An der Zerstörungsgrenze

Umbauarbeiten im Target-Raum. Bild: GSI

Auch nach drei Jahren gibt es noch Orte bei GSI, die ich nicht gesehen habe. Heute kann ich einen Punkt auf der Must See-Liste abhaken: den PHELIX-Laser. Er ist nicht nur einer der größten Hochenergielaser Deutschlands, der Experimentierplatz an der GSI ist außerdem der einzige weltweit an dem eine Materialprobe mit so intensiven Laser- und Ionenstrahlen gleichzeitig beschossen werden kann.

Im Reinraum-Outfit. Bild: GSI
Im Reinraum-Outfit. Bild: GSI

Freitag, 10. Oktober, 12.45 Uhr. Ich treffe Alex Ortner am Eingang zum PHELIX-Gebäude. Alex ist Doktorand bei GSI. Seine letzte Strahlzeit hat gerade begonnen. „Seit zwei Tagen stellen wir den Laser ein“, erklärt er. „Er muss perfekt auf den Linearbeschleuniger abgestimmt sein. Dann schießen wir gleichzeitig mit Ionen und dem Laser auf ein ganz kleines Stück Kohlenstoff und erzeugen ein heißes dichtes Plasma. Wir wollen die Wechselwirkung der Ionen mit dem Plasma untersuchen, um damit die Fusions- und Heizprozesse, wie sie beispielsweise in der Sonne ablaufen besser zu verstehen. Irgendwann gelingt es uns vielleicht eine kleine Sonne auf der Erde nachzubauen und damit Energie zu gewinnen.“ Um die Laser-Halle zu betreten, müssen wir durch eine Schleuse, da die Halle ein Reinraum – also quasi staubfrei – ist. „Wir lenken den Laserpuls mit Spiegeln um die Kurve“, sagt Alex. „Da die Intensität des Lasers kurz unter der Zerstörschwelle der Spiegel liegt, kann schon ein Staubkorn die Spiegeloberfläche so verändern, dass die optischen Komponenten kaputt gehen.“ Mit Schuhüberziehern, Haarnetzen und Kitteln kleiden wir uns ein.

Durch solche Verstärkerkristalle läuft der Laserpuls. Bild: GSI
Der Laserpuls wird auf seinem Weg verstärkt (nachträglich korrigiert). Bild: GSI

Bei Lasern denke ich meistens an einen Laserpointer, mit dem man Katzen ärgern kann. PHELIX dagegen, ist ein ganz anderes Kaliber. Der Laser ist insgesamt etwa 70 Meter lang und windet sich in eckigen Schlangenlinien von Wand zu Wand durch die Halle. Kristalle, durch die die Pulse geleitet werden, verstärken ihn auf seinem Weg. „Wenn der Laser läuft, darf niemand hier drin sein, weil auch Röntgenstrahlung entsteht. Samstag werden wir den ersten Schuss haben“, erklärt Alex.

Dienstag, 14. Oktober, 16.30 Uhr. Seit einigen Tagen läuft das Laser-Experiment nun schon. Ich besuche Alex und sein Team in ihrer Messhütte, einem Container in der Experimentier-Halle. „Du kommst genau richtig“, begrüßt mich Alex. „Gerade funktioniert leider nichts.“ Glück für mich, er muss mit seinen Kollegen in den Experimentierraum und ich kann mitkommen und mir den Ort des Geschehens anschauen. Am Rande erfahre ich, dass die letzten Tage noch nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht haben und es deshalb am Morgen einen Umbau gab. Jetzt muss noch einmal nachgebessert werden.

Zwischen den Schüssen bessern die drei den Experiment-Aufbau nach. Bild: GSI
Zwischen den Schüssen bessern die drei den Experiment-Aufbau nach. Bild: GSI

