Element 114: Gas oder Metall?

Jon füllt flüssigen Stickstoff nach. Bild: GSI

Ein Chemie-Experiment der besonderen Art steht auf dem Strahlzeit-Plan. Ein von GSI-Wissenschaftlern angeführtes internationales Team will ein Element chemisch untersuchen, das es auf der Erde eigentlich gar nicht gibt: Element 114, Flerovium. Bisher wurden nur wenige Atome des Elements künstlich mit Teilchenbeschleunigern in Dubna (Russland), Darmstadt und Berkeley (USA) hergestellt. „Wenn wir in den nächsten Wochen zehn Atome produzieren und untersuchen können, ist das ein Erfolg“, sagt Alexander Yakushev, der Experimentleiter.

Donnerstag, 9. Oktober, 14:30 Uhr. Ist das superschwere Element Flerovium ein Metall, und damit so reaktiv wie zum Beispiel Quecksilber oder Blei? Oder ist es doch eher wenig reaktiv wie das Edelgas Radon? Am GSI-Linearbeschleuniger haben Forscher das TASCA-Experiment aufgebaut, mit dem sich das untersuchen lässt. Seit heute bekommt TASCA den vollen Strahl aus dem Beschleuniger. Doch da der flüssige Stickstoff aufgefüllt werden muss und der Strahl dafür kurz abgeschaltet wird, darf ich das Cave betreten und mir den TASCA-Aufbau anschauen.

Untersucht Element 114: Projektleiter Alexander Yakushev. Foto: Lena Weitz, GSI
Untersucht mit seinem Team Element 114: Experimentleiter Alexander Yakushev. Foto: GSI

„Durch dieses Rohr kommen die Calcium-Ionen mit etwa zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit in unser Cave“, erklärt Alexander. „Und hier treffen sie auf das Plutonium-Target. Aus Berechnungen wissen wir, dass dabei im Schnitt 3,7 Atome Flerovium pro Tag entstehen können.“ Sie gilt es auszusortieren, um sie chemisch zu untersuchen. „Dann leiten wir die instabilen Flerovium-Atome über verschiedene Oberflächen. Wir wollen untersuchen, wie stark die Bindung des Fleroviums mit diesen Materialien ist. Wenn sie zerfallen, sehen wir, wo sie sich in diesem Moment befunden haben. Das verrät uns ihre chemischen Eigenschaften.“

Alexander erklärt mir, dass es sich bei den Oberflächen zum einen um Siliciumdioxid und zum anderen um Gold handelt. Er zeigt mir einen der für die Untersuchungen verwendeten COMPACT-Detektoren, der zur Zeit nicht eingebaut ist. Würden die Wissenschaftler dort den Zerfall eines Flerovium-Atoms sehen, hieße das, Flerovium ähnelt Blei. Denn auch Bleiatome binden an Siliciumdioxid. Quecksilber-Atome fliegen hingegen an der Siliciumdioxid-Oberfläche vorbei und werden erst von der darauf folgenden Gold-Oberfläche eingefangen.

Spannende Frage: Wird die Goldfläche das Flerovium-Atom abfangen? Foto: GSI
Spannende Frage: Wird die Goldfläche des COMPACT-Detektors das Flerovium-Atom abfangen? Foto: GSI

„Wir glauben, dass wir in diesem Gold-Abschnitt am meisten Flerovium-Zerfälle sehen werden“, erklärt Alexander. „An die erste Goldfläche schließt eine weitere Goldfläche an, die aber am kalten Ende mit flüssigem Stickstoff auf -160 Grad Celsius gekühlt ist. Würde das Flerovium dort binden, wäre es dem Edelgas Radon chemisch am ähnlichsten. „Das ist die Interpretation, die Wissenschaftler aus der Schweiz aus ihren Messdaten abgeleitet haben“, erklärt mir Christoph Düllmann, Leiter der GSI-Abteilung „Chemie der superschweren Elemente“. „Sie haben das Experiment unabhängig von uns in Russland durchgeführt. Jetzt wird sich hoffentlich zeigen, wer Recht hat – wir oder die Schweizer“, sagt er. Damit das Gold auf -160 Grad Celsius gekühlt bleibt, muss regelmäßig der flüssige Stickstoff aufgefüllt werden. Nachdem Jon Petter Omtvedt damit fertig ist, verlassen wir alle das Cave. Anschließend kann der Strahl auf das Target geleitet werden und das Experiment läuft weiter.

