Vom All bis ins Erdinnere

Die Probe im Strahlrohr (weißes Viereck). Bild: GSI

Freitag, 8. August. Mit einem Teilchenbeschleuniger lassen sich nicht nur exotische Teilchen aus Quarks und Antiquarks erforschen, man kann auch Nanostrukturen herstellen oder geologische Vorgänge im Erdmantel untersuchen: Ab heute geht es in die Materialforschung.

Christina Trautmann prüft, ob die Proben richtig sitzen. Bild: GSI
Christina Trautmann prüft, ob die Proben richtig sitzen. Bild: GSI

18:00 Uhr. Bis heute Mittag lieferte der Ringbeschleuniger Protonen an das Kernphysik-Experiment für die Suche nach dem Eta-Prime-Meson. Jetzt wird umgestellt: Für die Materialforschung sollen Gold-Ionen durch den Beschleuniger rauschen. Ich mache mich auf den Weg in den Hauptkontrollraum, wo die Operateure den Beschleuniger gerade für das neue Experiment einstellen. Christina Trautmann, Abteilungsleiterin der Materialforschung, steht neben dem Kollegen, der für den Ringbeschleuniger zuständig ist. „Können wir den Strahl noch etwas aufweiten?“, fragt sie. Heute Nacht stehen Experimente verschiedener Gastgruppen an. Los geht es mit Proben aus Russland. „Die Wissenschaftler haben uns speziell vorbereitete Proben geschickt und uns gesagt, wie sie bestrahlt werden sollen“, erklärt mir Christina. „Dafür müssen sie nicht unbedingt selbst anreisen. Wir führen die Experimente auftragsmäßig aus. Bei dem russischen Projekt geht es darum, die Existenz von superschweren Elementen im All nachzuweisen.“

Keramik, Metall, Mineral

Die Proben bestehen aus den unterschiedlichsten Materialien. Bild: GSI
Die Proben bestehen aus unterschiedlichen Materialien. Bild: GSI

Im Kontrollraum von Cave A stehen die Proben. Dieses Cave teilen sich die Materialwissenschaftler mit den Atomphysikern und den Biophysikern, die hier vor Kurzem noch ihr neues Steuerungssystem testeten. Die russischen Proben sind aus dem Mineral Olivin aus Meteoriten. Die Probencharge daneben gehört zu einem anderen Experiment und enthält kleine Rähmchen mit Keramikplatten, die nächste besteht aus Metallfolien. Das ist charakteristisch für die Materialforschung: Wo bei der Kernphysik tagelang ohne Unterbrechung auf ein Target geschossen wird, wechseln die Proben hier zum Teil sehr schnell, und oft findet ein großer Teil der Forschung erst bei der Weiterverarbeitung nach der Bestrahlung statt. Christina und ihr Kollege Kay-Obbe Voss bringen die russischen Proben ins Cave und montieren sie vor dem Strahlrohr.

Geologie am Beschleuniger

Florian aus Duisburg hat Übung mit dem Manipulator. Bild: GSI
Florian aus Duisburg hat Übung mit dem Manipulator. Bild: GSI

Das ganze Wochenende über werden Christina und ihre Kollegen experimentieren. „Später heute Nacht kommt eine Gruppe von Geowissenschaftlern aus Heidelberg“, sagt Christina. „Sie haben winzige Proben zwischen zwei Diamanten mithilfe von Schraubvorrichtungen unter sehr hohen Druck gesetzt. So wird simuliert, dass sich die Proben im Erdmantel befinden.“ Die Heidelberger Wissenschaftler verfeinern eine Methode, mit der das geologische Alter von speziellen Gesteinen festgestellt wird. Die Ergebnisse könnten von radioaktiv strahlendem Material im Erdmantel verfälscht sein. Mit der Strahlung aus dem Beschleuniger können sie diesen Einfluss simulieren und untersuchen.

Ein Master-Student aus den USA kommt mit ins Cave. Er ist extra für die Strahlzeit angereist. „Wir haben in den USA keine Anlage, mit der ich meine Experimente durchführen kann. Deshalb war ich schon einmal bei GSI“, erzählt er. Er lernt heute alle Systeme im Kontrollraum zu bedienen, damit er Schichten übernehmen kann. Denn zurzeit wird in der Materialforschung jeder gebraucht.

Strahlzeit mal drei

Die eierlegende Wollmilchsau der Materialforschung. Bild: GSI
Die eierlegende Wollmilchsau der Materialforschung. Bild: GSI

Das Team der Materialforschung ist komplett ausgelastet, da heute gleichzeitig mit den Experimenten am Ringbeschleuniger eine lange Strahlzeitperiode am Linearbeschleuniger beginnt. „Wir haben ab heute Experimente in drei verschiedenen Caves laufen“, sagt Christina. „Das ist für unsere kleine Stamm-Mannschaft eine große Herausforderung und nur mithilfe vieler Studenten zu meistern. Alle Experimente müssen 24 Stunden am Tag betreut werden, und das ab jetzt für zwölf Tage.“ Die Materialwissenschaftler können fast alle Ionensorten für ihre Untersuchungen nutzen. Da andere Experimente oft nicht den kompletten Strahl verwenden können, bleiben Ionenpakete für die Materialforschung übrig. So laufen ihre Versuche an 75 Prozent der Strahlzeittage, das ist enorm.

Besuch aus Duisburg und Stuttgart

Notizen, damit im entscheidenden Augenblick nichts schief geht. Bild: GSI
Notizen, damit im entscheidenden Augenblick nichts schief geht. Bild: GSI

Am Linearbeschleuniger experimentieren heute zwei Gastwissenschaftler aus Duisburg. Ich treffe sie im Hauptkontrollraum gemeinsam mit Markus Bender, dem GSI Materialforscher, der heute für den Experimentierplatz am M-Zweig zuständig ist.

„Ist es ein Problem, wenn der Strahl etwas größer ist als die Probe?“, fragt der Operateur. „Nein, das ist egal. Das sieht ziemlich gut aus“, sagt einer der Duisburger. „Dann lassen wir das so?“ – „Ja, gehen wir ins Cave und legen los.“ Die zwei aus Duisburg kennen sich bei GSI schon aus und gehen zielstrebig zum M-Zweig. Ihr Experiment steht an der, laut Markus, „eierlegenden Wolmilchsau der Materialforschung“, eine Sonderanfertigung mit vielen Zugängen für verschiedenste Instrumente. Dort angekommen ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn die Probe befindet sich im Ultrahochvakuum des Strahlrohrs und muss mit Manipulatoren von außen bewegt werden. Aber Florian ist geübt und schon sitzt alles am richtigen Platz. Bis um Mitternacht haben sie jetzt Strahlzeit.

Ein Rasterelektronenmikroskop im Strahlrohr, das ist weltweit einzigartig. Bild: GSI
Ein Rasterelektronenmikroskop im Strahlrohr, das ist einzigartig. Bild: GSI

Danach ist eine Gruppe aus Stuttgart an der Reihe, die ihre Proben direkt nach der Bestrahlung noch im Vakuumrohr mit dem Rasterelektronenmikroskop betrachtet und die Strahlenschäden untersucht. „Das ist am besten“, sagt Markus. „Würde man die Proben erst einmal entnehmen, ins Labor bringen und dort untersuchen, hätten sie sich durch Reaktion mit Sauerstoff schon wieder verändert.“

Ganz schön facettenreich ist die Materialforschung! Und dabei warten noch die Nanotechnologie und die Vorbereitungen für die neue Beschleunigeranlage FAIR in den nächsten Tagen auf mich.

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