Abschluß und Rückblick auf EGRIP 2018

planierte_schneeoberflaeche_da_starke_winde_fuer_den_kommenden_tag_vorrausgesagt_waren

Die EGRIP-Saison 2018 ist vorbei, das Camp winterfest gemacht und es sind bereits einige Wochen seit meiner Rückkehr nach Bremerhaven vergangen. Es ist also an der Zeit, meinen Aufenthalt im EastGRIP-Camp Revue passieren zu lassen und das Erlebte zu teilen. Ich hatte die großartige Möglichkeit, als Studentische Hilfskraft ins ewige Eis nach Grönland zu fahren, um mich dort an der Forschung zu beteiligen. Als Ende April unvorhergesehen ein Crew-Platz frei wurde und man mich fragte, ob ich Zeit und Lust hätte, musste ich nicht lange überlegen.

Schon zwei Monate später stand ich dann auf dem Northeast Greenland Ice Stream, einem 2550 m dicken Eispanzer, der sich mit einer Geschwindigkeit von 65 m/Jahr nordostwärts Richtung Küste bewegt. Dass sich das Camp Tag für Tag um knapp 18 cm bewegte, hat man nicht wahrgenommen, dafür aber die recht schnellen Wetterveränderungen. Während zuhause in Deutschland mal wieder ein Rekordsommer zu verzeichnen war, stiegen auch bei uns an einigen Tagen die Temperaturen bis knapp unter den Gefrierpunkt an. Am nächsten Tag konnte es aber auch schon wieder kälter als -20°C sein, dazu noch etwas Wind und schon lag die Windchill-Temperatur bei -35°C.

Planierte Schneeoberläfche (zur Vorbereitung auf vorhergesagte, starke Winde für den kommenden Tag)

Dass es richtig kalt war, merkte man spätestens dann, wenn man ins Bett gegangen war, wenn am Rand vom Schlafsack die Atemluft kondensierte und sich sofort zu kleinen Eiskristallen formierte, die einem dann im wahrstem Sinne des Wortes eiskalt ins Gesicht rieselten. Doch nicht nur der nächtliche Indoor-Schneefall konnten einem gut und gerne den Schlaf rauben. Auch die Sonne, die fleißig und unermüdlich Tag und Nacht das Camp umkreiste, lies mich die eine oder andere Nacht nicht schlafen. Am schlimmsten war es jedoch, wenn man vor dem Zubettgehen zu viel Flüssigkeit zu sich nahm, mitten in der Nacht aufwachte und sich dann nach einer Stunde des Aushaltens doch dazu entschied, sich aus seinem warmen Schlafsack zu pellen, um das stille, jedoch bitterkalte Örtchen aufzusuchen. Dass man gelegentlich vergessen hatte, seine Trinkflasche mit in den warmen Schlafsack zu nehmen und dann am nächsten Morgen einen soliden Eisblock in seiner Trinkflasche vorfand, war dann eher ein kleines Übel.

Ja, ich muss schon sagen, dass die „Outhouses“, wie die stillen Örtchen liebevoll genannt werden, eines der wenigen Dinge sind, die ich seit meiner Rückkehr nicht vermisse. Auch wenn mir das Buddeln eines neuen Loches für eben jenes Häuschen große Freude bereitet hat. Wer kann schon von sich behaupten ein 3,5 m tiefes Loch im Schnee auf dem grönländischen Eisschild hinterlassen zu haben? (Ok, ok. So ganz stimmt diese Aussage nicht. Das Loch wird am Ende der Saison schließlich nicht leer hinterlassen sein.) Vielleicht ist es etwas, das jede Glaziologin in ihrer Laufbahn mal gemacht haben sollte. Quasi als Pedant zum Baumpflanzen, Hausbau etc. Meine drei Kollegen und ich jedenfalls waren mit unserem Ergebnis zufrieden.

Der eigentliche Grund meines Aufenthaltes in Grönland lag jedoch noch ein paar Meter tiefer im Gletscher. Wie bereits einige Vorgängerautor*innen war auch ich in die meditativen Arbeit des „Physical Properties“ Labors eingespannt. Dann galt es möglichst sauber und sorgfältig Dick- und Dünnschliffe aus den Eisproben zu erstellen, um unter anderem Korngrenzen und C-Achsenorientierungen sichtbar zu machen. Die Oberflächen der Eisproben benötigen nach dem Polieren einige Zeit für die Sublimation, d.h. Wasser geht von der festen Phase direkt in die gasförmige Phase über ohne dabei die flüssige Phase einzunehmen; eine sehr kleine Menge Eis verdunstet also an der Oberfläche. Dieser Effekt wird genutzt, um kleinste Kratzer aus dem Poliervorgang verschwinden und die Korngrenzen deutlicher erkennbar werden zu lassen. Die Zwangspausen während dieser Sublimationsprozesse und zwischen den eigentlichen Messungen ließen meinen beiden Kollegen und mir immer mal wieder freien Raum, um die weißen Weiten in der Umgebung des Camps zu erkunden. Zumindest, wenn die Sicht gut war, wurden die Langlaufskier an die Füße der Wissenschaftler*innen geschnallt, oder sich in die Laufschuhe gezwängt. Wie bereits im vorangegangenem Beitrag von Nicholas Stoll erwähnt, wurden wir vom Koch Frederik sehr, sehr gut versorgt. Da wurde jede Gelegenheit dankend angenommen, die angefutterten Pfunde abzutrainieren. Manchmal half es dem Gewissen aber auch schon, einfach chipsessend auf der Couch im Dome zu sitzen und Anderen bei sportlichen Aktivitäten zuzugucken. Ja, diesen Sommer war Fußball-Weltmeisterschaft und wir hatten gelegentlich eine so gute Internetverbindung, dass wir einige Spiele streamen konnten. Wenngleich die Auflösung an die frühen SuperNintendo Spiele à la FIFA96 erinnerte, weil sich nur verschiedenfarbige Pixel vor einem grünen Hintergrund bewegten und man in nostalgischen Zeiten der 90er Jahre schwelgte. Doch auch durch das frühzeitige Vorrundenaus der deutschen Nationalelf ließ ich mir meine Stimmung nicht vermiesen. Gab es ja noch genügend andere Nationen im Camp, deren Auswahl noch nicht ausgeschieden war und dessen Euphorie auf mich übersprang.

Dickschliff einer Eisprobe. Links: direkt nach der Politur; rechts: nach vier Stunden Submlimation.

Jeder Tag im Camp war anders und versprühte seinen ganz eigenen Charme. Und obwohl ich sehr traurig war, das Camp verlassen zu müssen, war es der Rückflug nach Kangerlussuaq, der eine Überraschung bereithielt. Ich saß im Cockpit der Hercules Maschine und habe einen tollen Rundumblick genossen, als sich die Wolkendecke auftat, sich unter uns Gletscherseen zeigten und wir einige Zeit später tiefer gingen, um uns an den Bergen vorbei zu schieben und wenige Meter über den Fjord zur Landung anzusetzen. Nach Wochen weißer Wüste endlich wieder bunte Farben zu sehen (abgesehen von den im Camp aufgestellten roten Fähnchen und den ebenso farbvollen AWI-Overalls natürlich), ließ die Traurigkeit darüber, das Camp verlassen haben zu müssen, in den Hintergrund rücken.

Wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich das ganze nochmal machen würde, ich wüsste die Antwort ohne mit der Wimper zu zucken.

Pia Götz

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