Für eine umfassende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Logos of the participating organizations of the joint WIssZeitVG statement

English translation below.

Gemeinsame Stellungnahme von Beschäftigten- und Studierendenvertretungen zum Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 17.03.2023

Knapp ein Jahr nach Veröffentlichung des Evaluationsberichts zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), und nach einer Vielzahl von Stakeholdergesprächen (u.a. mit uns), hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein erstes Eckpunktepapier zur Reform des Gesetzes vorgelegt. Wir begrüßen diesen Schritt, sind aber inhaltlich enttäuscht: Die Vorschläge lindern allenfalls Symptome des Befristungssystems, versprechen aber keine Heilung.
Eine Festlegung angemessener, verbindlicher und konkreter Mindestvertragslaufzeiten, insbesondere für Erstverträge, und eine Eindämmung von Kettenverträgen sind wichtige Beiträge zur nötigen Reform. Doch in den vorgeschlagenen Kompromissen zu Höchstbefristungsgrenzen ist der ursprüngliche Grund für eine erneute Reform des Gesetzes in den Hintergrund getreten: die mangelnde Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren, sowohl vor als auch nach der Promotion.

Die ersten Reaktionen auf das Eckpunktepapier haben noch einmal klar gezeigt: Es bedarf einer umfassenden und gut durchdachten Strategie zur Schaffung von mehr Dauerstellen, fairen und geschlechtergerechten Beschäftigungsbedingungen und planbaren Berufswegen für Lehrende und Forschende im deutschen Wissenschaftssystem. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt aber weiter unklar, auch in vielen Beiträgen zur nun ausgebrochenen Debatte. Wir haben bereits letztes Jahr Eckpunkte vorgelegt, die einen ganzheitlichen, klaren Ansatz verfolgen und sowohl die Interessen der von uns vertretenen Beschäftigten als auch die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftssystems berücksichtigen. Dieser Ansatz ist aktuell berechtigter denn je. Entgegen der häufig behaupteten Uneinigkeit über die nötigen Reformschritte ist noch einmal zu betonen, dass wir als breites Bündnis von Beschäftigtenvertretungen eine gemeinsame Position einnehmen.


Wir fordern…

  1. …für die Promotionsphase sechs Jahre Regelvertragslaufzeit, mindestens jedoch vier Jahre Vertragslaufzeit, gesetzlich als Muss- statt Soll-Bestimmung ausgestaltet. An der Realität von durchschnittlichen Promotionszeiten von 5,7 Jahren (Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs) hat sich nicht zuletzt durch die bisherige Praxis unzureichender Erstvertragslängen und intransparenter Kriterien für Vertragsverlängerungen nichts geändert. Um parallel am Ziel kürzerer Promotionszeiten zu arbeiten, müssen bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das beinhaltet neben einer entsprechenden Vertragsgestaltung, die eine Qualifizierung in der Arbeitszeit garantiert, auch bessere strukturelle Unterstützung.
  2. … eine klare Engführung des Qualifizierungsbegriffs auf die Promotion, um der willkürlichen Befristungspraxis ein Ende zu setzen. Damit wird nicht nur möglicher Befristungsmissbrauch unterbunden, sondern Hochschulen und Forschungseinrichtungen wie Beschäftigten Rechtssicherheit gegeben.
  3. …für die Phase nach der Promotion entweder unbefristete Beschäftigung oder eine befristete Beschäftigung mit Entfristungszusage bei Erfüllung festgelegter Bedingungen. Die Qualifizierung für einen Verbleib im Wissenschaftssystem ist mit der Promotion abgeschlossen, zu diesem Zeitpunkt müssen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen entscheiden, wem sie eine dauerhafte Perspektive eröffnen können. Sollte unmittelbar nach der Promotion noch keine Dauerbeschäftigung folgen, muss ein planbarer Weg zur Dauerstelle eröffnet und klar definiert werden. Ein reines Herumdoktern an der Höchstbefristungsgrenze, wie im Eckpunktepapier des BMBF vom 17.03.2023 vorgeschlagen, ist kontraproduktiv.
  4. … die Streichung der Tarifsperre ohne Wenn und Aber. Wie in anderen Branchen müssen Gewerkschaften und Arbeitgeber auch in der Wissenschaft das Recht haben, in einem Tarifvertrag die Beschränkung von befristeten Arbeitsverträgen auf ein nachvollziehbares Maß vorzunehmen.
  5. … einheitliche und verbindliche Regelungen zum Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Behinderung und chronischer Erkrankung sowie bei Nachteilen aus der Coronapandemie. Der bestehende Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung u.a. bei Mutterschutz, Elternzeit, Beurlaubung zur Pflege Angehöriger, sowie bei Freistellung zur Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte oder Mitglied einer Personalvertretung muss uneingeschränkt auch im Falle einer Drittmittelfinanzierung gelten.
  6. eine Regelvertragslaufzeit von mindestens zwei Jahren für studentische Hilfskräfte, wie sie in Berlin seit vielen Jahren reibungslos funktioniert. Die Vorschläge des BMBF-Eckpunktepapiers zur Verbesserung der Lage der studentischen Hilfskräfte sind anzuerkennen, aber leider nicht ausreichend.

