Kleine Schönheiten

Kunst am Bild: Wenn die Glaziologen die gemessene Ausrichtung der c-Achsen der Eiskristalle in einer Farbcodierung darstellen, kommen dabei so farbenfrohe Darstellungen heraus. Foto: Ilka Weikusat
Kunst am Bild: Wenn die Glaziologen die gemessene Ausrichtung der c-Achsen der Eiskristalle in einer Farbcodierung darstellen, kommen dabei so farbenfrohe Darstellungen heraus. Foto: Ilka Weikusat

Auch wenn der Tag im EastGRIP-Camp immer mit Arbeit vollgepackt ist, bleibt zwischendurch meist etwas Zeit, die außergewöhnliche Umgebung zu genießen. Einige Leute haben Langlaufski mitgebracht und machen abends noch eine Tour oder gehen einfach auf Wanderung. Sehr abwechslungsreich ist die Landschaft nicht, die Topographie ist hier ganz flach. Die einzigen Erhebungen sind Schneeverwehungen, wie sie von Maria in einem vorherigen Beitrag vorgestellt wurden (Link). Und so weit im Inneren des Eisschildes gibt es auch keine Bergspitzen, die aus dem Eis hervorlugen. Egal in welche Richtung man schaut, der Horizont ist eine schnurgerade Linie zwischen Himmel und Eis.

Eiskristalle an der Decke des Science Trenches. Foto: Ilka Weikusat
Die Hohlkristalle und plättchenförmigen Kristalle aus der Nähe. Am Besten kann man sie vor einem schwarzen Hintergrund betrachten. Für dieses Foto musste eine AWI-Mütze herhalten. Foto: Ilka Weikusat
Die Hohlkristalle und plättchenförmigen Kristalle aus der Nähe. Am Besten kann man sie vor einem schwarzen Hintergrund betrachten. Für dieses Foto musste eine AWI-Mütze herhalten. Foto: Ilka Weikusat

Eine abwechslungsreiche „Landschaft“ gibt es im EastGRIP Camp auf der ganz kleinen Skala: Die Decke und Wände des Bohr- und Science Trench sind übersäht von Eiskristallen, denen man beim Wachsen fast zusehen kann. In der Schneehöhle herrschen sehr kalte Temperaturen, etwa um die -23 Grad Celsius. Kalte Luft kann viel weniger Feuchtigkeit aufnehmen als warme Luft, deshalb ist die Luftfeuchtigkeit über Grönland eher niedrig. Aber in der Schneehöhle ist ein abgeschlossener Raum mit Schnee überall und daher ist die Luftfeuchtigkeit relativ hoch, sprich der Temperatur gemäß gesättigt. Das kommt in solcher Konzentration mitten in Grönland an der Oberfläche nicht vor. Man kennt dieses Phänomen auch aus natürlichen Eishöhlen. Die gasförmigen Wassermoleküle in der gesättigten Luft setzen sich dann an den Wänden und Decken der Schneehöhle ab, der Fachbegriff dafür ist „Resublimation“. Der gleiche Prozess überzieht in hiesigen Wintern Wiesen und Äste mit Raureif oder lässt in einer kalten Nacht Eisblumen auf Fensterscheiben entstehen.

Die Moleküle lagern sich nicht als gleichmäßige Schicht ab, sie werden gesteuert von einem ganz speziellen Baukastenprinzip, nach dem ein Eiskristall aufgebaut ist. Die Symmetrie der Wassermoleküle und die Art der Bindungen zwischen ihnen führen dazu, dass die Moleküle in einem Gitter mit einer wabenartigen, sechseckigen Struktur angeordnet sind. Diese spiegelt sich auch wider in der Symmetrie einer Schneeflocke, oder eben einem Eiskristall an der Wand der Schneehöhle.

Die Form der Schneekristalle wird beeinflusst von zwei Parametern: Der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur. Bei den niedrigen Temperaturen im Science Trench bilden sich deshalb keine klassischen, filigranen Eiskristalle wie wir sie aus Schneeflocken in Deutschland kennen, sondern eher hohle Prismen mit einer sechseckigen Grundfläche. An der Form der Kristalle kann man direkt ablesen wie das Molekülgitter ausgerichtet ist. Die lange Achse des Prismas steht senkrecht auf den sechseckigen Waben aus Wassermolekülen und damit parallel zur wichtigsten Symmetrie-Achse des Eiskristalls, der sogenannten c-Achse.

Auch wenn man als Glaziologin gleich all diese Fakten im Hinterkopf hat, ist es immer wieder eine Freude die glitzernden Kristalle zu betrachten, ob mit bloßem Auge oder unter dem Mikroskop. Denn auch wenn man weiß, wie diese kleinen Kunstwerke entstehen, bleibt es trotzdem magisch!

 

Ilka Weikusat

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