Ein Mondland für den Apollo – Falter-Exkursion bei Solnhofen am 08.07.2017

Ein Gastbeitrag von Wolfgang Junga (Igensdorf)

Ein Apolloflug ist nach wie vor eine aufregende Sache, auch wenn es nicht zum Mond geht. Immerhin würde die Landschaft in den alten Solnhofener Steinbrüchen in der Science-Fiction-Fantasie des späten 19. Jahrhunderts noch glatt als Mondlandschaft durchgehen, denn die Halden und Terrassen sind mancherorts vor allem durch die Ursprünglichkeit der Steine geprägt.

“Mondlandschaft” bei Solnhofen

Doch zum einen trügt natürlich der Schein, und zum anderen ist es gerade die Spärlichkeit des – den kraftvollen Strahlen unseres Muttersterns ausgesetzten – Bewuchses, welcher einem der herrlichsten Tagfalter unserer Breiten hier das Überleben sichert. Vor allem Flächen des frühesten Sukzessionsstadiums, die ihr Gesicht, ihren steinfarbigen Teint, seit mehr als 100 Jahren kaum verändert haben, bieten die Bedingungen, die der Apollofalter (Parnassius apollo) für die Arterhaltung braucht.

Wäre es nur die bloße Anwesenheit der Hauptfutterpflanzen – am Ort der Weiße Mauerpfeffer (Sedum album) – würde man den herrlichen Schmetterling auch auf Schotterwegen, Bahndämmen und Dachbegrünungen finden. Es bedarf aber einer besonderen „Zubereitung“ der Pflanze, und diese gelingt nur an solchen Orten wie diesem hier: Schön trocken sollen die fleischigen Blättchen sein, wenig Wasser enthalten, nicht grün fleischig, sondern rot knackig, sonnengebräunt sozusagen. So mag der Apollo – pardon seine Raupe natürlich –  den Mauerpfeffer. Üppig wuchernde Pflanzen dagegen werden verschmäht, und kommen doch mal Raupen in deren zweifelhaften Genuss, so gehen sie an „Durchfall“ ein. Aber das Steinbruch-Fünf-Sterne-Sedum lässt jede Apolloraupe mit der Zunge schnalzen –  wäre sie denn ein Mensch und hätte ein solche.

Heute betrachten einige Abgesandte dieser Spezies mit vielleicht vor Freude schnalzenden Zungen und erfüllt von innerer Erbauung und einer Kaskade guter Gefühle die feinen Flieger, deren Flügelleinwand die Natur ganz außergewöhnlich bemalt hat.

Kunstwerk der Natur: der Apollo-Falter

Adi Geyer, von Kindheit an Apollofreund, teilt in diesen Stunden das Glück seines Transekts mit einer Gruppe von 20 Individuen der Homo-Gattung, die sich behutsam über die klingend knackenden, knirschenden Steinscherbenfelder bewegen, stets durstig nach Wissensgewinn, und ab und zu auch nach dem Inhalt der mitgebrachten Trinkflaschen, brennt doch die Sonne heftig herab und trocknet aus. Trocknet aus – nicht nur die zweibeinigen Wanderer, sondern auch die Flächen – und das seit Wochen. Zwar ist das gute Sedum album angepasst an diese Situation, aber irgendwann kann es auch ihm zu viel sein. So sprießen dieses Jahr weit weniger Pflanzen als etwa 2014. Manchmal sieht man sie vertrocknet. Der Bestand an den Tieren zeigt sich ebenso reduziert – wir gehen nicht mehr in „Apollowolken“, wie sie Adi Geyer von 2015 in Erinnerung sind. Trotzdem: Auch weniger als ein Viertel der damaligen Population kann noch verzaubern, und so gehen die zweibeinigen Eindringlinge, also wir, gerne auf die Suche nach immer neuen Fotomodellen mit roten und schwarzen Punkten. Anfangs wird jede Sichtung bejubelt, doch je mehr man sich dem „Hotspot“, der am wenigsten von Pflanzen besiedelten Terrassenfläche, nähert, preisen sich die Gesuchten selber an und setzen sich in Pose.

So kommt es zu interessanten Pulks: ein dasitzendes Falterchen, umschwärmt von einem Dutzend Riesenuntieren mit piependen und klickenden Kästen. Dabei sind die – männlichen – Falter selbst momentan auch am „Schwärmen“: Sie patrouillieren über die Halden und Steinflächen auf der Suche nach Weibchen. Die wiederum warten auf das Überraschungsei, pardon, den Überraschungsfalter. Kommt der an, und ist er ihre erste Bekanntschaft, so tut er etwas gegen weitere Überraschungen: Er überträgt ihr ein Samenpaket, aus dem sie sich künftig „bedienen“ kann. Zugleich gibt es einen „Schmuck“ als „Exklusivgarantie“ für die übertragenen männlichen Gene. Die mittelalterlichen Insektenforscher hätten das Anhängsel wohl „Apollo-Keuschheitsgürtel“ getauft.

Ab hier mögen ein Weilchen die Bilder sprechen, denn sie tun dies bekanntlich mehr als tausend Worte:

Die Betrachter solcher Szenen verschmähen natürlich auch keinen „Beifang“ vor der Linse (zumindest die des Auges): Vom Weißen Waldportier (Aulocera circe), jener Circe, die schon zu Beginn die Exkursion „bezirzte“, über den Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion), den Kreuzdorn-Zipfelfalter (Satyrium spini), die Laubholz-Säbelschrecke (Barbitistes serricauda), die ab und zu wie rote und blaue Falter aufleuchtenden Rotflügeligen (Oedipoda germanica) und Blauflügeligen (Oedipoda caerulescens) Ödlandschrecken bis hin zu den allgegenwärtigen Schachbrettfaltern (Melanargia galathea), die sich manchmal sogar mit Apollos zu balgen scheinen, bis hin auch zu verschiedenen Kleinschmetterlingen mit ihren heutigen Stars, den Widderchen (Zygaenidae). Nicht zuletzt drängen sich vanille- und kakaoduftige Orchideen, die Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens) immer mehr in den Weg.