17.00 Uhr. Auch jetzt heißt es wieder Kittel und Schuhüberzieher an, um möglichst wenig Staub zu verursachen. Zusätzlich gibt es noch eine Brille, die alles in einen kräftigen Gelbton taucht. „Wenn der Justage-Laser an ist, müssen wir unsere Augen schützen“, erklärt Alex. Wir sind zu viert in dem kleinen, engen sogenannten Target-Raum. Die beiden Studenten Florian Wagner und Elvar Kjartansson, die sich selbst halbernst als Alex‘ Sklaven bezeichnen, arbeiten selbst in der Plasmaphysik-Gruppe und an PHELIX. Dass man sich gegenseitig bei der Arbeit unterstützt, ist selbstverständlich. Schnell und konzentriert verlegen sie Kabel, fokussieren die Kamera, die das Target filmt und kalibrieren den Trigger neu. Während der Strahlzeit haben Experimentatoren immer Zeitdruck, bei den PHELIX-Versuchen kommt aber noch ein Aspekt dazu. Der Laser kann nur alle 90 Minuten einen Schuss abfeuern. Danach müssen die Verstärkerkristalle erst wieder abkühlen, damit sie nicht kaputt gehen und eine reproduzierbare Strahlqualität liefern. Da der Laser jetzt eigentlich schon wieder bereit wäre und sie heute noch mehrere Schüsse durchführen wollen, müssen sich die drei besonders beeilen.

Alles ist bereit für den PHELIX-Schuss. Bild: GSI
Alle sind bereit für den PHELIX-Schuss: (v. l.) Flo, Alex, Witold und Elvar. Bild: GSI

19.30 Uhr. Zurück im Kontrollraum. Alex bereitet alles für den nächsten Schuss vor. „Witold, schnapp dir die Oszilloskope; Elvar, du checkst die DiCam; Flo, du darfst die Anzeigen erst resetten, wenn ich die Daten auf den Rechner gezogen habe, ok?“ Mit einer Liste in der Hand geht Alex alle Punkte durch, drückt Knöpfe, prüft Leuchten. „Seid ihr bereit für den Kloschuss?“ Dass ich mich nicht verhört habe und es sich dabei um die Generalprobe handelt, erfahre ich erst später. „Okay, los geht’s.“ Gebanntes Starren auf Monitore, dann: „Okay, es hat alles funktioniert. Ich rufe im HKR an“, sagt Alex. „Hallo? Hier Z6. Wir möchten gleich unseren nächsten Schuss absetzen, also bitte in den nächsten zehn Minuten keine Veränderungen am Strahl. Danke.“ Horrorszenario für Alex wäre, dass die Operateure genau in dem Moment, in dem der Laser-Puls von PHELIX kommt, den Ionenstrahl kurz unterbrechen oder ändern. Denn ein Laserpuls ohne Ionen aus dem Linearbeschleuniger wäre völlig wertlos und trotzdem müssten wir 90 Minuten warten bis zum nächsten Schuss.

Jetzt wird es wirklich ernst. Alex greift wieder zum Telefon und ruft im Kontrollraum von PHELIX an, er wird von einem separaten Ort aus gesteuert. „So, wir wären so weit. Es kann losgehen.“ Ich sehe, wie auf einem Monitor Balken hochfahren. Sie stehen für die Ladung der Kondensatoren, die den Laser verstärken. Jetzt lädt auch die zweite Reihe Kondensatoren. Peng! Zisch! Der Laser hat geschossen, und man hat tatsächlich etwas gehört. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Geil, ich sehe was!“ ruft Alex begeistert. „Zum ersten Mal eine richtig schöne Ladungsverteilung.“ Alles hat geklappt, die Daten sind gespeichert. Man spürt, wie die Spannung von allen abfällt. Schon klingelt das Telefon. Sabine Kunzer und Stefan Götte, die PHELIX steuern, rufen an. „Ja, wir haben auch Hunger. Döner? Ok, drei Mal mit allem, scharf.“ Noch ist aber nicht Pause. „Ich will heute Abend noch zwei Schüsse durchführen“, sagt Alex. „Wir müssen jetzt alles vorbereiten, dann können wir gleich nach dem Essen weitermachen.“ An der Tafel überlegt er mit Elvar noch einmal, was verbessert werden könnte. Dann machen wir uns auf, um das neue Target einzubauen. Es ist das kleinste Target, das ich bisher gesehen habe. „Wenn wir darauf schießen, ist es innerhalb von einigen hundert Nanosekunden zu Plasma verdampft. Deshalb brauchen wir für jeden Schuss ein neues Target.“ Alex hat sie selbst im Targetlabor der TU Darmstadt hergestellt. Eine halbe Stunde später ist alles fertig und das Essen ist da.

