Ein Ausflug ins weiße Nichts

Die AWI-Glaziologen Jan Eichler und Ina Kleitz auf dem grönländischen Eisschild. Foto: Jan Eichler
Die AWI-Glaziologen Jan Eichler und Ina Kleitz auf dem grönländischen Eisschild. Foto: Jan Eichler

Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass ich meine gesamte Zeit in EastGRIP im Science-Trench verbringen werde. So war es letztlich eine Überraschung zu hören, dass ich auch bei einer Messung außerhalb von Camp helfen kann. Geplant war, dass mein Kollege Jan Eichler und ich 30 Kilometer vom Camp entfernt eine punktuelle Radarmessung auf dem NEGIS-Eisstrom (North East Greenland Ice Stream) durchführen sollten. Wir warteten also darauf, dass der hauseigene Wetterdienst grünes Licht gab und wir uns mit zwei Skidoos auf den Weg stromaufwärts machen konnten.

Da ich von Radarmessungen absolut keine Ahnung habe, nahm ich an, dass ich zunächst als Ablenkung für die Eisbären eingeplant war. In dem roten AWI-Anzug und voll gepackt mit Proviant lässt sich das relativ leicht realisieren. Am Abend vorher wurde bereits der Schlitten mit der Ausrüstung beladen und alle nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Normalerweise arbeiten wir beide an den „physikalischen Eigenschaften des Eises“, sodass wir uns auch entschlossen, mal eine Testmessung durchzuführen, damit das Ganze am nächsten Tag nicht zu dilettantisch wird.

Ich hatte mir bis dato gar nicht so viel Gedanken darüber gemacht, dass wir allein irgendwo im Nirgendwo Messungen machen würden und dass es gemeinhin nicht ganz ungefährlich ist, sich so weit vom Camp zu entfernen. Als dann aber die Kommentare à la „Na mal schauen, ob wir euch wiedersehen“ stetig zunahmen, versuchte ich, meine Verunsicherung zu überspielen, indem ich einfach noch mehr warme Kleidung und Käsestullen in meinen Rucksack quetschte.

Kurz vor der Abfahrt am nächsten Morgen wurden wir nochmal umarmt und fotografiert und ich hatte das Gefühl, ich würde zu einer Weltreise aufbrechen. Selbst Gonzalo, der Koch, fing an, uns heimlich Bananen zuzustecken.

Bis zur Unkenntlichkeit vermummt und mit der Melodie von Born To Be Wild im Hinterkopf ging es dann los. Ich muss erwähnen, dass allein schon das Skidoo fahren ein Grund ist, in die Polarforschung einzusteigen. Zeitweise fiel es mir schwer, nicht übermütig zu werden und den Finger auch mal vom Gas zu nehmen. Es könnte ja doch mal eine etwas größere Schneedüne auftauchen, die man dann nicht schnell genug umfahren kann. Größtenteils war die Piste jedoch wunderbar eben und wir konnten mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 Kilometer pro Stunde zur unserer Position düsen. Ab und zu ließ ich mich etwas zurückfallen, um einen Blick auf den Schlitten zu werfen, der an Jan’s Skidoo angehangen war und sicher zu gehen, dass noch alles gut vertäut war. Natürlich musste ich dann wieder Gas geben, um zu meinem Kollegen aufzuschließen (ooohhh). Hin und wieder musste man sich auch vergewissern, dass bei dem anderen alles in Ordnung war – da man aber in den dicken Fausthandschuhen den Daumen praktisch nicht hochstrecken kann, zeigten wir uns gegenseitig öfter mal die geballten Fäuste. So als freundschaftliche Geste.

 

Die Skidoos der Wissenschaftler. Foto: Ina Kleitz
Die Skidoos der Wissenschaftler. Foto: Ina Kleitz
Das Radargerät und der Theodolit. Foto Jan Eichler
Das Radargerät und der Theodolit. Foto Jan Eichler

An unserer Position angekommen, bauten wir zunächst die Ausrüstung auf. Die bestand im Wesentlichen aus dem Radargerät selbst, zwei Antennen, einer Packung Kekse (die zur allgemeinen Freude in der Kiste auftauchte), einem Laptop und einem Theodoliten. Dieser diente dazu, die Fließrichtung des Eisstromes und auch die Winkel zu bestimmen, in denen die Antennen um unseren Messpunkt herum aufgestellt werden müssen. An jeder Position wurden vier Messungen gestartet, bei der die Antennen jeweils um 90° gedreht wurden. Durch das Ändern der Positionen und der Antennenausrichtung können wir Rückschlüsse auf die Anisotropie des Eises ziehen. Oder besser gesagt: jene Kollegen, die sich mit Radardaten auskennen, können das. Ich war jedenfalls voll damit beschäftigt, die Antennen möglichst gerade auszurichten und im Schnee umherzukrabbeln.

