Was erzeugte die Ringstruktur? Auf Erklärungssuche …

Ring struture on the Roi Baudoin ice shelf / Ringstruktur auf dem Roi Baudouin-Eisschelf. Photo: (C) AWI

Blog-Beitrag von Graeme Eagles und dem WEGAS-Team

Das WEGAS-Team freut sich, in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit für die Polarwissenschaft in den weltweiten Medien gewonnen zu haben. Grund dafür war die Entdeckung einer rätselhaften Ringstruktur auf dem Roi Baudouin Eisschelf, und einer mögliche Interpretation davon als mögliche Meteoriteneinschlagstelle. Auslöser für das Medienecho war die Zusammenarbeit mit belgischen Journalisten der International Polar Foundation an der Princess Elisabeth Station und in Brüssel. Diesen Kollegen und der Foundation sind wir sehr dankbar für die Zusammenarbeit.

Während das Team mittels weiterer Messflüge seinem eigentlichen Forschungsthema zum Superkontinent Gondwana nachgegangen ist, hat der wissenschaftliche Prozess im Bezug auf die Ringstruktur einen anderen Weg eingeschlagen. Auch wenn in einem der ersten Interviews zum Thema bereits geäußert wurde, dass auch andere Eisschelf-Prozesse die Ringstruktur verursacht haben könnten, so verbreitete sich die Vermutung, ein Meteorit hätte die Ringstruktur bei seinem Einschlag erzeugt, rasant im Internet und anderen Medien. Möglicherweise inspiert durch den einen oder anderen Film, fingen viele in der interessierten Öffentlichkeit selber an, die genaue Stelle der Ringstruktur zu suchen und, z.B. auf Twitter oder Reddit, in die verschiedensten Richtungen zu diskutieren.

In der Zwischenzeit begann auch, was das Team erwartet hatte: eine Diskussion unter Glaziologen über andere, mögliche Erklärungen. Allerdings war der Ort dieser Diskussion doch ziemlich überraschend, da sie sich vollständig auf Facebook abspielte. Doug MacAyeal, Glaziologe an der Universität Chicago, brachte den Vorschlag ins Spiel, dass es sich um eine Eis-Doline handeln könnte. An dieser Stelle möchten wir auch einem anderen Glaziologen, Jan Lenaerts der Universität Utrecht, ganz herzlich danken. Da er unsere Aufmerksamkeit auf diese Diskussion gelenkt hat, ist die Studie der Ringstruktur am AWI um einige Wochen beschleunigt worden.

Hier sollte man eine Pause einlegen um den Dolinenprozess zu erklären, denn Eis-Dolinen sind längst nicht so weitläufig bekannt wie Einschlagskrater. Ähnlich wie in Kalksteingebieten beobachtete Einsturztrichtern können in Gletschern Hohlräume einbrechen. Dabei entstehen Trichter an der Oberfläche. Anders als im Kalkstein aber können sich Hohlräume in Gletscher recht schnell bilden, wenn dort gespeichertes Schmelzwasser plötzlich abfließt. Eis-Dolinen wurden in Grönland und auf Eisschelfen an der antarktischen Halbinsel bereits seit den 1930er Jahren beobachtet. Die Beschreibung dieser Strukturen ist detailreich und damit ebenfalls geeignet, um diese Hypothese mit unseren Flugdaten vom zweiten Weihnachtstag zu testen. Im Gegensatz zu einem grönländischen Beispiel einer Doline als Schmelzwasserdepression, welches kürzlich in der open access-Zeitschrift „The Cryosphere“ veröffentlicht wurde, zeigt die Ringstruktur auf dem Roi Baudouin Eisschelf im Inneren größere Bruchstücke von Eis.

Wie bei der Einschlagshypothese werden jetzt schon weitere Fragen und Beobachtungen andiskutiert. Das Team hat schon anhand von Satellitenaufnahmen feststellen können, dass die Ringstruktur bereits in den 90er Jahren existierte. Diese zeigen, dass die Struktur, die sich jetzt an der Position 69.8° Süd 32.26° Ost mit einem Durchmesser von ca. 3 km befindet, mit dem Eis mitgewandert ist. Einen Eindruck dieser Wanderung kann man in einem  Tweet von Allen Pope erhalten. Das spricht dafür, den Zeitpunkt der Entstehung des Rings weiter in die Vergangenheit zu legen, als bisher vermutet. Bei dieser Sichtung von Satellitendaten wurde in der Nähe eine weitere, ringförmige Struktur entdeckt, die (für Interessierte) z.B. auch in Google Earth klarer zu sehen ist, als die hier diskutierte.

Die Glaziologen in Bremerhaven denken wiederum an die nicht unerhebliche Menge von Schmelzwasser, die nötig ist, um eine Doline dieser Größe zu erzeugen. Vor allem: wie läßt sich das mit dem Klima in dieser Region, weitab von der sich rasch erwärmenden westantarktischen „Heimat der Eis-Dolinen“ vereinbaren? Wenn es sich herausstellen sollte, dass große oder zahlreiche Eis-Dolinen an mehreren Stellen auch in der Ostantarktis beobachtet werden könnten, wäre das für die Glaziologie eine neue Möglichkeit, um vergangene, bisher unbeobachtete Schmelzprozesse besser untersuchen und verstehen zu können. Und damit unser Verständnis der Antarktis als Ganzes.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass die moderne, wissenschaftliche Diskussion nicht auf Elfenbeintürme, Tagungen, Fachartikel oder Hörsäle beschränkt ist, sondern dass auch hier die sozialen Medien und das Publikum eine zusehends größere Rolle spielen, um eine multidisziplinäre Diskussion anzuregen. Und damit hoffentlich auch die bestmögliche Beantwortung der Frage, welche uns auf so unerwartete Weise gestellt wurde: Wie ist diese Ringstruktur entstanden?

Wie geht es weiter? Zunächst werden jetzt alle verfügbaren Datensätze zusammengetragen. Bei den im Feld erhobenen Daten handelt es sich um mehrere Terabyte. So eine gewaltige Datenmenge kann nicht einfach über Satellit ans AWI übertragen werden, sondern per “Turnschuh-FTP”: also im Gepäck der rückkehrenden Wissenschaftlern der WEGAS-Kampagne Anfang Februar. Diese Daten werden dann ausgewertet und die oben erwähnten Hypothesen daran getestet. Das wird mehrere Monate dauern. Kommt man hier zu einer plausiblen Erklärung, so folgt eine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema, die dann international begutachtet wird (der sogenannte „peer review“-Prozess). Ist dies erfolgreich verlaufen, wird der Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. In der Regel wirft so ein Artikel mehrere neue Fragen auf. In diesem Fall könnte man solcher Fragen am besten mittels einer näheren Untersuchung vor Ort an der Ringstruktur herangehen. Dies könnte wiederum in Zusammenarbeit mit unseren belgischen Kollegen passieren, die jedes Jahr für Messungen auf das Roi Baudoin Eisschelf fahren. Im Rahmen des BENEMELT-Projektes plant Jan Lenaerts der Ringstruktur sobald wie möglich einen Besuch abzustatten. Wegen der längeren Vorlaufzeiten für antarktische Bodenprogramme und Logistik würde das aber frühestens im nächsten Jahr der Fall sein können.

Ring struture on the Roi Baudoin ice shelf / Ringstruktur auf dem Roi Baudouin-Eisschelf. Photo: (C) AWI
Ringstruktur auf dem Roi Baudouin-Eisschelf. Foto: (C) AWI

 

Kommentar hinzufügen

Verwandte Artikel