Buchvorstellung: Die Triple Krise

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Seit seiner Schulzeit erforscht und sammelt Josef Settele Schmetterlinge. Mittlerweile sitzt der Agrarökologe im Sachverständigenrat für Umweltfragen und war Co-Chair des Global Assessments des Weltbiodiversitätsrates (IPBES). In seinem gerade erschienen Buch beschreibt Settele, wie der Rückgang der Schmetterlinge und der Artenvielfalt insgesamt zusammenhängt mit dem Klimawandel. Und weiter, wie menschliches Handeln darüber hinaus verantwortlich ist für die Entstehung von Zoonosen, also von Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen überspringen.

Wie es derzeit – Ende 2020 – aussieht, wird uns die Covid-19-Pandemie noch eine ganze Weile im Griff haben; länger, als es vermutlich die meisten Menschen im Frühjahr 2020 gehofft hatten. Und die Pandemie gibt Anlass zu neuem Denken. Josef Settele, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), prägt in seinem neuen Buch den Begriff “Triple-Krise“. Dieser Terminus beschreibt die Tatsache, dass die menschliche Gesellschaft sich gleichzeitig drei nie dagewesenen Herausforderungen gegenüber sieht: dem Rückgang der Artenvielfalt, dem Klimawandel und der steigenden Gefahr weltweiter Epidemien. Der Autor zitiert dazu den Weltbiodiversitätsrat (IPBES): „So, wie die Klima- und die Biodiversitätskrise, sind die jüngsten Pandemien eine direkte Folge menschlichen Handelns“. Settele´s Arbeit an maßgeblicher Stelle in diesem Rat ermöglicht es ihm, Disziplinen-übergreifende Zusammenhänge zu erschließen und für Leserin und Leser gut nachvollziehbar darzustellen. Die Beschreibung des Ausmaßes und der Folgen der Triple-Krise sind gestützt auf Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien rund um den Globus.

Ein Viertel des Buches widmet sich der Vielfalt der Insekten und ihrer unersetzlichen Funktion in den Nahrungsketten fast sämtlicher Ökosysteme und für die Bestäubung zahlloser Wild- und Nutzpflanzen. Das ist nicht verwunderlich, ist Josef Settele doch seit seiner Schulzeit passionierter Schmetterlingsforscher und -sammler. Mit Leidenschaft lässt er sich aus, sowohl über Nutzen als auch Schaden von Insekten für Natur und Mensch. Der komplette Ausfall der Insektenbestäubung in Deutschland würde mit 1 Mrd Euro Verlust pro Jahr zu Buche schlagen. Die Honigbienen eines einzigen Stockes bestäuben täglich zwischen 20 und 80 Millionen Blüten. Kein Wunder also, dass die Honigbiene als drittwichtigstes Nutztier der Erde gilt. Wenn über Bienenschutz debattiert wird, ist oft nicht klar, ob von der Honigbiene die Rede ist oder von den 570 heimischen Wildbienenarten, zu denen auch die Hummeln zählen, oder von beiden. Der Autor erläutert, in welcher Beziehung Honigbiene und ihre wilden Schwestern zueinander stehen und wie sie sich mal die Bestäubungsarbeit teilen, mal aber auch um Pollen und Nektar konkurrieren.

Insekten können aber auch Hungerkatastrophen auslösen oder Epidemien. Agrarökologe Settele beschreibt die jüngste Invasion von Wüstenheuschrecken in Afrika, bei der ein Schwarm täglich die Nahrung von bis zu 35.000 Menschen vernichten kann. Sintflutartige Regenfälle in sonst trockenen Wüstengebieten hatten die Massenentwicklung erst möglich gemacht. Insekten übertragen auch die Erreger von Zika-, Dengue- und Gelbfieber. Der Autor zitiert eine aktuelle Studie, nach der in verschiedenen Insektenarten über 20 neue Virusgattungen gefunden wurden. Globalisierung und Lebensraumzerstörung steigern die Gefahr von Zoonosen, also von Erkrankungen, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden, bzw. auf ihn überspringen, wie im Fall von Covid-19.

Geht die Zahl der Insekten zurück – sei es wegen des großflächigen Anbaus von Mais und Raps für die Energiegewinnung, sei es wegen des übermäßigen Einsatzes von Pestiziden und/oder Düngern – so verlieren auch insektenfressende Vogel-, Fisch- und Amphibienarten ihre Lebensgrundlage. Wie an vielen anderen Stellen des Buches, beschreibt Josef Settele auch hier Wirkzusammenhänge, die eine fatale Abwärtsspirale darstellen: Pestizide töten neben den Schädlingen auch deren natürliche Gegenspieler. Die Schädlinge erholen sich in der Regel schneller als die Nützlinge oder entwickeln Resistenzen, was zu noch mehr Pestizideinsatz führt.

Den wohl verhängnisvollsten dieser Teufelskreise macht Settele an den Polen aus. Die Arktis heizt sich auf, weil die Kaltluftzufuhr gestört ist und weil in Sibirien, Grönland und Alaska weniger Schnee die Sonnenstrahlung reflektiert. Permafrostböden tauen auf und setzen Klimagase in nie gekanntem Umfang frei. Der Rückgang der Eisbären und, in der Antarktis, der Pinguine hat Signalwirkung.

Die Umschlaggestaltung und die Dystopie auf den ersten drei Seiten kommen bewusst alarmistisch daher, der restliche Inhalt des Werkes indes, ist es keineswegs. Josef Settele achtet auf wissenschaftliche Nüchternheit und eine ausgewogene Darstellung, unter anderem, wenn er auch die Positionen des Bauernverbandes oder des Glyphosat-Herstellers Monsanto beleuchtet – selbst auf die Gefahr hin, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Er kritisiert, dass das Gros der EU-Subventionen noch immer an Großbetriebe fließt, die Jahr für Jahr auf riesigen Schlägen dieselbe Pflanzen- bzw. Getreideart anbauen. Bauern hingegen, die Nutztiere im Freiland halten, bekommen keine Flächenförderung. Das ist absurd, weil es Klima-, Biodiversitäts- und Tierwohl-schädliche Landbewirtschaftung belohnt und das Höfesterben beschleunigt. Auch was die Reduzierung von Pestiziden betrifft, gelingt es der EU bislang nicht, überzeugende Anreize zu schaffen. Der weite Bogen, den der Autor auf insgesamt 320 Seiten spannt, wird abgerundet durch Exkurse zur Rolle invasiver Arten, zum Phänomen der “Lichtverschmutzung“, zu den Möglichketen von Gene Drive-Technologien und schließlich einer Einschätzung zur Rolle von Windrädern beim Rückgang der Insekten-Biomasse.

Settele hinterfragt durchaus die bestehenden Wirtschaftssysteme und unser Konsumverhalten. Es geht nicht um Askese, wohl aber um Mäßigung, denn die Folgen eines Temperaturanstiegs über zwei Grad hinaus, eines ungebremsten Artenschwundes und der weiteren Überstrapazierung der natürlichen Ressourcen sind so eindrücklich dargestellt, dass ein “weiter wie bisher“ als Handlungsoption ausscheidet. Die Ursachen und Ausmaße der Bedrohungen sind hinreichend bekannt – die Maßnahmen um gegenzusteuern längst auch.

Fazit: ein faktenreiches, locker und verständlich geschriebenes Buch, das zu einer neuen – leider beunruhigenden – Sicht der Dinge und zum Handeln aufruft.

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