Cryo-Cryptanalysis oder Die Geheimnisse des Eises

Dünnschnitt unter dem Kreuzpolarisator
EGRIP Dome um Mitternacht

Seit Jahrtausenden entwickeln Menschen komplizierte Algorithmen um Nachrichten mit wichtigen Informationen zu verschlüsseln und vor anderen geheimzuhalten. Die Widersacher wiederum setzen alles daran, die Nachrichten abzufangen und die Verschlüsselung zu knacken um die Geheimnisse zu lüften.

Uns – den Glaziologen, die die physikalischen Eigenschaften des Eises untersuchen – ergeht es hier eigentlich ganz ähnlich wie den Kryptanalytikern:
Uns interessiert insbesondere herauszufinden, wie sich das Eis in verschiedenen Tiefen verformt, und zwar schauen wir dabei auf die einzelnen Eiskristalle, aus denen jeder Gletscher besteht. Unter großem Aufwand entreißen wir dafür dem grönländischen Eisschild ein kleines Stück (der Bohrkern), wir teilen ihn in kleine Stücke (Proben) und wenden alle möglichen Messtechniken an um dahinter zu kommen, welches die Geschichte des Eises ist. Allerdings gibt uns das Eisschild viele Hinweise auf seinen Werdegang nur in verschlüsselter Form heraus. Wir müssen also lernen, diese Hinweise richtig zu deuten.

300µm dicke Eisprobe im Gegenlicht: Man erkennt die vielen feinen Grenzen zwischen Eiskristallen

Wir nehmen daher zunächst von unseren Eiskernproben verschiedene Bilder auf, die uns zeigen, wie die Eiskristalle aussehen, das heißt wie groß sie sind und welche Form sie haben. Da gibt es ebenmäßige und asymmetrische, eckige und zackige, langgezogene und verbeulte Eiskörner und verschieden große, unterschiedliche verteilte Blasen. Dann schauen wir uns an, in welche Richtung die einzelnen Kristalle einer Probe ausgerichtet sind, denn in Abhängigkeit von den physikalischen Bedingungen (Druck, Temperatur, Verformungsrichtung) gibt es Vorzugsrichtungen, in die sich die Eiskristalle im Gletscher anordnen.

9 cm lange Eisprobe mit zwei Schmelzlagen vor dem Hintergrund eines schwarzen Handschuhs

Richtig spannend wird es, wenn man sich diese Eigenschaften an Proben aus unterschiedlichen Tiefen im Gletscher anschaut. Dieses Eis ist dann unterschiedlich alt und hat entsprechend verschiedene „Lebenswege“. Wir finden zwischen diesen Proben oft große Abweichungen in den betrachteten Eigenschaften! Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, welche Einflüsse zu diesen Unterschieden führen.

In den letzten vier Monaten konnten wir lediglich Eis der oberen 400 m des ca. zweieinhalb Kilometer dicken Eisstroms untersuchen, da die Eiskernbohrung erst begonnen hat. Das Eis in dieser Tiefe ist allerdings bereits zwischen 2000 und 3000 Jahren alt. Der Schnee, aus dem die Proben sind, die wir hier tagtäglich in der Hand halten, ist also gefallen, als die Römer gerade versuchten die Gallier zu besiegen!
Wenn es noch tiefer geht, erreichen wir Eis aus der Zeit der ägyptischen Pharaonen. Während die Hieroglyphen der Äqypter allerdings schon längst entziffert werden konnten, arbeiten wir noch daran zu verstehen, was mit diesem Eis seitdem passiert ist.

Schmidt-Diagramm: Kristallachsen ergeben ein „butterfly“-Muster

Besonders gerne betrachten wir hierzu ein sogenanntes Schmidt-Diagramm, das einer Sternenkarte ähnelt. Die Punkte geben die Richtung der Hauptkristallachse der einzelnen Körner in einer Probe an. Wir haben schon viele Muster in diesen Diagrammen beobachten können und Erklärungen dafür finden können, durch welche Prozesse sie entstehen. In dem neuen Eiskern haben wir jetzt zum ersten Mal ein neues Muster entdeckt, das wir „the butterfly“ nennen und von dem wir noch nicht wissen, wie es entsteht. Der grönländische Eisschild hat uns ein neues Rätsel aufgegeben!

Eingang zum Science Trench

In wenigen Tagen endet die Saison hier im EGRIP Camp und wir beginnen jetzt damit alles für den grönländischen Winter vorzubereiten, das heißt ein Teil der Zelte wird abgebaut, Ausrüstung wird wind- und schneedicht eingelagert und der Eingang zum Graben, in dem gebohrt wird und wir unsere Proben messen, wird versiegelt.
Bis wir nächstes Jahr im Frühjahr das Camp wieder öffnen um in größere Tiefen weiterzubohren, haben wir jetzt erst mal ein halbes Jahr Zeit die gesammelten Daten zu entschlüsseln.
Als Glaziologe darf man sich also ruhig auch ein bisschen als Archäologe und Kryptanalytiker fühlen, wenn wir den Geheimnissen des Eises auf der Spur sind.

Graphik der Fabric Analyser-Messung, die die unterschiedliche Orientierung der Eiskristalle durch verschiedene Farben zeigt

[Dies ist der letzte Blogbeitrag aus der EGRIP Saison 2017.
Die Glaziologen auf Expedition in Grönland sind dann hoffentlich nächstes Frühjahr wieder mit neuen spannenden Geschichten vom EGRIP Eisbohrcamp da.]

Autorin: Dr. Johanna Kerch

 

 

 

Leser:innenkommentare (1)

  1. Eine ganz normale Woche im EGRIP-Camp: Von Toiletten-Löchern, Fußball auf dem Eis und Gästen aus aller Welt - AWI-Eisblog

    […] uns Hinweise über die physikalischen Bedingungen tief im Eis (genauere Informationen dazu in Johanna Kerchs Blogeintrag von letztem Jahr). Dieses Naturschauspiel brachte einige Augen zum Leuchten und vielleicht ist es uns sogar […]

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