Unter Zeitdruck

Walter befüllt die Proben mit Nährlösung. Bild :GSI

Mittwoch, 23. Juli. Heute wird es am Experimentierplatz rund um Cave M turbulent zugehen: Viele Experimente müssen in einem straffen Zeitplan durchgeführt werden. Sie werden vor allem von Doktoranden betreut, die den international zusammengesetzten Arbeitsgruppen angehören. Ihre Zellen müssen zum Teil kurz vor und nach der Bestrahlung im Labor behandelt werden – zeitkritisch, das bedeutet auch immer nervenzehrend.

Bild: GSI
Bild: GSI

23:00 Uhr. Als ich den Gebäudetrakt betrete, finde ich die Experimentatoren im Bereich der Gemeinschaftsbüros. Sie warten auf den Beginn ihres Experiments. Spanisch, Englisch und Italienisch klingt durch den Raum. Nicht nur die GSI-Gastwissenschaftler kommen aus verschiedensten Teilen der Welt, auch die GSI-Belegschaft ist zu 20 Prozent internationaler Herkunft.

Genaues Timing

Das vorhergehende Experiment hat länger gedauert als geplant. Jetzt muss der Strahl für die Experimente noch eingestellt werden. Das heißt warten „Das ist manchmal das stressigste – zu warten und nicht zu wissen, wann es losgeht“, erzählt Walter Tinganelli. Er ist Biologe und gebürtiger Italiener. „Unsere Experimente sind deshalb so zeitkritisch, weil wir Tumorzellen aus dem Innern des Tumors simulieren wollen. Dort ist oft wenig Sauerstoff vorhanden, was die bösartigen Zellen vor der Bestrahlung schützt*. Um das zu simulieren, setzen wir einen Teil unserer Zellen zwei Stunden vor der Bestrahlung in eine Kammer mit sauerstoffarmem Gas. Haben wir dann den Strahl nicht rechtzeitig, steht das Experiment auf der Kippe. Denn wenn die Zellen zu lange keinen Sauerstoff bekommen, sterben sie ab.“

Hochdruck im Labor

Andreas montiert die Proben in der richtigen Reihenfolge: außen sauerstoffreiche Proben, innen in der Kammer sauerstoffarme. Bild: GSI
Andreas montiert die Proben in der richtigen Reihenfolge: außen sauerstoffreiche Proben, innen in der Kammer sauerstoffarme. Bild: GSI

23:15 Uhr. Plötzlich kommt Andreas Maier in den Raum, der das Experiment mit Walter betreut. Ein knappes „Es geht los!“ und alle springen auf. Direkt neben Cave M sind einige Labors eingerichtet. Dort werden die Zellen kurz vor oder nach der Bestrahlung präpariert. Laborkittel an und Zellen aus dem Brutschrank geholt. Walter und Andreas arbeiten Hand in Hand: Walter füllt einige Proben routiniert mit Nährlösung. Andreas montiert sie in der richtigen Reihenfolge hintereinander: Die Proben mit Nährlösung sollen die äußere Schicht des Tumors simulieren, durch das die Ionen dringen. Dahinter montiert er die Tumorzellprobe, die sich in der sauerstoffarmen Kammer befinden und das Innere des Tumors simulieren. Ab ins Cave, die Proben aufstellen und dann Strahl an. Gebannt schauen die beiden auf den Schirm. Wird alles problemlos durchlaufen?

Andreas zählt die Zellen maschinell. Bild: GSI
Andreas zählt die Zellen maschinell. Bild: GSI

23:45 Uhr. Kurze Zeit später ist es schon vorbei, der Strahl hat punktgenau getroffen. Im Laufschritt bringen sie die Zellen wieder ins Labor. Walter bereitet die Tumorzellen fürs Zählen vor: Enzyme lösen die Zellen vom Untergrund. Genau vier Minuten in den Brutschrank. Jetzt bloß nichts falsch machen. Ein Blick durchs Mikroskop, noch kleben die Zellen wie Sterne am Boden fest. Walter schüttelt das Fläschchen vorsichtig. Ein zweiter Blick zeigt: Jetzt schwimmen die Zellen als Kugeln durch das Medium und lassen sich mit einer Pipette absaugen. Andreas zählt die Zellen maschinell und berechnet, wie viele Mikroliter der Tumorzellproben (aus der sauerstoffarmen Kammer) er weiter wachsen lassen muss, um später die Effekte der Bestrahlung an den weiterlebenden Zellen zu untersuchen.

Sommerstudentinnen schnuppern rein

Die Sommerstudentinnen Mandy (l.) und Ermenegilde (r.). Bild: GSI
Die Sommerstudentinnen Mandy (l.) und Ermenegilde (r.). Bild: GSI

Zwei Sommerstudentinnen sind auch mit im Labor. Mandy und Ermenegilde kommen aus Bielefeld und Neapel und studieren Physik und Biologie. Sie nehmen am GSI-Sommerstudentenprogramm teil und sind erst vor ein paar Tagen angekommen. Zwei Monate schnuppern sie gemeinsam mit 42 anderen Studenten aus 18 Ländern in den Forschungsbetrieb rein. Viele der Wissenschaftler, die heute bei GSI arbeiten, waren das erste Mal als Sommerstudenten hier.

Verlorenes Zeitgefühl

Juli (l.) und Eva (r.) stellen ihre Proben mit Hautzellen in Cave M auf. Bild: GSI
Julia (l.) und Eva (r.) stellen ihre Proben mit Hautzellen in Cave M auf. Bild: GSI

Eine Arbeitsgruppe kommt nach der anderen: Doktoranden der Hochschule Aschaffenburg experimentieren mit Neuronen. Zwei weitere Experimentatorinnen, Eva Thönnes und Julia Wiedemann, haben Hautzellen für die Untersuchung vorbereitet. Für Eva ist es erst die zweite Strahlzeit mit einem eigenen Projekt: „Ich bin schon etwas nervös, wir haben so lange geplant und alles vorbereitet.“ Julia hat schon einige Nachtschichten miterlebt: „Mich darf man während der Strahlzeit nicht fragen, welchen Wochentag wir gerade haben. Man verliert irgendwie den Anschluss an das Leben draußen.“ Es ist mittlerweile 2:45 Uhr morgens, ich finde, da darf man mal das Zeitgefühl verlieren.

 

* Sauerstoff-Moleküle helfen bei der Zerstörung der Tumorzellen mit, weil sie in Kombination mit Bestrahlung zu einer erhöhten Konzentration schädigender Radikale führen. Da das Innere von Tumoren oft sauerstoffarm ist, ist dieser Bereich besonders widerstandsfähig gegen Bestrahlung.

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