Angekommen am Grund des Grönländischen Eisschilds

Das letzte Kernstück: gefrorener Schlamm unter dem Eis. Foto: Eastgrip.org

Ein Beitrag von Ilka Weikusat

Das internationale Projekt EastGRIP hat in der Ursprungsregion des NEGIS (Nordostgrönländische Eisstrom) – eines Schlüsselsystems innerhalb des Grönländischen Eisschilds – eine tiefe Eiskernbohrung erfolgreich abgeteuft. Der NEGIS fungiert als eine „Eisautobahn“, auf der Inlandeis sehr effektiv Richtung Ozean transportiert wird. Eine ungeklärte Frage ist dabei: Warum entspringt der NEGIS genau dort?

EastGRIP Eiskern auf der „Logging bench“. Foto: Nico Stoll

7 Jahre nachdem die ersten Eiskernstücke gebohrt wurden, haben wir am 21. Juli 2023 endlich den Untergrund erreicht. Die finale Länge des Eiskerns ist genau 2667.73 m. Damit haben wir erstmalig erfolgreich durch einen Eisstrom gebohrt und Erkenntnisse zum Untergrund der für unseren Meerespiegel so wichtigen „Eisautobahnen“ gewonnen. Die Bohrung entwickelte sich spannender als jeder Krimi: Zuerst war da die die technische Herausforderung in schnell fließendes Eis zu bohren, das zum Teil überraschenden andere Eigenschaften zeigte als bei bisherigen Bohrungen. Dann kam die Pandemie, die uns vor große logistische, finanzielle und nicht zuletzt personelle Herausforderungen gestellt hat. Und in den letzten Wochen mussten wir in die sehr tiefes und warmes Eis bohren, das zum Teil mit Sedimentpartikeln durchsetzt war.

Sobald Partikel im Eiskern auftauchten, wurde die Beleuchtung auf Rotlicht umgestellt. Wenn die Partikel keinem Licht im normalen Spektrum ausgesetzt werden, ist es später möglich zu bestimmen wann diese Partikel das letzte Mal die Sonne gesehen haben (Thermolumineszens). Foto: Meg Harlan

Vor allem die letzten 4 Meter des Kerns enthielten viele kleine Sandkörner (ca. 1mm groß) und sogar größere Kiesel, so dass ein Gesteinsbohrer zum Einsatz kam. Für die Messer aus gehärtetem Stahl, die im Eis ausreichen um einen Kern zu bohren, sind solche Partikel ein unüberwindbares Hindernis. Der Gesteinsbohrer mit seinen Diamantmessern hatte dort bessere Chancen, aber da es sich um einen ständig überarbeiteten Experimentaufbau handelte, der unter wenig bekannten Bedingungen eingesetzt wurde, blieb es spannend. Der Bohrer steckte auch prompt im Boden fest, doch die Bohrexperten schafften es ihn freizubekommen, obwohl er sich im nassem Schlamm am Boden festgesaugt hatte.

Sandkörnchen aus dem Eiskern, das Größte ist etwa 1 mm im Durchmesser. Das Metallstückchen ist Abrieb vom Bohrer. Photo: Dorthe Dahl-Jensen.

Ich bin hellauf begeistert, dass wir Glaziologen aus unterschiedlichen Blickwinkeln hier als Marple, Poirot und Holmes dabei sein konnten und weiter sein können. Mit den direkten Tatortbefunden, wie den partikeltragenden Eis- und wassergesättigten Sedimentschlammkernen, machen wir uns jetzt weiter auf die Spurensuche: Warum entspringt der NEGIS ausgerechnet hier? Dass Schlamm unter dem Eis gefunden wurde ist ein wichtiger Befund. Er ist mit Wasser gesättigt, welches wahrscheinlich durch das Schmelzen an der Unterseite des Eisschilds vor Ort entsteht (siehe Bild ganz oben, am Boden des Eisschildes ist das Wasser im Schlamm füssig, es gefriert wenn der Kern an die Oberfläche gebracht wird). Die Vermutung, dass das schnelle Fließen durch das Zusammenspiel von Wasser und Sediment als Schmiermittel am Untergrund verstärkt wird, scheint sich damit zu bestätigen. Weitere Beobachtungen und Überlegungen werden uns ermöglichen das hydrologische System unter dem Eisschild zu verstehen. Ein weiterer Befund ist, dass das Wasser unter dem Eis scheinbar nicht unter Druck oder in schnellem Fließen befindlich ist, was möglich gewesen wäre.

Ein Dünnschnitt einer Eisprobe aus etwa 2500 Tiefe. Die linke Seite zeigt ein zusammengesetztes Bild, das unter gekreutzten Polarisationsfiltern aufgenommen wurde. Die rechte Seite zeigt die ausgewertete Kristallorientierung der Körner. Abbildung: AWI Glaziologie

Der schlammbedeckte Untergrund ist die wichtigste und größte von 3 Grenzflächen des schnellen Eisstromes mit der langsamen Umgebung: 2 weitere sind seine seitlichen Ränder, in denen eine starke Scherung stattfindet (shear margins). Die horizontale Bewegung des Eises Richtung Ozean findet erstem Augenschein nach vor allem in Kombination dieser 3 recht schmalen Grenzschichten statt. Der Eisblock im Eisstrom wird „nur“ gedehnt, und eher weniger geschert. Zumindest fand sich bisher darauf kein Hinweis in der Struktur des Eises, die wir vor Ort darauf hin untersucht haben. Deses Scherung könnte aber auch sehr lokal auftreten (strain localisations). Dies muss jedoch in höherem Detail, vor allem besserer Tiefenauflösung, untersucht werden. Dafür muss der Kern baldmöglichst prozessiert („geschlachtet“) werden.

Eastgrip Team Members im Schneeschacht, Ilka Weikusat ist die zweite von links

Dies wird Ende September bis Mitte November in Bremerhaven stattfinden. Viele internationale Kollegen wechseln sich dabei ab, um uns hier zu unterstützen, so dass ein Team aus etwa 10 Leuten über mehrere Wochen hinweg die zylindrischen Kernstücke weiter unterteilen und schon erste Messungen im Eislabor vornehmen kann. Diese „Schlachtung“ läuft nach einem genauen Schema ab, das alle beteiligten Labore mit ihren jeweiligen Eisstücken versieht. Wir bleiben also gespannt auf das gewonnene Probenmaterial und weitere indirekte geophysikalische Daten, um mehr Indizien und Beweise liefern zu können, wie solch eine Eisautobahn funktioniert.

Leser:innenkommentare (1)

  1. Christiane.bis@inra.etat.lu

    Vielen Dank für den Beitrag, der mich unerwartet via pushup erreichte. Obwohl beruflich mit jüngeren Zeitepochen beschäftigt (Mittelalterliche und neuzeitliche Archäologie), sind eure Ergebnisse auch für mich immer wieder spannend und lehrreich. Viel Erfolg weiterhin mit dem Projekt. Ich bin gespannt auf die zukünftigen Erkenntnisse!
    mfg Christiane

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