alles Breiige, wie Griesbrei, Milchreis oder Buchweizen oder woraus man sonst Brei machen kann.

Wir hatten dann im Endeffekt nur einen einzigen Tag, an dem wir Proben genommen haben. Das war intensiv und inklusive gratis Fitnesstudio, denn Proben der Sedimentkerne und des Wassers wurden per Hand und nicht mit dem Kran genommen. Nach einem langen Arbeitstag sind wir wieder die ganze Nacht und einen Tag zurück zu unserer Verabredung mit der “Merzlotoved” gefahren. Die Fahrt zurück nach Samoylov hat dann nochmal 10 Stunden gedauert. Auf der Fahrt habe ich auch nochmal einige Wasserproben genommen, da wir auf dem südlicheren Kanal gefahren waren.

Auf Samoylov haben wir dann Zeit im modern eingerichteten Labor, um vor allem die Wasserproben aufzuarbeiten, zu filtrieren und anschließend einzufrieren.Die Messungen der Stickstoffkomponenten erfolgt erst nach dem Transport nach Deutschland. Die Fracht wird Anfang Dezember in Potsdam am AWI erwartet. Mit dem LKW aus Jakutsk über St. Petersburg nach Potsdam dauert so seine Zeit.

Filter aus dem Laptewsee-Transekt (Foto: Tina Sanders / HZG)

Die letzten zwei Wochen der Expedition verbringe ich jetzt auf der Station auf der Insel Samoylov und mache Inkubationsversuche mit Boden und Sedimenten im Lenawasser, um die Stickstoff-Abbauraten zu bestimmen, um den zweiten Teil meiner Fragestellung zu beantworten.

Neben der Arbeit genieße ich aber auch noch die wunderschöne Landschaft hier, einmal die Woche die russische Sauna (Banja) und die Abgeschiedenheit von der Hektik in der Großstadt.

Tina Sanders, Samoylov, Lena Delta, Sibirien

 

==> Forschungsstation Insel Samoylov (AWI Website)

==> Wochenbericht 07&08-2019 (AWI Website)

==> Wochenbericht CACOON Sea 01-2019 (AWI Website)

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