Land in Sicht!

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Nach elf Tagen unterwegs auf Schelf und Schild kamen wir uns heute vor wie Segler auf dem Ozean: Vor uns tauchte eine Insel auf! Eine echte Insel im Meer aus Eis. Ein Punkt am Horizont, mit dem man navigieren kann und dank dessen man nicht immer nur auf das GPS starren muss, um nicht vom Kurs abzukommen (das mag der Streamer nämlich nicht). Wir nähern uns dem Gebirge, das das Eis des antarktischen Inlandsplateaus samt Kohnen zurückhält. Ragt ein Gipfel noch ein kleines bisschen über das Eis auf, so heißt er Nunatak. Wir werden uns den Nunatakern an den nächsten Tagen noch nähern, dann gibt es auch sicher noch Fotos. Aber der Reihe nach …

Gestern war einer dieser Tage, von denen wir zum Glück nur einen pro Woche haben. Von morgens weg fielen die Geophonketten am Streamer aus. Eine nach der anderen. Mal offensichtlich abgerissen, mal ohne sichtbare Beschädigung. Das drosselte nicht nur unsere Tempo, sondern schlug auch ganz schön auf die Moral. Vor allem war nicht klar, woran es liegt: Zu hohe Geschwindigkeit? Die Schneeoberfläche? Oder weil die Geophone nachts angefroren sind und morgens alle von Hand gelöst werden mussten? Wir wissen es nicht, haben den Streamer aber einer Totalüberholung unterzogen und die Ketten schön zurechtgelegt für die Abfahrt am Morgen. Mit Erfolg: Heute fiel nur eine Kette aus, das ist Rekord!

So langsam wird es auch richtig antarktisch: Wir kommen in ein „katabatisches Windregime“, abends gibt es leichte Bodendrift und die Temperaturen sind bei -19°C angekommen. Die Sonne ist gestern ja auch schon das erste Mal untergegangen.

Den katabatischen Wind kann man sich wie einen Fallwind in den Bergen vorstellen. Die kalte Luft fließt allmählich bergab hinab ins Tal. Nur passiert das hier in viel größeren Dimensionen, gleichmäßiger, ohne Böen. Obwohl es nur eine kleine Oberflächenneigung gibt, reicht diese doch aus, um in einigen Gebieten den Wind bis zum Sturm zu bringen. Die ersten Anzeigen dazu gab es heute auf dem Weg, als wir ein Blaueisfeld kreuzten. Dort trägt der Wind den Schnee von der Oberfläche weg, sodass das Eis nach oben kommt. Da in diesem Gebiet auch Anzeichen für kleine Spalten waren, die man gerade bei Blaueis sehr gut sehen kann, haben wir Kundschafter mit dem Motorschlitten vorgeschickt, um die Route zu erkunden. Keine Gefahr, also konnten wir ruhig weiter.

Nach der Anhöhe mit dem Blaueis sahen wir in das weite Tal – eher eine extrem flache Schüssel – an deren anderem Ende sich der Nunatak befindet. Ein weiterer Wegpunkt entlang unserer Route.

In dieser Schüssel ist die Oberfläche vom Wind hart und glatt poliert. Sie besteht aber nicht aus Eis, sondern aus Schnee. Darunter befindet sich die magnetische Anomalie, der wir morgen mit verschiedenen Methoden näher auf die Schliche kommen wollen.

Leser:innenkommentare (6)

  1. Holger

    Hallo ans Kohnen Team,

    Ich habe da ein paar Fragen zu den Geophonen. Werden die Resonanzen akustisch aufgezeichnet?
    Wieso frieren sie immer wieder fest? Ich könnte mir eher vorstellen, dass sie doch mit Stöcken oberhalb des Eises befestigt werden könnten.

    Vielen Gruss vom Bekleidungslager der EWW in Bremerhaven,

    Holger Tüchsen

    1. Sina Löschke

      Hier kommt Olafs Antwort:

      Die Geophone bestehen aus einem Magneten, der sich in einer vertikalen Spule befindet. Beim Durchgang von elastischen Wellen bewegt sich die Spule, der Magnet bleibt wegen seiner Trägheit aber weitesgehend in Ruhe. Das induziert eine Spannung, die dann am Seismometer, in unserem Fall eine Geode mit 72 Kanälen, aufgezeichnet wird. Der Typ in den Streamergeophonen ist ein 14 Hz SM-4.