 

Allgemein geht ein erheblicher Anteil der Befristungen auf die Finanzierung durch Drittmittel zurück. Ein derart großer Anteil ist weder im Sinne einer Qualifizierung noch im Sinne nachhaltiger Forschung, Lehre und Personalentwicklung. Dieses Problem lässt sich im Rahmen einer Novellierung des WissZeitVG nicht lösen. Stattdessen müssen Bund und Länder die Struktur der Hochschul- und Forschungsfinanzierung verändern und den Anteil der Grundfinanzierung deutlich erhöhen. Daneben sind die Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufgefordert, über Drittmittelpooling für mehr Dauerstellen auch im Drittmittelbereich zu sorgen.

Wir fordern das BMBF auf, seine Eckpunkte zu Leitlinien für eine umfassende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Sinne unserer gemeinsamen Stellungnahme weiterzuentwickeln und zügig einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzubereiten.

Unterzeichnende Organisationen

bukof – Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen
DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund
DGJ – Deutsche Gesellschaft für Juniorprofessur e.V.
fzs – freier zusammenschluss von student*innenschaften e.V.
GEW – Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
N² – Network of Doctoral Researcher Networks
NGAWiss – Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft
PostdocNet Max Planck
RespectScience e.V.
ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft

(geschrieben durch die unterzeichnenden Organisationen)

 

English translation:

Note: The English translation is intended to make the content accessible to international stakeholders, but does not claim to be accurate.

For a major reform of the Fixed-Term Academic Contract Act (Wissenschaftszeitvertragsgesetz, WissZeitVG)

Joint statement by employee and student representatives on the Key Issues Paper of the Federal Ministry of Education and Research dated 17.03.2023

Almost one year after the publication of the evaluation report on the amendment of the Fixed-Term Academic Contract Act (WissZeitVG), and after a large number of stakeholder discussions (including with us), the Federal Ministry of Education and Research (BMBF) has presented an initial key issues paper on the reform of the Act. We welcome this step, but are disappointed with the content: the proposals at best alleviate the symptoms of the fixed-term system, but do not promise a cure.

Setting appropriate, binding and concrete minimum contract periods, especially for initial contracts, and curbing chain contracts are important contributions to the necessary reform. But in the proposed compromises on maximum term limits, the original reason for reforming the law again has faded into the background: the lack of predictability of academic careers, both before and after the doctorate.

