Insektensterben vs. Insektensommer – ein Widerspruch?

Schornsteinfeger (Aphantopus hyperantus) Foto: Harm Glashoff

Alle reden vom Insektensterben und was passiert in diesem Jahr? Es ist eines der besten Schmetterlingsjahre seit langem! Viele Arten treten in hohen Individuenzahlen auf, andere breiten sich deutlich aus und die Teilnehmer des Tagfalter-Monitoring melden aus dem ganzen Land gute Faltervorkommen. Was ist da los?

Seit letztem Jahr sorgt eine Studie für Schlagzeilen, in der erstmalig für Deutschland Daten zur Insektenbiomasse über einen langen Zeitraum hinweg ausgewertet wurden (Hallman et al. 2017). Die Ergebnisse sind dramatisch, zeigen sie doch einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten um über 70% seit Anfang der 1990er Jahre. Ähnliche Ergebnisse liefern auch kleinere, lokal begrenzte Studien z.B. aus dem Raum Regensburg (Habel et al. 2015, starker Artenrückgang und Veränderung der Artengemeinschaft). Endlich wurde der Eindruck vieler erfahrener Entomologen bestätigt, denn schon lange hatten sie auf den Rückgang und die besorgniserregende Situation der Insekten hingewiesen. Doch es fehlten (und fehlen zum Teil noch) standardisiert und über einen längeren Zeitraum hinweg erhobene Daten. Die Ursache für diesen Rückgang ist vermutlich eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. So spielen der Wandel der Landnutzung, die Fragmentierung der Landschaft und der Einsatz von Pestiziden und Düngern in der Landwirtschaft wohl eine große Rolle. Vielerorts fehlt es den Insekten einfach an Nahrung, es gibt immer weniger Randstreifen oder Brachflächen mit Blütenpflanzen und selbst in den Gärten wird das Nahrungsangebot für Insekten immer schlechter. Exotische Pflanzen oder Zuchtformen mit hübsch anzusehenden gefüllten Blüten bieten blütenbesuchenden Insekten in etwa so viel Nahrung wie eine Asphaltfläche. Kein Wunder also, dass es immer weniger Insekten gibt.

Doch in diesem Jahr ist Alles irgendwie anders. Es gibt viele Tagfalter, in den Medien finden sich Berichte über „Wespenplagen“ und überall summt, brummt und flattert es. Bei den Tagfaltern ist insbesondere der Große Kolhweißling (Pieris brassicae) auffallend häufig. Im Tagfalter-Monitoring wurde dieser große weiße Falter bis Juli dreimal häufiger gemeldet als im vergleichbaren Zeitraum der Vorjahre. Auch die großen, auffälligen Falterarten wie Kaisermantel (Argynnis paphia), Großer und Kleiner Schillerfalter (Apatura iris und Apatura ilia) und Großer und Kleiner Eisvogel (Limenitis populi und Limenitis camilla) haben ein überraschend gutes Jahr. Arten wie der Karst-Weißling (Pieris mannii) oder der Brombeer-Perlmutterfalter (Brenthis daphne) konnten in ihrer Verbreitung deutliche Zugewinne verzeichnen und kommen dieses Jahr in Regionen vor, in denen sie bislang noch nicht nachgewiesen wurden. Auch ein Kleinschmetterling ist in diesem Jahr auffallend häufig; der Buchsbaum-Zünsler (Cydalima perspectalis), dessen Raupen als Schädlinge für den Buchsbaum gefürchtet sind, tauchte 2006 zum ersten Mal in Deutschland (Oberrheinebene) auf und hat mittlerweile fast alle Landesteile erreicht.

Ist es also doch alles nicht so schlimm mit dem Insektensterben? Haben sich die Bestände vielleicht auch schon wieder erholt? Die Situation in diesem „Ausnahmesommer“ ist kein Grund zur Entwarnung sondern macht nur deutlich, wie vielschichtig und kompliziert die Zusammenhänge in der Natur sind. Entwicklungen einzelner Arten hängen von dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren ab und können je nach Art ganz unterschiedlich sein. Was für die eine Art oder Artengruppe gut ist, ist für andere Arten(gruppen) vielleicht ein Problem.

Als Gründe für die hohen Falterzahlen in diesem Jahr werden verschiedene Punkte diskutiert. So können sich der kalte Winter und das warme Frühjahr positiv auf die Bestände ausgewirkt haben. Insbesondere Falterarten, die als Raupen oder Puppen überwintern, kommen mit warmen und feuchten Wintern nicht gut klar. Eine kalte Phase ist wichtig, damit die Tiere in eine Ruhephase übergehen. Problematisch ist auch ein frühes, warmes Frühjahr, das die Falter aus ihren Winterquartieren lockt und die Entwicklung der Raupen und Puppen beschleunigt. Spätfröste können dann zum Absterben ganzer Faltergenerationen führen. Aktuell hat sich wohl das warme Frühjahr ohne anschließende Spätfröste in diesem Jahr positiv auf die Bestände ausgewirkt und viele Falterarten waren früher als in anderen Jahren anzutreffen. Durch diese frühe Flugzeit kann bei einigen Arten auch der Eindruck entstanden sein, dass es mehr Falter sind als in den Vorjahren, obwohl die Zahlen insgesamt nicht deutlich höher sind. Die Tiere waren nur in gleichen Zahlen in einem kürzeren Zeitraum aktiv.

Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Uni Freiburg weist in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass die Spätfröste des letzten Jahres einen wichtigen Einfluss auf die diesjährigen Insektenbestände hatten (https://www.sueddeutsche.de/wissen/insekten-wir-haben-diesen-sommer-noch-nicht-genug-wespen-1.4085756). Durch den Frost haben viele Pflanzen (z.B. Obstbäume) 2017 deutlich weniger Früchte getragen und somit Energie für das Frühjahr 2018 „gespart“. Die Pflanzen konnten in diesem Frühjahr verstärkt austreiben, blühten stärker und tragen mehr Früchte. Insgesamt ist also mehr Nahrung für Insekten verfügbar.

Richard Fox, Leiter von Butterfly Conservation UK weist in einem Blogbeitrag darauf hin, dass es in Großbritannien in den 70er-Jahren eine ähnliche Situation gab (https://butterfly-conservation.org/news-and-blog/drought-and-butterflies). Auch in UK gibt es 2018 auffällig viele Tagfalter, doch die Forscher machen sich Sorgen. Studien zeigen, dass sich der Hitzesommer 1976 mit auffallend hohen Falterzahlen langfristig sehr negativ auf die Bestände ausgewirkt hat. Es kam zu dramatischen Einbrüchen der Bestände in den Folgejahren und einige sehr spezialisierte und sensible Arten haben sich bis heute nicht vollständig von diesem Einbruch erholt. Die Hitze und Dürre im Jahr 1976 hat dazu geführt, dass die nachfolgenden Entwicklungsstadien der Falter keine Nahrung mehr gefunden haben. Die Pflanzen waren vertrocknet und die Raupen starben.

Das Zusammenspiel verschiedener Arten eines Lebensraumes ist kompliziert und zum Teil eng verzahnt. So spielen bei der Entwicklung von Tagfaltern auch sogenannte Parasitoide eine Rolle. Dies sind häufig Schlupfwespenarten, die ihre Eier in die Raupen von Tagfaltern legen, sich in der Raupe entwickeln und letztendlich zum Absterben der Raupe führen. Je nach Häufigkeit des Parasitoiden können die Bestände bestimmter Arten nachhaltig geschädigt werden. Umgekehrt führt das Fehlen von Parasitoiden zu einer deutlich besseren Entwicklung der Bestände der Falter.

Natürlich hat aber auch das Wirken des Menschen einen entscheidenden Einfluss auf die Situation der Tagfalter. Während sich intensive Landwirtschaft ohne Blühstreifen an den Äckern, artenarme Grünlandflächen und der Einsatz von Pestiziden sehr negativ auf die Bestände auswirken, können das Einschränken der Mahd, blütenreiche Wegränder und bunte Gärten die Falter maßgeblich fördern.

Insektenbestände zeigen typischerweise eine starke Fluktuation der Zahlen über die Jahre hinweg. Viele Faktoren beeinflussen die Bestände und die wichtige Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wohin der Trend insgesamt geht. Dazu braucht es verlässliche Daten über einen längeren Zeitraum hinweg, um aus dem typischen „Grundrauschen“ der Bestände einen langfristigen Trend ablesen zu können.

Im Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ werden seit 2005 Tagfalter gezählt und die Daten werden zentral am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Halle ausgewertet. Aktuell zeigen die erfassten Daten nur einen leicht absteigenden Trend, der nicht vergleichbar ist mit den dramatischen Zahlen aus der Hallman-Studie, und betrachtet man die Trends für einzelne Falterarten getrennt, so sind diese je nach Art sehr unterschiedlich. Einige Arten haben abgenommen, einige Arten zeigen aber auch einen deutlich ansteigenden Trend und wieder andere sind über die Jahre stabil geblieben. Hier ist es wichtig, sich die Arten einzeln und im Detail anzuschauen und ihre Lebensräume und Lebensweisen zu vergleichen. Vermutlich ist es auch so, dass die Zählung im Tagfalter-Monitoring im Jahr 2005 erst begonnen hat, nachdem die größten Verluste an Tagfaltern stattgefunden haben. Wir haben mittlerweile eine ganz andere (verschobene) Basislinie („shifting baseline“), von der wir ausgehen und haben uns schon an eine geringere Arten- und Individuenzahl als Normalzustand „gewöhnt“. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Studie aus Kalifornien, für die Fischer nach Ihrem Eindruck zum Rückgang der Fischbestände befragt wurden. Ältere Befragte konnten den starken Rückgang der Bestände deutlich besser einschätzen als Befragte der jüngeren Generation. Ähnlich verhält es sich sicher auch mit den Insekten. In Beschreibungen von Schmetterlingskundlern vom Anfang des letzten Jahrhunderts  werden z.B. Arten als „gemein und überall häufig“ beschrieben, die heute nur noch selten anzutreffen sind und als Raritäten gelten.

