Ein Beitrag von Maria Hörhold
Eiskernkisten umpacken, Schokolade naschen, Mütze tiefer in die Stirn ziehen, kalte Finger aufwärmen, mittags Lasagneberge essen, abends erschöpft von der Kälte ins Bett fallen… Klingt nach Expedition, klingt nach Arbeit im ewigen Eis, klingt nach Grönland, Antarktis, weiter Himmel, Wind im Gesicht, knirschendem Schnee unter den Füßen…
Aber nein, wir sind in Bremerhaven. Von unseren vergangenen Expeditionen auf den Eisschilden haben wir flache Eiskerne zurückgebracht, um etwas über das Klima der letzten 1-2 Tausend Jahre zu lernen. Der Eiskern wird noch im Feld in 1m lange Stücke zersägt und in Styroporkisten nach Bremerhaven geschickt. Dann ruht er in unserem Eiskernlager im Fischereihafen, bis wir uns in unsere warmen Sachen werfen, Schokolade bereitlegen und den Eiskern in unserem Labor bei -19 Grad für die weiteren Untersuchungen zerschneiden.
So geschehen in den letzten 4 Wochen. Gerade noch die Spätsommermorgensonne genossen, stehen fast jeden Morgen 4 Leute eingemummelt vor dem Eislabor, bereit für die kleine Expedition ins Kalte, für ein paar Stunden, ein paar Tage, um das Eis zu bearbeiten. Wenn man es in den Händen hält, kann man sich ein bisschen vorstellen, man wäre vor Ort, dort, wo der Kern gebohrt wurde.

Tobias Erhardt zersägt den Eiskern mit der Bandsäge. Foto: Sepp Kipfstuhl
Dieses Mal ist es ein Kern aus der Ostantarktis, die eines der kältesten und trockensten Gebiete der Welt ist. Der Kern ist ca. 200m lang, wir schätzen, dass die untersten Meter Eis, die wir in den Händen halten, zwischen 4000 und 5000 Jahre alt sind. Wir wollen den Kern analysieren, um kurzfristige Temperaturschwankungen der letzten paar Jahrtausende zu rekonstruieren. Dafür wollen wir die stabilen Wasserisotope im Eis messen. Denn sie sind ein bewährter Gradmesser für Änderungen in der Temperatur. An Eiskernen aus der Ostantarktis funktioniert das gut für lange Zeiträume. Aber Änderungen innerhalb von ein paar Jahren zu rekonstruieren, ist schwierig. Denn die Trockenheit und Kälte führt dazu, dass die Wasserisotope im Schnee an der Oberfläche modifiziert werden. Mit unserem Projekt COMB-i (Combined measurements of stable water isotopes and impurities) wollen wir dieses Problem angehen. Wir wollen versuchen, mithilfe von Spurenstoffen, die wir gleichzeitig mit den stabilen Wasserisotopen messen, das im Eis enthaltene Temperatursignal, zu verbessern. Denn dann können wir auch kurzfristige Temperaturschwankungen in der Ostantarktis ablesen, und so etwas über die natürliche Variabilität des Klimas lernen. Der Eiskern ist wie eine Aufzeichnung, eine Geschichte aus der Vergangenheit.

Bei -19 Grad muss man sich gut vor der Kälte schützen. Foto: Sepp Kipfstuhl
Die Lüftung dröhnt, die -19 Grad kalte Luft kriecht unter die Mütze, die dicken Stiefel klopfen bei jedem Schritt auf den Metallboden unseres Labors. Drei Sägen laufen abwechselnd, zerschneiden die 1m langen Kernstücke in verschiedene Proben – für die Analyse der Mikrostruktur, für die Isotope, für Spurenstoffe und für das Archiv. Jedes Stück wird ausgepackt, gewogen, vermessen, zersägt und vierfach wieder eingepackt. Nach 2 Stunden machen wir Pause, mit Tee, Keksen, Kaffee. Mal schaffen wir 18m am Tag, mal 24m, an guten Tagen schaffen wir 30m Eis zu bearbeiten.
Ende September haben wir es geschafft. Der Kern ist in der ganzen Länge von 200m geschnitten. Stolz und erschöpft sind wir, wie nach jeder Expedition, auch wenn es „nur“ das heimische Eislabor ist. In den kommenden Wochen wird die eigentliche Messkampagne folgen. Dann werden wir Meter für Meter vorsichtig schmelzen, das Schmelzwasser analysieren und abfüllen. Hoffentlich schon Ende des Jahres, haben wir die Daten zusammen. Wir sind gespannt, was uns das Eis für eine Geschichte erzählen wird.

Manchmal muss man kreativ werden um warm zu bleiben. Foto: Sepp Kipfstuhl
Ilona Stoffles
Liebe Frau Hörhold,
Vielen Dank für diese Einblicke in Ihren Alltag. Die Nachbearbeitung, oder sollte ich vielmehr sagen die wissenschaftliche Hauptarbeit, startet somit ja oft nach den Expeditionen. Natürlich ist eine gute Planung und Vorbereitung der Projekte ebenso notwendig, aber man hört halt oft nur von den Expeditionen selber. Daran denkt der nicht-wissenschaftlich denkende Mensch ja oft nicht, bzw. ist das auch oft nicht bekannt. Umso schöner ist es dann in Ihrem Block zu lesen, wie es nach einer Expedition dann weiter geht. Ich hoffe noch viel von Ihnen lesen und lernen zu können.
Mit ganz lieben Grüßen aus Hamburg
Ilona Stoffels