Pizza-Pause. Bild: GSI
Döner-Pause. Bild: GSI

20.45 Uhr. Wir treffen uns im PHELIX-Kontrollraum. „Pizza können wir schon nicht mehr sehen“, erklärt Stefan, „zu oft bestellen wir uns Essen, wenn wir abends Schicht haben.“ Die GSI-Kantine schließt schon mittags, da bleiben nicht viele Alternativen. Während alle essen, läuft im Nebenraum eine grüne Zeitanzeige rückwärts. Sie zeigt die Zeit an, die wir noch bis zum nächsten Schuss warten müssen. Als sie sechs Minuten anzeigt, scheucht Alex seine Studenten auf. „Los, wir wollen noch zwei Schüsse hinbekommen, da müssen wir jetzt loslegen.“ Auch Sabine steht von ihrer halbvollen Schale Pommes auf, um den Laser vorzubereiten. Ich bleibe im PHELIX-Kontrollraum, um den nächsten Schuss aus dieser Perspektive zu erleben.

Stefan und Sabin steuern PHELIX. Bild: GSI
Stefan und Sabine steuern PHELIX. Bild: GSI

Sabine ist Operateurin, Stefan ist Shot Director (die coolste Berufsbezeichnung bei GSI, wie ich finde!). Mithilfe von Fadenkreuzen passt Sabine den Justage-Strahl an verschiedenen Stellen an. Dann ist alles bereit und die beiden warten auf Alex’ Anruf. Sabine nutzt die Zeit, um ein bisschen aufzuräumen. „In den anderthalb Stunden, die wir zwischen den Schüssen warten müssen, versuchen wir auch zu arbeiten, aber es ist schwierig sich zu konzentrieren.“ 15 Minuten später ruft Stefan bei den Jungs an. „Sie haben irgendwie den Strahl verloren. Das scheint noch ein bisschen zu dauern.“ „Dann mache ich mir noch einen Kaffee“, sagt Sabine. Ich will wissen, was es mit dem Kloschuss auf sich hatte. „Früher mussten wir immer ausdrücklich „00 Volt“ für den Probeschuss einstellen“, erklärt Stefan. „Daher der Spitzname.“

21.45 Uhr. Das Telefon klingelt, jetzt scheint alles bereit zu sein. Stefan dreht den Schlüssel, um den Laser zu entriegeln. Dann fragt er nacheinander alle Komponenten ab, Sabine gibt jeweils das OK. Fast wie bei der NASA, kurz bevor eine Rakete abhebt! Wieder laden die Kondensatoren und aus der Halle dringt ein Peng! Zisch! Das seien die pressluftgetriebenen Dumprods, erklärt mir Stefan. „Mit ihnen erden wir die Kondensatoren nach dem Schuß.“ Sabines und seine Schicht dauert noch bis 24.00 Uhr. Einen Schuss werden sie wahrscheinlich noch schaffen. Doch jetzt heißt es erst einmal wieder 90 Minuten warten.

Leser:innenkommentare (4)

  1. Werner Ortner

    Ein wunderbarer, anschaulicher Bericht. Nun verstehe ich warum sich mein Sohn Alex für seine Arbeit so begeistert. Mir würde es wohl ebenso gehen.

  2. Frank

    Was … ? Eine Schicht geht nur bis 24uhr ? Die Studenten von heute … Tssss

  3. Thomas

    Guter Beitrag, leider ist zu Bild 2 ein Fehler unterlaufen, dass zeigt nicht die „Verstärkerkristalle“ sondern das Aufweitungsstrahlrohr (unter Vakuum) in dem der Strahl von etwa 7cm Durchmesser auf 28 cm Durchmesser über ein Linsensystem vergrößert wird und und dann parallel durch die Verstärkerkette läuft (die sich genau auf der anderen Seite des weißen Gestells befindet), in deren 5 Verstärkern sich die „Verstärkerkristalle“ befinden und in denen sich der Strahl bis 100fach in seiner Intensität verstärken kann. Interessant ist, dass er über dieses „blaue Rohr“ wieder zurückgespiegelt wird … aber das ist schon fast eine andere Story. Auf der Wikipedia Webseite ist das ganz anschaulich besschrieben. Da kann man sich auch einen solchen kleinen Kristall (60cm x 35 cm x 5 cm) anschauen.

    1. Lena Weitz

      Vielen Dank für den Hinweis!

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