Augenspiegel 07-19: Glühender Diskurs-Winter
Haben Sie noch den Überblick? Ich muss zugeben: Ich habe ihn gerade verloren. Nein, ich spreche nicht von den vielen neuen Facebook-Skandalen, den aktuellen Meldungen von Milliarden erbeuteter Passwörter oder der neuesten KI-Initiative. Ich habe leider den Überblick bei den aktuellen Stellungnahmen zur Wissenschaftskommunikation verloren. Der „heiße Sommer der Wissenschaftskommunikation“ 2014 scheint nichts gegen den glühenden WissKomm-Winter 2019 gewesen zu sein: Metaebenen-Diskurse wohin man nur klickt tappt. Ich muss dieses Drama für mich selbst mal sortieren, bevor ich das alles nochmal in Ruhe lesen kann:
Akt 1, „Die Selbstreflexion beginnt“: Da waren zunächst die Siggener Impulse 2018 (veröffentlicht im Januar 2019), flankiert von einem einordnenden Interview mit WiD-Chef Markus Weißkopf. Demnach ist Wissenschaftskommunikation nunmehr (oder immer noch?) Chefinnensache. Das Siggener Papier kommentierte dann Journalistin Heidi Blattmann, die die zentralen Herausforderungen eher woanders sieht. Darauf antworten prompt Josef Zens und Franz Ossing. Jürgen Zöllner findet: Die Wissenschaft schadet sich selbst.
Akt 2, „Und der Journalismus?“: Welchen Veränderungen der Digitalisierung ist der Wissenschaftsjournalismus spezifisch unterworfen, fragen und beantworten Birte Fähnrich und Theresa Hein. Aber die Journalismus-Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr – was kann man bloß tun? Auftritt: Franco Zotta mit einer Anregung zum stiftungsfinanzierten Wissenschaftsjournalismus (sowie zahlreichen Kommentaren unter dem Text). Der Beitrag greift einen Zeit-Artikel von Volker Stollorz und Reinhard Hüttl aus dem Oktober 2018 auf, auf den Josef König zwischenzeitlich schon hier und da geantwortet hatte.
Akt 3, „Feinstaub kann Schweigen oder auch Reizhusten verursachen“ (Climax): Dann veröffentlicht Dieter Köhler mit einigen Kollegen eine Minderheiten-Stellungnahme, die von den klassischen Medien trotz SMC-Expertise unkritisch weiterverbreitet wird. Jens Rehländer fragt berechtigterweise, warum die Wissenschaft™ darauf zunächst nicht reagiert. Wenn man schon mal mit einem gesellschaftlich relevanten Thema in der öffentlichen Diskussion ist, muss man auch schnell kommunizieren können, findet auch Hannes Schlender. Dass nicht getan zu haben, tut meinem Chef in der ZEIT leid. Aber der Journalismus™ soll sich mal an seine eigene Nase fassen, findet Josef Zens. Und Jens Rehländer fordert einen Masterplan. Prompt hagelt es Tipps für Fälle von Krisen- und Risikokommunikation. Zum Schluss mischt sich sogar die Anstalt ein.
Akt 4, „Die Gretchenfrage – wie hältst Du es mit dem Journalismus?“: Es kam wie es kommen müsste. In keiner WissKomm-Meta-Debatte darf der klassische Begriffsdefintionsstreit fehlen: Gehört der Wissenschaftsjournalismus zur Wissenschaftskommunikation dazu oder nicht? Dieses Jahr treten die Kontrahenten Markus Pössel (These: ja) und Josef König (These: nein) gegeneinander an. Aber wo keine Schiedsrichterin, da auch kein Gewinner. Und wieso bloggen dazu eigentlich nur Männer?
Akt 5, „Conclusio“: Alexander Mäder wirbt für gemeinsame Anstrengungen von nicht-journalistischer und journalistischer Wissenschaftskommunikation. Und auch Stephan Ruß-Mohl plädiert für ein gemeinsames Zweckbündnis. Währenddessen touren die „Rockstars der Wissenschaft“ schon durch die Republik, um die Stimme der Wissenschaft zu erheben. Applaus. Vorhang. Fortsetzung garantiert.
Warten wir also gespannt auf weitere WissKomm-Positionspapiere zu „20 Jahre PUSH-Memorandum„. Auch Harald Lesch griff das Thema Feinstaub bei Terra X auf.
Video: Terra X
And now for something completely different
Kommen wir nun zum unterhaltsamen Teil, den Wissenschaftsfundstücken aus dem Web 2.0 vom Januar 2019. Mai-Thi Nguyen-Kim erklärt sehr gut nachvollziehbar, was eigentlich diese Konfidenzintervalle sind.