Während die Messung lief, wanderten unsere Augen immer wieder über den Horizont. Einerseits war natürlich das Eisbärenthema für mich noch lange nicht erledigt, andererseits musste man sich unwillkürlich und immer wieder vergewissern, dass dort wirklich NICHTS war. Und mit NICHTS meine ich keine Menschen, keine Zelte, keine Fahrzeuge. Gar nichts. Nur Eis und Schnee und strahlend blauer Himmel. Und auch wenn die Landschaft nicht sehr abwechslungsreich war, tat dieses Nichts doch tatsächlich mal gut, vor allem, wenn man sich in seinem Alltag sonst nur in einem sehr kleinen Kosmos bewegt, mit den gleichen Menschen, den gleichen Wegen und der gleichen Arbeit.

 

Das beeindruckende Nichts auf dem grönländischen Eisschild. Foto: Ina Kleitz
Das beeindruckende Nichts auf dem grönländischen Eisschild. Foto: Ina Kleitz

 

Spuren im Schnee - hier Inas Schneeengel. Foto: Ina Kleitz
Spuren im Schnee – hier Inas Schneeengel. Foto: Ina Kleitz

Generell war ich überrascht, wie warm es doch an der Oberfläche war. Nach einiger Zeit im Science-Trench ähnelt man eher einem Vampir und ist somit an ein bisschen Wärme gar nicht mehr gewöhnt. Aber weder unsere Brötchen, noch die gefühlt 50 Bananen waren gefroren. Und ich hatte mir sinnloser Weise etwa fünf Kleidungsschichten mehr angezogen. Wegen der Helligkeit habe ich meine Skibrille die ganze Zeit aufbehalten und musste danach feststellen, dass ich noch nie eine so schön gebräunte Oberlippe hatte.

Als wir die Messung beendet hatten und alles wieder sicher auf dem Schlitten festgeschnallt war, musste ich noch schnell einen Schneeengel machen. Wie oft hat man schließlich die Gelegenheit, Boden zu betreten, auf dem zuvor höchstwahrscheinlich noch nie ein Mensch gestanden hat? Ein Schneeengel erschien mir da als die passende Würdigung.

Dieser Ausflug war auf jeden Fall eines der Highlights meiner (bisherigen) Zeit in EastGRIP.

Grüße aus dem Eis

Ina Kleitz

 

 

Leser:innenkommentare (4)

  1. Reiner Gerke

    Ich liebe Eure Beiträge. Gerade wenn es nicht nur um spannende wissenschaftlichen Experimente und um aufregende artische/antartische Phänomene geht. Auch Eure ganz persönlichen Eindrücke, Ängste und Erwartungen sind sehr interessant. Schließlich arbeiten da Teams, also Menschen wie Du und Ich auf engstem Raum in aller Abgeschiedenheit miteinander. Und keiner macht abends den Schreibtisch zu und geht nach Hause. Wie geht Ihr mit der Dunkelheit der Polarnacht um und geht es Euch besser, wenn die Sonne gar nicht untergeht? Das Fiebern auf die Sekunde, wenn die Sonne das erste Mal wieder am Horizent erscheint. Und das Polarlicht, muss umwerfend sein. Ich erinnere mich an einen Blog in dem es um das letzte Stück Schokolade ging. Die Anzahl der Kommentare zeigt, wie sehr Ihr nicht vergessen seid. Auch wenn nicht jeder Blog kommentiert wird.

  2. tide

    Großer tapferer Wissenschaftler,Ich liebe Eure Beiträge.

  3. Edith Rudolph

    Gut fotografiert: das „beeindruckende Nichts“ von I.Kleist.

    Eine Frage: gibt es Aufzeichnungen der Mahl-, Fließ-, Knack-etc.-Geräusche
    von der Grenzschicht Gletschereis/Moräne, z.B. im Bereich einer Gletscherzunge? Ich habe
    einmal eine Stunde einen solchen Bereich beobachten können und glaube seitdem gerne, dass
    der Gletscher z.B. tiefe Täler aus dem Felsen herausarbeiten kann.

    1. Olaf Eisen

      Am Vernagtferner wurde vor 10 Jahren im Rahmen eines Kunstprojektes ein Mikrofon am Gletschertor installiert. Das konnte man telefonisch erreichen – call the glacier.
      Geophysikalisch werden Seismometer verwendet, um „Geräusche“ von der Grenze zwischen Eis und Fels aufzuzeichnen. Diese Daten lassen einige Rückschlüsse auf die Fließbewegung zu.

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