HADES-Experiment Teil 2
Fortsetzung
Dienstag, 19. August. Auch Wissenschaftler können ihr Smartphone manchmal nicht aus der Hand legen. Sie wachen nachts auf und werfen sofort einen Blick auf ihr Handy. Aber sie besuchen weder Facebook, noch YouTube oder Instagram. Sie rufen anstatt dessen die aktuelle Anzeige des MDC-Detektors auf oder prüfen die Leistung eines Kompressors. Erst dann können sie beruhigt weiterschlafen.
Wolfgang Koenig ist einer derjenigen, die den HADES-Detektor von Anfang an mit aufgebaut und entwickelt haben. Sein „Baby“ ist der supraleitende Magnet. In einem großen Volumen von neun Kubikmetern ein Magnetfeld von bis zu 3,6 Tesla zu erzeugen, ist eine Herausforderung. Der Magnet ist supraleitend und wird mit einer sehr komplexen Anlage gekühlt. „Alle Turbinen, Leitungen und Wärmetauscher kann ich hier auf meinem Smartphone sehen“, zeigt mir Koenig. „Hier die Temperaturanzeige, hier der Druck. Ich kann die Werte jederzeit von überall auf der Welt abrufen.“
„Quasi eine App für Physiker, das ist ja praktisch“, sage ich. „Nein, eigentlich nicht. Ich bin dauernd online anstatt zu schlafen. Wir betreiben den Kompressor oberhalb seiner Nennleistung, deshalb bin ich etwas nervös.“ „Ich schaue im Bett immer nach dem MDC-Detektor“, gibt Jürgen Friese von der TU München zu, der zurzeit im Gästehaus wohnt. Wolfgang Koenig ist also kein Einzelfall.
Kein Strahl und schlechte Nachrichten
21:30 Uhr. Das Kühlsystem für den RICH-Detektor hält die Temperatur stabil, die Datenaufnahme der Hintergrundstrahlung läuft, nur Strahl gibt es bei HADES noch nicht. „Ich gehe mal in den HKR“, sagt Michael Traxler, technischer Leiter von HADES. „Mal schauen, ob sie so weit sind.“ Am Nachmittag haben die Operateure bereits alles vorbereitet, um den Beschleuniger auf das HADES-Experiment einzustellen. „Die Maschine ist noch gespeichert“, sagt mir Traxler. Das heißt, dass alle Parameter des Beschleunigers von der letzten Strahlzeit-Periode im Juli noch gespeichert sind. Doch einige grundlegende Einstellungen des Ringbeschleunigers wurden in der Zwischenzeit geändert. Das könnte Probleme bereiten. Die Operateure schalten die Stickstoff-Beschleunigung ein und drehen die Intensität auf, die für dieses Experiment sehr hoch sein muss.

Der Strahlenschutz-Interlock stoppt den Beschleuniger. Traxler (r.) berät sich mit den Operateuren. Bild: GSI
Kaum eine Sekunde später ist der Strahl unterbrochen. „Der Strahlenschutz-Interlock?“, fragt Traxler. Der Strahlenschutz-Interlock ist ein Mechanismus, der den Beschleuniger automatisch stoppt, wenn zu viele Ionen auf dem Weg verloren gehen. Die gespeicherten Parameter müssen anscheinend an die neuen Grundeinstellungen des Ringbeschleunigers angepasst werden. Jetzt muss der Strahlenschutz ran und die Anlage wieder freigeben, erst dann kann der Beschleuniger wieder angeschaltet werden.
Intensität macht aus einer ganzen Nacht nur fünf Minuten
Das sind erst einmal schlechte Nachrichten, denn der Beschleuniger ist sehr komplex und die richtigen Parameter zu verändern erfordert viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Jetzt ist erst einmal Schichtwechsel im HKR. Die Operateure besprechen, wie sie das Problem angehen könnten. Der Strahlenschutz ist ab 22.00 Uhr nur noch per Rufbereitschaft erreichbar. Das sind schwierige Voraussetzungen für die Strahloptimierung. Denn der Interlock könnte noch einige Male ausgelöst werden und dann müsste die Rufbereitschaft aus dem Bett geholt werden. Wolfgang Koenig kommt in den HKR. „Mitten in der Nacht eine so komplizierte Anpassung durchzuführen, ist viel verlangt“, gibt er zu. „Aber es macht für uns auch nur wenig Sinn, mit niedrigen Intensitäten zu messen.
Was wir heute in einer Nacht an Daten nehmen, haben wir morgen bei der richtigen Intensität innerhalb von fünf Minuten wieder drin.“ Das klingt logisch. Nach einigen weiteren Überlegungen beschließt Michael Traxler als Schichtleiter den Start der Messung auf morgen früh zu verschieben. „Lieber ausgeschlafen morgen an die Arbeit, wenn die Experten hier sind, als sich für nichts und wieder nichts die Nacht um die Ohren schlagen.“
Betrieb nach Plan
Donnerstag, 21. August, 8:30 Uhr. Zwei Tage später komme ich wieder in den Kontrollraum. Drei Leute sitzen an den Bildschirmen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jan Michel erzählt mir, dass das Experiment seit gestern morgen Strahl bekommt. Traxlers Plan ist also aufgegangen und die Inbetriebnahme ist gut gelaufen. „Diese Nacht hatte einer der Experten Schicht. Er hat noch einmal optimiert und einen Faktor zwei rausgeholt. Jetzt haben wir 300 000 Pionen pro Schuss, das ist super.“
Es ist also alles im stabilen Betrieb angekommen, Jan und seine Kollegin behalten die Monitore im Blick, können aber nebenher an anderen Aufgaben arbeiten. „Ich schreibe gerade an der Dokumentation für die Software, mit der hier alle Daten erfasst werden“, sagt Jan. „Aber auch wenn es ruhig ist, sind immer neun Leute erreichbar, die sich jeweils mit einem Detektor gut auskennen. Für alle Fälle.“
Ballett der Kurven, Balken und Diagramme
Ich schaue auf die Monitore. Die Kurven zucken mit jedem Strahlpaket, das aus dem Ring abgefeuert wird. Punktmuster entstehen und verschwinden, Balken heben und senken sich in regelmäßigen Abständen. Ein bisschen hypnotisierend dieses Ballett der Detektoranzeigen. Ein eigenartiger Tanz, der sichtbar macht, was dem menschlichen Auge so lange verborgen blieb. Genug Amateurphilosophie. Es folgen noch einige Wochen Schichtbetrieb und danach Monate bis Jahre harter Arbeit, um die Daten auszuwerten. Dann werden die Ergebnisse in Fachpublikationen veröffentlicht und auf Konferenzen diskutiert. Mir würden die poetischen Assoziationen dabei bestimmt vergehen.
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