Petter Omtvedt (links) und Lotte Lens (rechts) achten darauf, dass der flüssige Stickstoff regelmäßig aufgefüllt wird. Foto: GSI
Jon Petter Omtvedt (links) und Lotte Lens (rechts) achten darauf, dass der flüssige Stickstoff regelmäßig aufgefüllt wird. Foto: GSI

10. Oktober, 13.30 Uhr. Am nächsten Tag treffe ich Lotte Lens und Luis Sarmiento im Messraum. Sie haben Schicht. „Und habt ihr schon ein Flerovium gesehen?“, frage ich. „Nein, bisher noch nicht.“ Klar, das wäre auch eigentlich zu früh. Denn auch wenn 3,7 Atome pro Tag entstehen, sehen die Wissenschaftler höchstens eines pro Tag. „Einige zerfallen, bevor sie den Bereich erreichen, an dem wir sie sehen könnten, andere entgehen unseren Messinstrumenten“, erklärt Lotte. Sie schreibt ihre Doktorarbeit über die Eigenschaften der Elemente ab Ordnungszahl 112. „Während meiner Schicht muss ich einmal pro Stunde alle wichtigen Parameter ablesen und in eine vorbereitete Tabelle eintragen. Wir dokumentieren alles was passiert im Logbuch.“ Obwohl Lotte erst seit Februar bei GSI ist, ist dies bereits ihre dritte Strahlzeit. „Mittlerweile weiß ich über alle Werte Bescheid, was sie bedeuten und in welchem Rahmen sie liegen müssen, damit alles in Ordnung ist.“ Ich zeige wahllos auf einige Anzeigen, um Lotte zu testen, doch bei keiner muss sie passen. Jetzt fängt etwas an zu piepsen. „Das ist der Makropulsinterlock, der kommt leider immer wieder“, erklärt sie. „Die Ursache scheint in unserem Beamcontrol-Programm zu liegen, das werden wir nach der Strahlzeit beheben.“ Lotte steht auf, korrigiert etwas und das Piepsen verstummt. „Wenn alles ruhig läuft, können wir manchmal nebenher an anderen Dingen arbeiten.“

Einige Minuten später fällt die Kurve, die die Intensität des Ionenstrahls auf einem der Bildschirme darstellt, auf Null. „Das heißt, wir haben keinen Strahl mehr“, sagt Lotte. Ich gehe mal kurz rüber in den Hauptkontrollraum (HKR) und frage, was los ist.“ Kurze Zeit später ist sie zurück. Das Gate-Ventil sei geschlossen. Noch wüssten sie nicht warum. Keine fünf Minuten später trudeln aus allen Richtungen die erfahrenen Experimentatoren ein, unter ihnen auch Sascha und beteiligte Wissenschaftler aus China. Hat Lotte ihnen Bescheid gesagt oder haben sie einen siebten Sinn, der sie alarmiert, wenn etwas nicht stimmt? Sie stehen im Kreis und Sascha schlüpft in den weißen Kittel. Er will mit den andern ins Cave, um herauszufinden, was mit dem Gate-Ventil nicht stimmt. Gleichzeitig kann die Pause genutzt werden, um den Flüssigstickstoff wieder aufzufüllen.

Eintrag ins Logbuch: Lotte Lens (links) und Luis Sarmiento (rechts) dokumentieren alle wichtigen Parameter. Foto: GSI
Eintrag ins Logbuch: Lotte Lens (links) und Luis Sarmiento (rechts) dokumentieren alle wichtigen Parameter. Foto: GSI

Luis Sarmiento bleibt im Messraum. Er ist ein alter Hase im Strahlzeit-Geschäft und an diesem Experiment nicht als leitender Wissenschaftler beteiligt. Deshalb ist er etwas entspannter. Er erzählt mir, wie er aus seiner Heimat Kolumbien nach Schweden kam, wo er an einem Beschleunigerinstitut arbeitet. „Ich war schon unzählige Male bei GSI“, sagt er. Unter anderem war er auch an der Herstellung von Element 115 mit dem GSI-Beschleuniger beteiligt. „Für kurze Zeit waren wir berühmt, sogar die BBC hat ein Interview mit mir geführt,“ sagt er und lacht. Ich bin gespannt, wann die TASCA-Gruppe das erste Flerovium-Atom sieht. Mal sehen, ob die schweizer Wissenschaftler Recht behalten und Flerovium ein wenig reaktives Gas ist oder ob die Darmstädter Wissenschaftler richtig liegen und Flerovium ein Übergangsmetall ist, das einen außergewöhnlich hohen Siedepunkt hat.

Leser:innenkommentare (2)

  1. Herbert König

    Sehr packend geschriebene Artikel, danke für die gute Unterhaltung!

  2. Zuwachs im Periodensystem: Wie man neue Elemente findet | Keinsteins Kiste

    […] Weil man es kann. Zudem: Die Halbwertszeit von Element 117 (14 ms für 293117 bzw. 78 ms für 294117) ist wie die seiner Nachbarn im Periodensystem so kurz, dass es höchst aufwändig ist, die Eigenschaften seiner Atome oder gar des Stoffs mit derzeit verfügbaren Mitteln eingehender zu untersuchen. Im Blog der GSI Darmstadt kann man nachlesen, wie es dabei zu und her geht: Element 114: Gas oder Metall? […]

Schreibe einen Kommentar zu Herbert König Antworten abbrechen

Verwandte Artikel