      Warum frieren diese fest? Auf dem Schelf war das Problem eine dünne Schicht Schmelzwasser im Schnee, die sich tagsüber gebildet hatte und nachts wieder gefroren ist. Auf dem Eisschild, wo wir jetzt sind, ist das Problem ein anderes: Durch die Bewegung wird der Schnee zermalen und zerbröselt. Ist es kalt genug (unter -10°C), so frieren diese Brösel wieder zu einer festen Masse zusammen, an die auch die Geophone anfrieren. Diese Eigenschaft des Schnees kann man sich auch zum Bauen nutzbar machen: an Kohnen wurden die Seiten des Bohrtrenches beim Bau aus gefrästem Schnee gefertigt. Das ist nach einiger Zeit so hart wie eine Ytongwand und ebenso stabil.

      An Stöcken oberhalb des Eisen kann man die Geophone schon befestigen. Nur: 60 Gruppen/Kanäle à acht Geophone macht 480 Stöcke! Die müssen in den meist harten Schnee getrieben und die Geophone befestigt werden. Wir machen zu viert jetzt abens eine Runde am Streamer entlang, um die Geophone aus der vom Streamer beim Ziehen selbst gegrabenen Furche zu heben, auf die glatte, ungestörte Schneeoberfläche. Dort frieren sie fast nicht fest. Das dauert eine halbe Stunde.

      Am morgen gibt es dann noch einmal einen Kontrollgang. Jeder einen Abschnitt, das dauert dann ca. 15 Minuten. Rechnet man, das alleine das Austauschen einer Gruppe 15 Minuten dauert, vom Reparieren mal abgesehen, so lohnt sich das!

  2. Madi

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    es sind beeindruckende Bilder aus der Antartktis. Diese Eislandschaft aktuell Beschrieben ist sehr Unterhaltsam, vielen Dank !
    Koennen Sie oder Ihre Kollegen sich an eine Formel erinnern die eine Berechnung zu den festen Aggregatzustand von Wasser ermoeglicht ?
    Die graphischer Ausgabe zur Darstellung von Schneeflocken Modellen und die Meteorologie fuer ein Model sind durch die Formel kalkulierbar gewesen. Diese Formel ist eventuell geeignet um das Klima in der Antarktis zu rekonstruieren. Die Konstante in der Formel hat uns Studenten, damals Probleme gemacht, da keine Anerkennung wissentschaftlich moeglich ist ohne Pruefung von Experten.
    Die Formel wurde schriftlich und digital an die Polar-Stationen gerichtet, die ueber Eiskristalle Forschung betreiben und Erfahrung haben. Leider war ohne Diplompruefung keine weitere korrespondenz moeglich und es gibt kein mir bekanntes diskussions Forum.
    Mit freundlichen Gruessen
    Dipl.-Ing.(FH) Brahim Madi

    1. Sina Löschke

      Die Antwort unseres Teams:

      Hier verweisen wir auf die Lehrbücher: z.B. Cuffey & Patterson, Physics of Glaciers, oder Hobbs: Physics of Ice. Zudem sollte das in vielen Physikbüchern stehen, auch wenn es nicht in Internet-Foren steht.

      1. Madi

        Vielen dank fuer die Hinweise auf die Fachliteratur, die Jahrgaenge der Buecher geben mir Hoffnung den naechsten Ansatz zu zufinden. Die Fachbegriffe sind jetzt erstmal zu eroertern, um das kompetenz Feld aufzubauen. Da in der Gruppe damals keine Fachkompetenz fuer das Kerngebiet existierte und Diskussionen mit Experten haetten die Eroerterungen parallel mit der Formel erschwert.
        Die Systematik und der algorithmus fuer elektronische Rechenanlagen fuer die Formel sind nur schwer Ausdrueckbar, sowie die Beschreibung der Herangehensweise und die Einbringung der individuellen Talente.
        Die suche nach den deutschen Anwendern kann nach einlesen in die Fachbuechern voran gehen. Die derzeitigen Recherchen laufen in privater Initziative und ich hoffe es ist gestattet, diesen Internet-Blog der Kohnen-Antarktis-Station erstmal als Betzugspunkt zur Eisforschung aufzusuchen.
        Mit freundlichen Gruessen
        Dipl.-Ing.(FH) Brahim Madi

  3. Sina Löschke

    Liebe Leser

    Das Team kann derzeit nur via Satellitenleitung ins Internet. Daher kann es noch ein bisschen dauern, bis die Kollegen Gelegenheit haben, auf die Fragen zu antworten.

    Beste Grüße

    Sina

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