Wissenschaft an Neumayer

Stürmische Zeiten kommen auf uns zu. Abbildung: Paul Ockenfuß.

Ein Beitrag von Peter Köhler (Glaziologie).

Eine Woche der Vorbereitungen an Neumayer ist nun vorbei. Alle Schlittenzüge wurden nach dem Reparieren eventueller Schäden zusammengestellt, und wir sind abfahrbereit. Aber das Wetter spielt uns einen bösen Streich. Mehrere Tiefdruckgebiete haben Kurs auf uns genommen, zum warmwerden ein Sturm mit über 30 Knoten schnellen Windböen, und dann zum Wochenende ein Orkantief, das auch ca. 40 Knoten erreichen würde. Daher wurde die Abfahrt zur Kohnen-Station vorerst verschoben, um diesen Ungetümen nicht auf freier Strecke zu begegnen. Die Pistenbullis hätten auch bei Sturm fahren können – aber auch hier gäbe es frohe Aussichten aufs Ausbuddeln nach Schneedrift und Schneefall nach der nächtlichen Pause.  Unsere Pegelstangenmessungen vom Skidoo aus wären aber nicht so ohne weiteres möglich gewesen.

In unserer Vorbereitung haben wir nun auch unsere Gerätschaften optimiert und sind für die Generalprobe die ersten 10 km abgefahren, um die ersten 20 Pegelstangen abzulesen – alle 500 m sollten wir eine bis zu drei Meter hohe Bambusstange im Gelände finden. Aber es war so, dass wir keine einzige Stange fanden…

Wie kann das sein? Nun, wir wissen die Positionen und Stangenhöhen von vor zwei Jahren. Hier fällt ca. ein Meter Schnee pro Jahr. Das heisst nur die Stangen, die vor zwei Jahren noch mehr als zwei Meter aus der Schneeoberfläche herausschauten, können wir überhaupt finden. Das Finden jedoch gestaltet sich schwierig, weil das Eis sich bewegt. Das Schelfeis des Ekströmisen, auf dem die Neumayer-Station steht (d.h. Eis, das nicht auf dem Felsen aufliegt, sondern das auf dem Wasser schwimmt) bewegt sich mit ca. 150 m pro Jahr nach Norden. Aus zwei alten Positionen von vor zwei und vor drei Jahren können wir theoretisch die heutige Position errechnen. Es ergibt sich, dass die aktuelle Position 450 m weiter nördlich liegt, als die drei Jahre alten GPS-Daten anzeigen. Also ziemlich in der Nähe der davorgelegenen Stange. Leider gibt es auch noch eine Bewegung nach Westen um ca. 100-150m. Das Stangenfinden wird die zu bewältigende Schnitzeljagd auf der Traverse sein. In der Generalprobe haben wir das Problem erstmal durch das Setzen 20 neuer Stangen gelöst: Der Beifahrer steigt ab, bohrt mit dem Akkuschrauber ein 50 cm tiefes Loch ins Eis und setzt eine neue Bambusstange, die sodann gleich vermessen wird. In der gleichen Zeit schreibt der Fahrer GPS-Position und gemessene Höhe von der Stangenspitze bis zur Schneeoberfläche ins Feldbuch, dass auf dem Tank des Skidoos aufgespannt ist.

 

Die erste Stange auf der Traverse der Saison 2021/22 wird gesetzt. Foto:Peter Köhler

Mangels Traverse bleibt etwas Zeit, sich ein paar andere Projekte an der Station genauer anzuschauen:

Jess, “Gardener of the Galaxy” betreut das Projekt EDEN-ISS (Link). Finanziert von der ESA und der DLR steht hier ein Container, in dem unter kontrollierten Bedingungen Gemüse angebaut wird. Dies ist ein Testversuch zur Nahrungsversorgung auf Raumfahrtmissionen, der hier installiert wurde, um den Überwinterern eine Frischgemüseversorgung zu ermöglichen. Ohne EDEN-ISS ist im Winter sonst irgendwann nur noch Tiefkühlkost auf dem Teller zu finden. So gibt es aber täglich frische Tomaten, Gurken, Kohlrabi, Salat, Basilikum, etc. Sehr lecker. Die Pflanzen wachsen unter erhöhtem CO2 und werden mit einer Nährstoffkombination versorgt, die auf das jeweilig angepflanzte Gemüse zugeschnitten ist. Die Pflanzen werden von Kunstlicht mit hohen UV-Anteil beleutet, was leider zu Fehlfarbenfotos führt. Ein Tagesgang, aber kein Jahresgang, wird simuliert, weil die momentan angepflanzten Sorten dies nicht benötigen. Gemessen werden neben der Nährstoffzusammensetzung in der Ernte auch das Verhältnis von essbarer zu nichtessbarer Biomasse und der Ertrag je Quadratmeter.