So setzen sich all diese Individuen nicht nur Denkmäler in Pixeln, sondern helfen den Erkenntnisstand der Teilnehmer mehren, welche sich durch die motivierten Leiter mit Informationen mästen lassen. Die tapferen drei (Adi Geyer, Dr. Matthias Dolek, Dr. Christian Stettmer) ertragen auch mit Begeisterung, wenn sie eine Angelegenheit auf Nachfrage von Rückkehrern aus eigener Pirsch noch weitere Male erklären dürfen.

Wie nicht anders zu erwarten, offenbaren sich auch in diesem auf den ersten Blick heil wirkenden Lebensraum große Probleme. Einige sind sogar direkt zu sehen: Die steinigen Terrassen beherbergen nicht nur den Mauerpfeffer und das bewimperte Perlgras (Melica ciliata) die man als angestammte Mieter gerne sieht. Seit wenigen Jahren gedeihen aber in den Flächen runde grüne Pusteln. Dort breitet sich kriechend die als Liane an Waldrändern bekannte Waldrebe (Clematis vitalba) aus, beschattet den Boden und zerstört an diesen Stellen das Mikroklima für Mauerpfeffer und Apollo. Ursache ist möglicherweise der erhöhte Stickstoffeintrag aus der Luft. Hilfe gegen die Clematis-Attacken bringt nur die mechanische Bekämpfung.

Ohne diesen Kampf heute aufzunehmen, begibt sich die Karawane, von Ochsenaugen (Maniola jurtina) und Schornsteinfegern (Aphantopus hyperantus) umgaukelt, wieder auf die Reise, sichtet Kaisermäntel (Argynnis paphia), große Perlmutterfalter (Argynnis aglaja), einen hoch im Baumgewölbe fliegenden und sitzenden, so unsere Nacken strapazierenden, uns neckenden, Schillerfalter (Apatura ilia – oder iris), einen Gelbling, der sich aber rasch davonmacht (möglicherweise die Goldene Acht (Colias hyale)) inmitten Weißlings- und Zitronenheeren, und gelangt in das Habitat der Berghexe (Chazara briseis), die sich freilich, wie es der Hexenzunft eigen ist, nicht zeigt; es ist noch zu früh im Jahr. Der Lebensraum konnte inzwischen durch gezielte Maßnahmen, die seit dem Jahr 2013 umgesetzt werden (insbes. mehrfache Beweidung: bis zu vier Weidedurchgängen pro Jahr) nun wieder hexenfreundlicher gestaltet werden. Erstmals konnte im Spätsommer 2016 wieder ein deutlicher Anstieg der Individuendichte registriert werden. Immerhin findet sich neben Faltern wie kleiner Fuchs (Aglais/ Nymphalis urticae) und Weißbindiges Wiesenvögelchen/ Perlgrasfalter (Coenonympha arcania) der seltene Rote Scheckenfalter (Melitaea didyma) ein und — wiederum Apollos, die uns wohl lieb gewonnen haben. Und dann falten sie die Flügel – und wir werden nass – im sommerlichen Guss. Dieser freilich bleibt einem rechten homo papilio im Fachplausch unbemerkt!

Nach solch geistiger Erhellung, und nachdem sich auch am Firmament wieder Erleuchtung einstellt, folgt das Highlight, die Anwendung des Erlernten. Die Freunde des Falterflugs durchstreifen das Zauberreich von Berghexe und Apollo. Man findet noch so einiges, und nimmt wunderbare Erinnerungen (und Bilder) mit. Erst einmal nur, denn die Sache wird abgerundet, bis in den Biergarten. Auch hier hat ein Guss von oben keine Chance, gleichgesinnte Geister zu vertreiben.

So sitzen diese noch einige Weilchen beieinander und diskutieren unter anderem, wo man denn im kommenden Jahr herumstreifen will.

Hinweis: Einen weiteren Bericht über diese Apollo-Exkursion, geschrieben von Horst Lößl aus Engelthal, finden Sie übrigens in unserem aktuellen Jahresbericht zum „Tagfalter-Monitoring Deutschland“

Leser:innenkommentare (3)

  1. Joachim Müncheberg aus Berlin

    Herzlichen Dank für den Beitrag; bislang war ich leider noch nicht in Gegenden, wo man den Falter antreffen kann.Vielen Dank auch für das neue Oedippus – Heft: Es ist wieder sehr interessant! – Allen Schmetterlingsfreunden frohe und gesunde Weihnachten; bald beginnt wieder die Faltersaison!

  2. Robert Lauer

    Vielen Dank für den wunderbar beschrieben Exkursionsbericht unserer Apollo20 Mission in Solnhofen. Das macht Lust auf weitere Tagfalterexkursionen der TMD Gruppe in Bayern :)
    Ich behalte die Apollo-Exkursion in sehr guter Erinnerung!
    Viele Grüße aus Franken und frohe Weihnachten!
    Robert Lauer

  3. Rosemarie Schulze

    Oh, wär ich auch dabeigewesen

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