Was haben wir in der Antarktis vor und warum?

Der warme AWI-Overall

Beitrag und Fotos von Peter Köhler (Glaziologie).

Eine Woche Quarantäne in „Einzelhaft“ liegt nun hinter uns. In der Zeit konnten wir erleben, dass der Tafelberg nicht immer über die Tafelbucht hinweg zu sehen ist, sondern dass eine derartige Erhebung quasi naturgegeben der Anziehungspunkt für Wolkenbildung und Niederschlag sein kann. Die Lebensmittelversorgung durch den Zimmerservice klappte mehr oder weniger gut. Ich hatte noch eine Begegnung mit einer Servicvekraft nachs um halb eins, weil sie fälschlischerweise der Meinung war, ich wäre der Empfänger eines georderten späten Dinners, das auch sofort gezahlt werden musste, und ein paar mal fehlten diverse Kleinteile, z.B. Besteck, aber da war ich schon soweit für derartige Ausfälle vorbereitet, dass ich nun immer Reserve im Zimmer zurückbehielt, um auf derartige Notfälle reagieren zu können. Weiterhin haben wir nun alle die Taschen und Seesäcke mit Polarkleidung zur finalen Kontrolle bekommen. Hierzu gehören der bekannte rote AWI-Overall, aber auch daunengefütterte Jacke und Hosen für die kalten Tage auf dem in 3000m Höhe gelegenen Plateau.

Der Tafelberg hat sich hinter Wolken versteckt.

Seit Montag sind wir nun in Gruppenquarantäne. Das bedeutet, dass unsere natürliche körperliche Ertüchtigung nun darin besteht, täglich 3x von unseren Zimmern in Etage 5-9 über das Treppenhaus in den 12. Stock (und wieder zurück) zu gehen, um dort am Buffet und in der Gruppe die Mahlzeiten einzunehmen. Mit Tischgespräch und ohne Maske. Es ist ganz schön, nach einer Woche mit sich selbst (und der Welt via Videokonferenzen) nun auch wieder sozial interagieren zu können. So konnten wir nun in den Teams, die später in der Antarktis zusammenarbeiten dürfen, erste Besprechungen zur Vorbereitung abhalten. Für mich bedeutet das in erste Linie, nun die anderen 8 Personen kennengelernt zu haben, die zusammen mit mir auf der Traverse zur Sommerstation Kohnen auf 75°S; 0°W unterwegs sein werden. Weiterhin haben wir erfahren, dass für den Weiterflug ab Kapstadt nur ein kleines Flugzeug mit maximal 14 Sitzen zur Verfügung steht, so dass die 27 Köpfe starke Gruppe nun geteilt an 2 unterschiedlichen Tagen weiterreisen wird. Ich bin in Gruppe 2 und haben einen einen Tag längeren Hotelaufenthalt vor mir. Da der Weiterflug nach der Quarantäne jedoch immer auch von guten Wetterbedinungen an sowohl unserer Zwischenstation „Wolf’s Fang“, wie auch an Neumayer abhängt, kann es durchaus sein, dass sich hier noch ein paar zusätzliche Hoteltage dazuaddieren werdenSomit habe ich noch immer wenig aktuelles aus dem Eis zu berichten. Dies gibt mir die Gelegenheit den Zusammenhang von Antarktisforschung an sich mit den in diesen Tagen in Glasgow beginnenden Verhandlungen der „United Nations Framework Convention on Climate Change, 26th Conference of the Parties“, kurz COP 26 darzustellen. COP26 ist eine der eigentlich jährlich stattfindenden internationalen Klimaverhandlungen, die vergangenes Jahr geplant war, aber COVID-19 geschuldet um ein Jahr verschoben wurde. Hier sollen Details nachjustiert werden, um das in 2015 auf der COP21 vereinbarte sogenannte Pariser Klimaabkommen wirkmächtiger zu gestalten. In letzter Konsequenz versuchen sich die Regierungen der dort teilnehmenden Staaten darauf zu einigen, ob und wie der menschgemachte Klimawandel aufgehalten werden kann. Hierbei spielen naturgegeben die Ergebnisse des in diesem Jahr erschienenen 6. Sachstandsberichts der 1. Arbeitsgruppe des des „International Panels on Climate Change“, kurz IPCC-AR6 WG1 eine große Rolle (Bericht zum Download: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/; deutsche Zusammenfassungen: https://www.de-ipcc.de/350.php). Dieser Bericht beschäftigt sich mit den physikalischen Grundlagen des Klimawandels. Was wissen wir aus der Vergangenheit, was messen wir für die Gegenwart, wie projizieren die Klimamodelle die Zukunft? Die Kryosphäre, also der Bereich des Erdsystems mit gefrorenem Wasser, spielt hier naturgemäß eine große Rolle, denn der steigende Meeresspiegel ist eine der größten Bedrohungen, die mit dem Klimawandel einhergeht.