Auf einen wichtigen Punkt sei zum Abschluss hingewiesen. Noch ist das Falterjahr nicht vorbei und auch wenn zu Beginn der Saison von April bis Mitte Juli hohe Falterzahlen gemeldet wurden, so kam es in den letzten Wochen aufgrund der großen Dürre in vielen Landesteilen zu einem starken Einbruch der Bestände. Vielerorts gibt es aktuell (Mitte August) kaum noch Blüten und viele Pflanzen sind vertrocknet. Sowohl die Falter als auch die Raupen finden kaum noch Nahrung und wenn es weiterhin keine nennenswerten Niederschläge gibt, könnte sich die Situation (ähnlich wie 1976/1977 in UK) noch deutlich ändern.

Unser Fazit dieses besonderen Schmetterlingsjahres ist…

  1. Langzeit-Erfassungen sind wichtig und notwendig, um die Situation der Insektenbestände korrekt einordnen zu können.
  2. Trotz eines einzelnen guten Insektenjahres besteht dringender Handlungsbedarf. Maßnahmen zum Schutz der Insekten sind wichtig, um die Bestände langfristig zu schützen und damit ihre Ökosystemleistungen als Bestäuber oder Nahrungsgrundlage für andere Tiere (Vögel, Amphibien, Fledermäuse) zu erhalten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich unsere Basislinie nicht noch weiter zum Negativen hin verschiebt.

Leser:innenkommentare (4)

  1. Rolf Hohmann

    Hier im südhessischen Kreis Offenbach war es kein gutes Schmetterlingsjahr trotz Wärme.
    Der Grosse Schillerfalter ist hier ausgestorben ebenso der Grosse Eisvogel und Dukatenfalter, keine Sichtungen 2018.
    Schwalbenschwanz äusserst selten geworden.
    Häufig waren 2018 hier nur der Grosse Fuchs, der Weisse Waldportier und der Kaisermantel

  2. Rolf Hohmann

    Bei mir in Südhessen sind sowohl der Kleine als auch der Grosse Eisvogel schon seit Jahren ausgestorben, auch der Grosse Schillerfalter ist nicht mehr zu finden.
    Der Kleine Schillerfalter kommt noch vor, wenn auch selten.
    Grosser Fuchs und Kaisermantel sind häufig.

  3. Marion Mantingh

    Mitten Emsland 2019, kleiner überblick
    Auf meinen Transekten insgesamt schlecht!
    Außerhalb Im gleichen Gebiet, zunahme des Grosses Wiesenvögelchen.
    Auch grosser Bestand der Grüner Zipfelfalter, noch nie beobachtet, eher abnehmend.

    Eigenen Garten 900M2 Grundstück, im Wohngebiet und herum immer mehr teilweise versteinerte Garten:
    Kein einziger Kl. Fuchs
    an manchen Tagen 5-15 Distelfalter
    Das erste Mal einen Schwalbenschwanz
    Kein einziger Schornsteinfeger
    Die Sommerausgabe des Landkärtchen fehlte 
    ganz wenig Tagpfauenauge
    2x Karst-weißling, männlich
    2018 am mehreren Tagen ein Kaisermantel(dunkelere und hellere Form), 2019 keiner
    Im Moment blühen die Aster, sonst viele Falter, “leer” vor sich hin….
    Auch am Schmetterlingsstrauch wenig falter

    Insekten Im Garten:
    wenig Schwebfliege, keinen Fraß von den Räupchen.
    Im Frühjahr von einer Art Wildbiene (welcher??) sehr viel.
    Viele Hummel, viele Honigbiene (im Dorf immer mehr Imker in eigenem Garten),
    Wenig Wespen und kaum Hornisse.

    In einem Naturschutzgebiet in S-W Emsland ein kleiner Eisvogel.

  4. Werner Messerschmid

    Südlicher Kraichgau:
    Schwalbenschwanz,C-Falter,Landkärtchen,Waldbrettspiel,Kleiner Perlmuttfalter,Boloria dia,Kleiner Fuchs , Tagpfauenauge! Kleiner u. Großer Schillerfalter und sogar der Zitronenfalter sind stark zurück gegangen.
    Kleiner Feuerfalter,Brauner Feuerfalter,Hauhechel-Bläuling sowie die Dickkopfalter sind stabil.
    Kaisermantel hat zugenommen, wurde aber dann infolge der extremen Dürre (Nektarmangel) dezimiert. Kleiner Eisvogel nicht mehr nachweisbar.Wandergelbling u. Goldene Acht nur Einzelfunde.
    Am Sommerflieder hatte ich bis zu 30 Distelfalter.

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