Music in the ice

Offiziell wissen wir gar nicht, wo sie sich befindet: die Fernbedienung. Foto: Ina Kleitz
Offiziell wissen wir gar nicht, wo sie sich befindet: die Fernbedienung. Foto: Ina Kleitz

Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich die meiste Zeit im Science-Trench arbeite. Hier bestimme ich zusammen mit meinen Kollegen Jan und Wataru Korngrößen und c-Achsenorientierungen (die sogenannten physical properties). Dazu verwenden wir etwa sechs mal neun Zentimeter große Eisproben, bei denen wir mit Hilfe von Mikrotomen die Oberflächen polieren, um die Strukturen des Eises sichtbar zu machen. Wenn die Arbeit an den Proben abgeschlossen ist, ziehen wir uns meist in unsere beheizte Isolierzelle zurück und bereiten Probenträger vor oder werten an den Rechnern drinnen die Messdaten aus. Die Kollegen aus der benachbarten Zelle, die sich mit der Schmelzwasseranalyse (CFA – continuous flow analysis) beschäftigen, haben meist einen ganz ähnlichen Tagesablauf.

In unserem Bereich stehen zwei Mikrotome, an denen wir die Proben vorbereiten können. Da diese jedoch zu weit auseinander stehen, um ein tiefgreifend philosophisches Gespräch zu führen, lässt man im Hintergrund eben Musik laufen. Und genau da liegt der Hund begraben. Denn es kann jeweils nur ein Gerät an die Boxen angeschlossen werden. Es arbeiten allerdings immer circa fünf Leute mit völlig unterschiedlichen Geschmäckern im Dunstkreis der Anlage. Da folgt Aretha Franklin auf spanische Gitarrenmusik und japanische Herzschmerz-Balladen (es klang zumindest danach). Wenn man dann beim Mikrotomieren schon fast den Tränen nahe ist, erklingen noch drei Stunden Hip Hop. Nach diesen drei Stunden macht sich unter den physical properties eine latente Aggressivität breit und man überlegt, wo man Kabel und Fernbedienung am besten verstecken könnte. Ich hoffe immer noch inständig, dass man die aktuelle Musikauswahl nicht an der Qualität der Messdaten erkennen kann. Schließlich muss das Mikrotomieren immer behutsam und konzentriert vonstattengehen, um Risse und Kratzer in der Probe zu vermeiden.

Wie eine Königin thront sie über unseren Messgeräten: einer der beiden Lautsprecherboxen. Foto: Ina Kleitz
Wie eine Königin thront sie über unseren Messgeräten: einer der beiden Lautsprecherboxen. Foto: Ina Kleitz

Wenn man dann denkt, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, wird etwas aufgelegt, dass wie der Soundtrack von Apollo 13 klingt oder man hört einen ganzen Vormittag lang Kommentare zu irgendeinem völlig bedeutungslosen Tennismatch. Nach so einem Tag hat mich sogar Wataru gefragt, ob ich denn nicht die Musik aussuchen könnte – „because he needs something heavy…“ Als er die Freude in meinem Blick sah, kam allerdings auch gleich der Rückzieher („but not too heavy…“). Wir konnten uns auf die Foo Fighters einigen.

Offiziell wissen wir gar nicht, wo sie sich befindet: die Fernbedienung. Foto: Ina Kleitz
Offiziell wissen wir gar nicht, wo sie sich befindet: die Fernbedienung. Foto: Ina Kleitz

Im Zweifelsfall halten aber die Bewohner der physical properties-Zelle zusammen. Zumindest, wenn es gegen die dunklen Gestalten im CFA-Labor geht. Der Soundtrack zu Apollo 13 kam schließlich nicht von uns. Es schweißt aber schon ein bisschen zusammen, wenn man das gemeinsam durchgemacht hat. Wenn dann jemand aus dem CFA-Labor vorbeischaut und fragt, ob wir die Fernbedienung für die Boxen gesehen haben, schütteln wir alle ganz unschuldig den Kopf. Ich weiß genau, dass Jan sie in der Tasche hat.

Trotzdem habe ich mittlerweile immer meinen alten mp3-Player mit Kopfhörern dabei. Der kommt dann zum Einsatz, wenn es mir mal wieder zu bunt wird und hat den Vorteil, dass er sogar weiterspielt, wenn er schon eingefroren ist.

Da ich früh aber grundsätzlich als Erste im Trench erscheine, kann ich uns meist einen wichtigen strategischen Vorteil erkämpfen und schonmal das Kabel beschlagnahmen. Nachdem ich also mein Handy an die Boxen angeschlossen und somit die Weltherrschaft übernommen habe, stelle ich immer höflich, aber nicht ganz ernst gemeint klar, dass die anderen ruhig die Musik aussuchen können. Da sie aber genauso höflich sind, tun sie dies erst, wenn ihnen wirklich die Ohren bluten.

Finden wir dann doch etwas, was jedem von uns gefällt, bemerkt man mitunter bei allen ein leichtes Kopfnicken oder verstohlenes Wippen mit dem Fuß. Die ganz Mutigen fangen sogar an zu pfeifen. Zumindest bis uns Apollo wieder einholt.

Beste Grüße aus dem Eis

Ina Kleitz

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