Durchblick im Kabelgewirr
Freitag, 1. August. Heute ist ein großer Tag für Yoshiki Tanaka. Seine Kollegen und er nehmen heute ein Experiment in Betrieb, mit dem sie Jagd auf das Eta-Prime-Meson machen wollen. Das ist ein Teilchen aus einem Quark und einem Antiquark, dessen Masse man gerne genau kennen würde. Ich bin bei der Installation der fragilen Messinstrumente dabei und gewappnet für knallharte Grundlagenforschung.

12.30 Uhr. Ich bin im Cave des Fragmentseparators. Das ist eine Maschine, mit der Atomkerne nach ihrer Masse und Ladung sortiert werden können. Der Aufbau aus mannshohen Magneten windet sich wie eine Schlange durch den Raum. Zwischen zwei Magneten ist etwas Platz. Dort können Messgeräte in den Strahl der Atomkerne gestellt werden. Zwei Wissenschaftler aus Bratislava stehen im Kabelgewirr. Sie sind gerade dabei ihre Messinstrumente auszubauen, da ihre Strahlzeit vorbei ist. Yoshiki und Kenta Itahashi aus Japan warten auf ihren Einsatz.

Für diesen Experiment-Umbau ist der Beschleuniger sechs Stunden lang abgeschaltet. Solche kurzen Abschaltphasen in der monatelangen Strahlzeit sind auch für viele andere GSI-Abteilungen wichtig. Sie nutzen die Zeit, um kleine Wartungsarbeiten an verschiedenen Beschleunigerteilen durchzuführen.
Fragiles aus Japan

Yoshiki (übrigens auch auf Twitter) hat etwas besonderes dabei, das er gleich mit seinen Kollegen in die Bahn der Atomkerne montieren wird: ein Silikon-Aerogel. Der milchige Block wirkt erst einmal unscheinbar. Er hat aber einen sehr hohen Brechungsindex. Das ist entscheidend, da er als Cherenkov-Detektor dienen soll. „Wir haben den Block im Handgepäck aus Japan mitgebracht“, erzählt Kenta. „Nirgendwo sonst auf der Welt kann ein Silikon-Aerogel von dieser Qualität hergestellt werden.“ Japanische Gastwissenschaftler sind oft bei GSI, weil in Riken eines der wenigen Beschleunigerinstitute steht, das einen ähnlichen Ionenstrahl produzieren kann wie GSI. Die Forschungsthemen überschneiden sich deshalb und die Wissenschaftler arbeiten eng zusammen. Dieses Mal sind sie hier, weil sie den Fragmentseparator für ihr Experiment brauchen. Mit Lasergeräten, Zollstock und Stahllineal messen sie den gesamten Aufbau perfekt aus und verkabeln alles sorgfältig.
Was Physiker-Augen leuchten lässt

Jetzt ist der entscheidende Augenblick gekommen. Ganz vorsichtig öffnet Yoshiki die Tupperdose, in der das Aerogel auf Blasenfolie gepolstert liegt. Er nimmt es aus der Box und setzt es mitten in eine schwarze Kammer, die störendes Außenlicht abschirmt. Mariana Nanova schaut gespannt zu. Sie ist Teil der Kollaboration, die dieses Experiment vorbereitet hat. „Wir wollen die Masse des Eta-Prime-Mesons vermessen“, sagt sie mit leuchtenden Augen. Die Masse ist eine der wichtigsten Informationen für Physiker, um Teilchen zu verstehen und mit ihnen zu rechnen. „Schon am Montag bekommen wir die ersten Online-Spektren!“
Teilchenphysik pur

Achtung, jetzt wird es physikalisch – was ist das Eta-Prime-Meson, das Mariana, eine erfahrene Wissenschaftlerin, so hibbelig macht? Bei einem ersten Gespräch mit Hans Geissel, Leiter der GSI-Forschung am Fragmentseparator, verstehe ich noch herzlich wenig und gehe bald dazu über, mir nur die Worte aufzuschreiben, die in seinen Erklärungen häufiger vorkommen. Einige Wikipedia-Einträge später habe ich Folgendes verstanden: Ein Eta-Prime-Meson ist ein bestimmtes Teilchen aus Quark und Antiquark (Es sind schon 122 Mesonen entdeckt und es gibt noch wesentlich mehr!). Dieses Eta-Prime-Meson gibt es nicht einfach in der Umwelt. Um es zu vermessen, müssen die Wissenschaftler es aus einem Atomkern „herauskitzeln“. Der Plan: Sie schießen mit Wasserstoffionen auf ein Kohlenstofftarget.

Dabei kommt es zu vielen verschiedenen Kernreaktionen. Ganz selten wird eine Reaktion im Kern des Kohlenstofftargets ausgelöst, bei der ein Neutron und ein Eta-Prime-Meson entstehen. Das Eta-Prime-Meson hüpft, wie ein Elektron, in eine Umlaufbahn des Kohlenstoffkerns. Das entstandene Neutron vereint sich mit dem vorbeifliegenden Wasserstoffion und gemeinsam fliegen sie als Deuteron (schwerer Wasserstoffkern) weiter. Die Messgeräte von Mariana und ihren Kollegen stehen am Ende des FRS und zeichnen die Energiewerte der Deuteronen auf. Dabei kommen einige Werte häufig vor. Diese füttern sie in komplizierte Rechenmodelle und – tadaaaa! – sie können auf die Masse des Eta-Prime-Mesons in gebundenem Zustand zurückschließen! Puh, da ist mein Hirnareal für Physik-Wissen wieder ein Stückchen größer geworden.

„Die Chance, dass wir das Meson tatsächlich in dieser Strahlzeit beobachten, liegt unter 50 Prozent“, sagt Hans Geissel. „Aber die Masse eines Pions (Schwesterteilchen von Mesonen) haben wir mit dieser Methode schon bestimmt“, sagt er zuversichtlich. Mehr als 150 Stunden am Stück werden die Wissenschaftler jetzt die Reaktionsprodukte aufzeichnen. Die vollständige Analyse – und vielleicht die Masse des Eta-Prime-Mesons – gibt es in etwa zwei bis drei Monaten.




