Einblicke in die Welt vor 130 000 Jahren – die tiefsten Meter des EastGRIP Eiskerns

Kern in Logging-Kabine

Ein Beitrag von Nicolas Stoll

Am ersten Mai bin ich zum vierten Mal nach Nordost-Grönland geflogen um acht Wochen im EastGRIP Eisbohr-Camp zu verbringen. 2022 haben wir, nach 3 Jahren erzwungener Corona-Pause, endlich die Bohrung des ersten, kontinuierlichen Eiskerns des Nordost-Grönländischen Eisstromes fortführen können (mehr Infos hier). Dieses Jahr ist geplant bis zum Grundgestein, verborgen unter ca. 2660 m Eis, vorzudringen. Anfang Mai haben wir zu zwölft, bei Windchill Temperaturen von bis zu -48°C, begonnen den Bohr-und Wissenschaftsbereich (die sogenannten „trenches“), ca. 10 m unter der Schneeoberfläche, wieder flott zu machen. Das klappte erstaunlich gut, und nach 10 Tagen konnten wir den ersten drei Meter langen Eiskern der Saison an der Oberfläche bewundern.

Kollegen aus Dänemark untersuchen die Elektronik des Bohrers. Foto: N. Stoll

Ich war zuständig für das Eiskern-Logging. Das beinhaltet die meist 2,5-3,5 m langen Kerne an den vorherigen anzupassen, sie zu vermessen und in gleichmäßige Abschnitte einzuteilen. So ergibt sich eine kontinuierliche Tiefenskala, auf die sich später alle Messungen beziehen. Die Kerne werden in 1,65 m lange Stücke geschnitten und ihre dielektrische Leitfähigkeit wird gemessen. Diese Daten vergleichen wir mit anderen, bereits datierten Eiskernen, und bekommen so wenige Stunden nach der Messung eine grobe zeitliche Einordnung. Erstaunt haben wir nach einigen Wochen gemerkt, dass EastGRIP Eis deutlich älter ist als ursprünglich gedacht. Der Eisstrom, auf dem die Bohrung stattfindet, bewegt sich mit 55 m/Jahr, dementsprechend wurde vermutet, dass das tiefe Eis gefaltet und gestört ist – das scheint allerdings erst kurz vor dem Grundgestein der Fall zu sein. Dementsprechend haben wir ca. 122 000 Jahre ungestörtes Eis gebohrt – das tiefste Eis stammt damit aus der letzten Warmzeit, dem Eem (115 000-130 000 Jahre vor heute). Das ist besonders spannend, da 1) bisher nur zwei grönländische Eiskerne (NEEM und NGRIP) solch altes Eis beinhalten und 2) das Eem ein Fenster in eine eine wärmere Welt öffnet. Zum Beispiel war die Temperatur damals um 1-2°C, und der Meeresspiegel um 6-9 m, höher als heute. Die nächsten Jahre werden also viele neue Erkenntnisse bereiten halten, die hilfreich sind, die Folgen des menschengemachten Klimawandels besser einschätzen zu können.

Der beobachtete Übergang zwischen Eem und Glazialem Eis. Die bunten Formen sind einzelne Eiskristalle, deren Größe sich mit der Tiefe innerhalb weniger Zentimeter stark ändert.

Alle 15 m untersuche ich außerdem Eiskristalle im Detail und messe z.B. ihre Größe und Ausrichtung. In einer Tiefe von 2618 m bemerkte ich, dass sehr große Eiskristalle (Durchmesser bis zu 7 cm) plötzlich deutlich kleiner wurden (Durchmesser im mm-Bereich). Die großen Eiskristalle sind typisch für Warmzeiten, wie das Eem, während die kleineren Kaltzeiten anzeigen. Daraus ergibt sich, dass Eis aus der vorletzten Kaltzeit unter das Eis aus dem Eem gemischt wurde. Dieses Eis ist mindestens 130 000 Jahre alt; genauer wissen wir es sobald Kollegen von der Universität Kopenhagen die ersten Proben analysiert haben.

Wenn es das Wetter zulässt, ist Volleyball eine beliebte Freizeitaktivtiät. Foto: N. Stoll

Insgesamt waren es acht sehr spannende Wochen auf dem Eis, mit vielen Nebenprojekten für die der Platz hier nicht reicht. In einigen Tagen erhalten wir dann hoffentlich die lang erwartete Nachricht, dass das Grundgestein erfolgreich erreicht wurde. Was dann passiert und welche neuen Erkenntnisse die letzten Meter bringen weiß momentan keiner; das kann dann jemand anderes berichten.

Unser Koch Emil rettet eine eingefrorene Suppe vor dem Blizzard. (Foto: N. Stoll)
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