Video: MaiLab
Während der deutsche Youtube-Wissenschaftsrückblick auf 2018 etwas männer- und raketenlastig war, erklärt Lera Boroditsky, warum unsere Sprache unser Denken beeinflusst.
Video: TED
Wissenschaftsrap
Der Wissenschaftsrap ist spätestens seit dem LHC Rap von 2008 ein etabliertes Kommunikationsgenre. Nun scheint der Trend auch in Deutschland um sich zu greifen, hier Beispiele aus Saarbrücken und Karlsruhe.
https://www.facebook.com/CispaSaarland/videos/vb.862281900587070/600566010384841/?type=2&theater
Video: CISPA
Video: ScaleIT
Und damit sind gleich schon bei der Frage nach den …
Trends 2019
Was wird dieses Jahr als Kommunikationstrend besonders angesagt sein? Dark Social, sagt eine Umfrage unter deutschsprachigen Social-Media-Expert*innen. Das Reuters Institute sagt: Dark Social, Google und Audio – „With many publishers launching new daily news podcasts, it is perhaps not surprising that the majority (75%) think that audio will become a more important part of their content and commercial strategies. A similar proportion (78%) think that emerging voice-activated technologies, like Amazon Alexa and Google Assistant will have a significant impact on how audiences access content over the next few years.“
Was noch fehlt: Wissenschaftskommunikation in fortnite!
Audio-Podcasts
Apropos Audio: Streaming-Anbieter Spotify kauft Podcast-Startup Gimlet und die Audio-App Anchor. Das kann als weitere Plattformisierungstendenz des eigentlich freien Podcast-Universums verstanden werden. Liebe Podcastenden, baut nicht das nächste Facebook mit seinen negativen Konsequenzen, heißt es nun. Kommt jetzt also das Youtube für Audio oder das Netflix für Audio? Auch ich stelle mir aber weiterhin die Frage, ob wir mit der bisherigen Entscheidung richtig liegen, dass wir uns mit dem Resonator-Podcast nicht an solchen geschlossenen Plattformen beteiligen.
Im März gibt es die nächste Podcast-Konferenz „Subscribe„. Aus Erfahrung kann ich Teilnahme sehr empfehlen.
Tweets des Monats
https://twitter.com/ThingsWork/status/1086721231234187269
Kurz verlinkt
- Spannend: Gibt es die von Snapchat, Instagram und WhatsApp bekannten Stories künftig auch im Web? Google stellt AMP Stories vor.
- Netzpolitik.org schafft die Kommentare ab.
- Aufstieg und Fall der RSS-Technologie
- Chapeau, liebe Alexander-von-Humboldt-Stiftung: ein potenziell angestaubtes Jubiläumsthema schön in unsere Lebenswirklichkeit geholt!
- Wie kommunizieren Nachwuchsforschende in Social Media? Ein Befragung.
- Wie eine Google-Suche zukünftig aussehen könnte, wenn das EU-Leistungsschutzrecht kommt.
- Welche Werbekennzeichnungen sind in verschiedenen Social-Media-Angeboten rechtlich nötig?
- Heise macht einen Faktencheck zu Progressive Web Apps.
Und damit übergebe ich an Greta Thunberg für eine wichtige Durchsage.
Video: TEDx Stockholm
Die Augenspiegel-Kolumne
Die Kolumne „Augenspiegel – Webfundstücke rund um die Wissenschaft“ erscheint seit Februar 2014 etwa alle zwei Wochen freitags im Blogportal der Helmholtz-Gemeinschaft. Darin stellt Henning Krause, Social Media Manager in der Helmholtz-Geschäftsstelle, Internetfundstücke aus dem Web 1.0 und dem Web 2.0 vor, die zeigen, wie sich der gesellschaftliche Diskurs um Wissenschaft im Internet abspielt: neue Kommunikationsformen, neue Technologien und Kommunikationskulturen. Bei dieser Kuratierung spielen Blogs, Apps, Facebook, Youtube und Twitter eine Rolle – anderseits auch Internet-Meme, Shitstorms und virale Videos. Etwas ähnliches macht auch das Panoptikum auf Wissenschaftskommunikation.de
Leser:innenkommentare (1)
Was ist Wissenschaftskommunikation? – Augenspiegel
[…] nun zur Wissenschaftskommunikation zu rechnen sei oder nicht, ergab sich Anfang 2019 eine interessante Diskussion. Nach Lektüre der ganzen Argumente, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich den […]