Eine Frage der Skalen – Radarmessungen zur Firnverdichtung

pRES-Messung in Grönland
pRES-Messung in Grönland

Die Frage nach der Wechselwirkung von Prozessen auf unterschiedlicher Skala ist in vielen Bereichen ein wichtiger Aspekt der Forschung. Allein in Eisschilden gibt es Prozesse von der Mikroskala der Kristalle bis hin zu hunderten von Kilometern. Welche Prozesse davon wechselwirken miteinander und auf welcher Weise? Ändert sich ihre Stärke und wenn ja, durch was wird das gesteuert? Das sind die Fragen, die mir bei unseren täglichen Messungen hier in Grönland und beim Blick aus unserem Flieger Polar 5 auf die Oberfläche des Eisschilds immer wieder durch den Kopf gehen. Unserer Crew geht bei diesem Anblick aber eher der Gedanke durch den Kopf, wieso müssen sich diese Glaziologen immer so unschöne Orte zum Landen aussuchen?

pRES-Messung in Grönland
Phasensensitive Radar-Messung auf dem grönländischen Eisschild.

Eine dieser Fragen nach der Skala des Prozesses ist die Verdichtung von Firn. Die Verdichtung von Schnee führt zu einer porösen Struktur, die als Firn bezeichnet wird. Dieses poröse Medium wird wiederum über viele Jahre zu Eis verdichtet. Durch die Untersuchung von zahlreichen Dichteprofilen von Firn in unterschiedlichsten Regionen der Eisschilde zeigt sich, dass Temperatur und Schneeakkumulation abhängen. Aber eine physikalische Beschreibung des Verdichtungsprozesses ist nach wie vor eine nicht gelöste Fragestellung. Nun kann man diese Fragestellung aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: der Materialwissenschaftler würde das Drucksintern darin sehen, als Eisschildmodelliererin, die das Ziel hat die Projektionen des Beitrags der Eisschilde zum Meeresspiegel zu simulieren, möchte ich aber nicht die Mikroskala auflösen – niemals könnte ich dies für gesamte Eisschilde tun. Wäre es nötig? Aus Sicht der Kontinuumsmechanik sicher nicht. Der Charme der Kontinuumsmechanik liegt nämlich darin ein effektives Materialverhalten zu beschreiben und dies wäre in diesem Fall ein klassisches Feld der vertikalen Verschiebung einzelner Schichten im Firn zueinander. So könnte ich zwar die Verdichtung von Firn simulieren, müsste dazu aber keine einzelne Kornstruktur oder die Geometrie der Hohlräume kennen. Elegant und praktikabel!

Um Firnverdichtungsmodelle zu validieren bedarf es aber Messdaten. Und diese Messungen führen wir hier am fantastischen EastGRIP Camp und an einigen anderen Stellen des grönländischen Eisschilds durch. Wie funktioniert das? Firn und Eis ist für Radarwellen transparent, die Wellen dringen in den Firn ein und werden an Schichten reflektiert, die unterschiedliche elektrische Eigenschaften aufweisen. Wenn man nun an exakt der gleichen Stelle in dem exakt gleichen Aufbau diese Messung wiederholt, kann man die Schicht zu einem zweiten Zeitpunkt wiederfinden. Daraus lässt sich berechnen wie sich einzelne Schichten zueinander bewegt haben und daraus folgt die Verdichtungsrate. Aber nun stellt sich die Frage, ob eine einzelne Messung repräsentativ ist? Reicht es diese Messung an einer einzigen Stelle durchzuführen oder ist die Variabilität auf kleinen räumlichen Skalen vielleicht hoch? Zu diesem Zweck haben wir im vergangenen Jahr ein Gitter von 3×3 Messpunkten mit nur zehn Meter Abstand angelegt, welches wir dieses Jahr erneut vermessen. Diese Messungen sind mit überschaubarem Aufwand verbunden: man stellt zwei Antennen auf und richtet sie sehr gut zueinander aus. Jede Messung sendet 100 Radarwellenpakete aus und misst deren Rückstreuung. Nach einem gewissen Zeitabstand, typischerweise ungefähr ein Jahr, führt man die Messung erneut durch. So erhält man einen Mittelwert über ein Jahr. Dies haben wir hier am EastGRIP Camp durchgeführt, aber gestern auch ein solches Messgitter an einem Zustrom des 79°N Gletschers aufgebaut, zu dem wir mit Polar 5 geflogen sind. Man kann diese Messung aber auch autonom durchführen, so dass das Radar jeden Tag einmal eine solche Messung durchführt. Dies konnten wir hier im Bohrcamp über den vergangenen Winter durchführen. Kollegen haben die Antennen letztes Jahr als eine der letzten Aktivitäten hier im Trench aufgebaut und direkt nach unserer Ankunft hat uns Dorthe Dahl-Jensen direkt in dieses faszinierende Tunnelsystem geführt und wir konnten die Daten einer Zeitreihe ‚ernten’.

Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Verdichtungsrate auf kleinen räumlichen Skalen deutlich variiert. Was führt dazu? Wind verweht den Schnee und bildet Sastrugi, trägt an einer Stelle Schnee ab, baut ihn an einer anderen Stelle auf. Wenn man nur ein so kleines Gebiet von 20m x 20m betrachtet, dann sieht man Hügel und Täler. Das bedeutet sehr kleinräumige Variation der Bedingungen, die eine Ursache sein könnte. Wie geht man damit aber nun für Simulationen um? Diese Komplexität lässt sich in grobskaligen Modellen so nicht abbilden. Hierzu wollen wir mit weiteren Forscherinnen und Forschern in Helmholtz neue Methoden entwickeln, für die unsere Messungen hier in Grönland die Basis bilden.

Autoren: Angelika Humbert und Ole Zeising

Leser:innenkommentare (1)

  1. (M)ein holpriger Start in die neue EGRIP Saison – AWI-Eisblog

    […] Ziel wird begleitet von diversen Nebenprojekten. Es wurden bereits Firn-Kerne gezogen, Radarmessungen angestellt und auch das Bohrloch des alten NEEM-Projektes wurde neu […]

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