The initial reactions to the key issues paper have once again clearly shown that a comprehensive and well thought-out strategy is needed to create more permanent positions, fair and gender-equitable employment conditions, and predictable career paths for lecturers and researchers in the German higher education and research system. How this goal is to be achieved, however, remains unclear, even in many contributions to the debate that has now broken out. Last year, we already presented key points that pursue a holistic, clear approach and take into account both the interests of the employees we represent and the performance of the higher education and research system. This approach is currently more justified than ever. Contrary to the frequently claimed disagreement about the necessary reform steps, it must be emphasized once again that we, as a broad alliance of employee representatives, are taking a common position.

We demand…

  1. for the doctoral phase, six years of standard contract duration, but at least four years of contract duration, legally designed as a Must rather than a should clause. The average doctoral period of 5.7 years (Federal Report on Young Academics, BuWiN) has not changed, not least because of the current practice of insufficient initial contract lengths and non-transparent criteria for contract extensions. In order to work in parallel towards the goal of shorter doctoral periods, better framework conditions must be created. This includes not only an appropriate contract structure that guarantees qualification during working hours, but also better structural support.
  1. a clear narrowing of the term qualification to the doctorate in order to put an end to the gratuitous practice of fixed-term contracts. This will not only prevent possible abuse of fixed-term contracts, but also provide legal certainty for universities and research institutions as well as employees.
  2. for the phase after the doctorate, either permanent employment or temporary employment with the promise of extension of the contract for an indefinite period of time upon fulfillment of specified requirements. The qualification for remaining in the science system is completed with the doctorate; at this point, the universities and research institutions must decide to whom they can offer a permanent perspective. If permanent employment does not follow immediately after the doctorate, a plannable path to a permanent position must be opened up and clearly defined. Simply poking around at the maximum term limit, as proposed in the BMBF’s key points paper of March 17, 2023, is counterproductive.
  3. the deletion of the collective bargaining block unconditionally. As in other sectors, unions and employers in science and humanities must have the right to restrict fixed-term employment contracts to a comprehensible level in a collective agreement.
  4. uniform and binding regulations on compensation for disadvantages in the case of childcare, disability and chronic illness as well as disadvantages resulting from the corona pandemic. The existing legal entitlement to an extension of contract in the case of maternity leave, parental leave, leave to care for relatives, and leave to work as an equal opportunity representative or member of a staff committee must also apply without restriction in the case of third-party funding.
  5. a standard contract period of at least two years for student assistants, as has functioned smoothly in Berlin for many years. The proposals of the BMBF cornerstone paper to improve the situation of student assistants are to be acknowledged, but unfortunately not sufficient.

 

In general, a considerable share of fixed-term contracts is due to third-party funding. Such a large share is neither in the sense of qualification nor in the sense of sustainable research, teaching and personnel development. This problem cannot be solved by amending the WissZeitVG. Instead, the federal and state governments must change the funding structure for universities and research and significantly increase the share of basic funding. In addition, universities and research institutions are called upon to use third-party pooling to create more permanent positions in the area of third-party funding.

We call on the BMBF to further develop its key points into guidelines for a comprehensive reform of the Fixed-Term Academic Contract Act in line with our joint statement and to prepare a corresponding draft bill without delay.

The signatory organizations:

bukof – Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen
(Federal Conference of Women’s Representatives and Equal Opportunities Representatives at Universities)

Bundesweite Tarifbewegung Studentischer Beschäftigter (TVStud)
(Federal collective bargaining movement of student employees)

DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund
(German Confederation of Trade Unions)

DGJ – Deutsche Gesellschaft für Juniorprofessur e.V.
(German Association for Junior Professorship)

fzs – freier zusammenschluss von student*innenschaften e.V.
(free association of student bodies)

GEW – Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(German Trade Union for Education and Research)

N² – Network of Doctoral Researcher Networks

NGAWiss – Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft
(Network for Good Work in Academia)

PostdocNet Max Planck RespectScience e.V.
(Society for New Incentives in Science)

ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
(United Services Trade Union)

 

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