 

Der Gardener of the Galaxy im Einsatz. Foto:Peter Köhler.

Momentan ist ein Team aus 4 Biologen, Biologinnen und Biophysikern vor Ort. Sie erforschen das Verhalten der Kaiserpinguine, die hier in ca. 8 km Entfernung in mehreren Kolonien ihre Küken aufziehen. Einzelne Adult-Kükenpaare werden nach Alter und offensichtlichem Gesundheitszustand ausgesucht und vermessen. Hierzu werden die Tiere für einige Minuten händisch fixiert, Schnabellänge, Flossenlänge und Gewicht gemessen, und es wird eine Blutprobe genommen. Auf dem Rücken des erwachsenen Pinguins wird ein Sensor angebracht, der die Positionsdaten weitergibt. Weiterhin werden Temperatur und Salzgehalt beim Schwimmen gemessen. Es ist somit möglich, die Bewegung der Tiere in 3D nachzuvollziehen: Sie schwimmen mehrere 100 km weit nach Norden und tauchen bis zu 500 m tief. Noch ist unklar, ob sie beim Jagen von Fisch als Gruppe akustisch interagieren, weswegen bei einigen ausgewählten Tieren zusätzlich ein Unterwasserschallmessgerät angebracht wird. Das Problem ist nun, dass der Sensor nach einigen Wochen wieder eingesammelt werden muss um die Daten auszulesen, was nur gelingen kann, wenn die Tiere wieder in die Kolonie zurückkehren. Dies machen sicher nur erwachsene Tiere, die ihre Küken versorgen wollen (daher braucht es ein nicht zu schwaches und ein nicht zu altes Küken an der Seite der Alttiere). Die Sensorbergungsrate ist ca. 80%, d.h. bei einem von 5 Tieren geht der Sender verloren, bzw. das Tier kommt nicht zurück – vielleicht weil es auch Jagdopfer anderer Tiere wurde. Bei der nächsten Mauser fällt das alte Federkleid samt Sensor jedoch ab, weswegen auch diese Tiere bald von ihrer Sensorlast befreit sind.

 

Ein Pinguin wird ausgesucht und biologisch vermessen. Foto: Peter Köhler.

Wer sich zwischenzeitlich vom Leben auf der Station erholen will, kann die außerhalb liegende Bibliothek im Eis aufsuchen. Dort kann ein jeder gemütlich in einem der mehreren hundert für diesen Zweck gespendeten Büchern schmökern, oder einfach nur am Schreibtisch in alle Ruhe und fernab vom Stationsalltag ins Weiß starren. Ursprünglich für die Überwinterer der Vorgängerstation Neumayer-II gedacht, die im Schnee eingegraben unterirdisch positioniert war, sollte dieser Container den damaligen ÜWis eine Gelegenheit geben, in einem gemütlichen, sicheren Raum das Tageslicht zu genießen. Doch auch für ÜWis oder Gäste der überirdischen Station Neumayer-III ist dies ein willkommener Rückzugsort.

Die Bibliothek im Eis ist ein Kunstprojekt und eine Präsenzbibliothek. Foto: Peter Köhler.

Leser:innenkommentare (2)

  1. Sigi und Erika

    Immer wieder mit Vorfreude erwartet und Spannung gelesen!DANKE!

  2. Katharina Steiner

    Gratuliere, es ist sehr spannend diese Beiträge lesen zu dürfen, auch für mich als nicht Akademikerin sehr verständlich formuliert. Ich wünsche Euch allen viel Erfolg bei eurer Tätigkeit und geniesst diese unvorstellbare Zeit in der Abgeschiedenheit des ewigen Eises. Sag bitte Ladina ganz liebe Grüsse von uns Käthi und Marco Steiner danke.

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