Der Zimmerboden reicht gerade so um alles auszubreiten (Rechts oben im Bild: der Kaffeebereiter).

In den IPCC Berichten wird typischerweise der Zeitraum bis zum Ende dieses Jahrhunderts betrachtet. Die Simulationen sind naturgemäß mit großen Unsicherheiten behaftet, insbesondere da wir nicht wissen, welchen Emissionspfad die Menschheit letztendlich einschlagen wird. Im Zusammenhang mit der Feldforschung in der Antarktis interessant ist, dass insbesondere das simulierte Eisvolumen in der Antarktis in den Modellen eine der größten Unabwägbarkeiten ist – was soweit geht, dass einige wenige Modellläufe gar einen Anstieg des antarktischen Eisvolumens in diesem Jahrhundert prognostizieren. Die Antarktis würde somit helfen, dem Meeresspiegelanstieg entgegenzuwirken. Dieser Zustand kommt daher, dass Änderungen in der Eismassenbilanz der Differenz zwischen dem Zutrag durch Niederschlag (hier: Schneeakkumulation) und dem Verlust durch Schmelzen, Sublimation, und Eisbergkalben entspricht. Und hierbei ist insbesondere unser Wissen über Schneeakkumulation noch lückenhaft – wie sie in den Klimamodellen abgebildet wird, und was wir über sie aus Felddaten wissen.

Auf der Traverse von Neumayer nach Kohnen werden wir eine seit 1995 existierende Messung wiederholen, die in regelmässigen Abständen die Schneeakkumulation misst. Diese nun mehr als zwei Jahrzehnte lange Messreihe gibt Auskunft darüber, ob und wie der Schneezutrag sich zwischen der Küstenstation und dem Inlandeis in der Zeit verändert hat. Mehr Details hierzu werden in einem zukünftigen Blog erscheinen, wenn wir dann vor Ort Hand an die Messungen legen können.

Eine Kapuze mit Kunstfellrand wird später gut gegen den kalten Wind helfen.

Zurück zum IPCC und dem Meeresspiegelanstieg. Diese generelle Unsicherheit in der antarktischen Massenbilanz lässt nach, wenn man weiter in die Zukunft schaut. Es gibt einen wissenschaftlichen Konsens, dass langfristig das Eisvolumen der Antarktis kleiner wird und zum Meeresspiegelanstieg beiträgt. Eine, wie ich finde, interessante Größe ist, wann für eine erreichte maximale globale Erwärmung welcher Meeresspiegel zu erwarten ist.  Für 1,5°C sollten es in 2000 Jahren ca 2-3 m sein, für 2°C 2-6m, für 3°C 4-10m, für 4°C 12-15m, und für 5°C ca 20m. Wenn man gar 10000 Jahre weit in die Zukunft blickt, ist selbst bei 1,5°C Erwärmung von mehr als 5m Meeresspiegelanstieg auszugehen. Wenn man nun noch mit in Betracht zieht, dass ein Großteil der Menschheit in küstennahen Gebieten wohnt, kann man sich ausmalen, was dies für zukünftige Generation bedeutet. Es gibt daher auch die Idee, dass die CO2 Konzentration in der Atmosphäre, die maßgeblich für die Erwärmung verantwortlich ist, mittelfristig gesenkt werden muss, um derartige Meeresspiegelanstiege zu verhindern. Eine Zielgröße hierbei ist z.B. 350 ppm (www.350.org), eine Konzentration, die die Erdatmosphäre Ende der 1980iger Jahre innehatte. Diese CO2 Konzentration liegt auf halben Wege zwischen dem momentanen Wert von 417 ppm und dem vorindustriellen Wert von 280 ppm. Der Weg dahin würde Maßnahmen zur CO2 Entnahme und deren sicherer Speicherung beinhalten. Aber bevor wir diesen Weg einschlagen können, müssen die aktuellen CO2 Emissionen sinken, etwas, das sie immer noch nicht tun. Ich schaue daher gespannt nach Glasgow zum COP26.

Leser:innenkommentare (2)

  1. Reiner Gerke

    Hallo Peter, vielen Dank für Ihre ausführlichen von den Vorbereitungen und der Quarantäne. Ich glaube, die paar Tage bekommt ihr noch gut rum, zumal ihr ja schon den zeitweisen Zusammenschluss habt. Ich freue mich auch von darauf, wenn es bei Euch so richtig los geht. Dann bekommen wir bestimmt auch interessante Berichte und Informationen von der Expedition.
    Eine gute Zeit und viele Grüße aus dem herbstlichen Oberbayern

  2. Sigi und Erika

    Danke für die interessanten Erklärungen!

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