Augenspiegel 30-18: Falsche Ausgewogenheit

Fig. 2. Bild: David Mazières and Eddie Kohler
Fig. 2. Bild: David Mazières and Eddie Kohler

Was und wie sollten Journalist*innen über einen Streit berichten? Eine übliche Herangehensweise ist der „He said, she said“-Journalismus. Man stellt beide Positionen beider Seiten vor. Das hat sicher auch etwas mit der Haltung zu tun, man solle sich „mit keiner Sache gemein machen – auch nicht mit einer guten“. Doch wo bleibt da die Einordnung, die Aufdeckung von Lügen und Fehleinschätzungen, das Aufzeigen von Fakten? Eine schöne Replik auf die teilweise seltsamen Auswirkungen eines „He said, she said“-Journalismus ging kürzlich auf Twitter rum:

„Wenn einer sagt: Es regnet. Und ein anderer sagt: Es regnet nicht. Dann ist es nicht die Aufgabe von Journalist*innen beide einfach nur zu zitieren, sondern aus dem scheiß Fenster zu gucken und rauszufinden, wer von beiden recht hat.“ Das mag jetzt – gerade in Hinblick auf oftmals vertrackte und schwierig einzuordnende Wissenschaftsthemen – etwas stark verkürzt erscheinen. Aber gerade in Bezug auf Klimawandel-Berichterstattung wundert es mich sehr oft, wie oft der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung dann in journalistischen Berichten noch irgendwelche sehr abseitigen Minderheitspositionen in einem 1:1-Verhältnis gegenüber gestellt werden, nur weil man ja auch „die andere Seite“ darstellen müsse. Wie dies in einem ausgewogenen Verhältnis aussehen würde, hat John Oliver schon 2014 schön visualisiert. Demnach müsste man pro Klimawandelleugner auch 99 Klimawandel-Realfinder einladen bzw. zu Wort kommen lassen.

Video: Last Week Tonight.

Aktuell war der MDR wegen falscher Ausgewogenheit in einem Bericht über das Impfen in die Kritik geraten. Dort war die pseudomedizinische Impfverweigerung als scheinbare Normalität dargestellt worden. Der MDR korrigierte den Bericht nun.

Aufgehoben

Während gerade viel über die EuGH-Entscheidung in Sachen Gentechnik gesprochen wird, hat ein anderes Urteil weniger Aufmerksamkeit erfahren. In Augenspiegel 46-17 hatte ich mich über ein Urteil des LG Bonn geärgert, wonach der Deutsche Wetterdienst seine App aus Wettbewerbsgründen nicht mehr kostenlos anbieten durfte. Bezahlpflicht für öffentliche Infos? Das kann doch wohl nicht sein! Das sah dann auch das Oberlandesgericht nun so und hob das LG-Urteil auf. Der Rechtsstreit geht aber weiter – wir dürfen gespannt bleiben.

Blick in die Blogs

Europas Astronaut im All hat über die ersten Wochen seiner Mission gebloggt. Dann erschien er auch noch überraschend auf einem Kraftwerk-Auftritt in Stuttgart und musizierte live von der ISS auf einem Tablet. Außerdem funkte er mit Schülerinnen und Schülern sowie seiner Heimatstadt Künzelsau.

Tweets der Woche

Ein schöner Hashtag: #KunstgeschichteAlsBrotbelag

Podcastfolge der Woche

Zusätzlich zu den in der Augenspiegel-Kolumne vorgestellten Web-Fundstücken kuratiere ich Audio-Fundstücke ja schon seit zweieinhalb Jahren in den Podcastfeed „Wissenschaft auf die Ohren„. Da gibt es sowohl aus dieser als auch aus vergangener Woche jeweils zwei hörenswerte Podcast-Sendungen zum Nachhören. Einfach im Podcatcher Eurer Wahl nach „Wissenschaft auf die Ohren“ suchen, abonnieren und sich von meinen Wissenschafts-Audiofundstücken überraschen lassen.

Hier direkte einbetten würde ich aber gerne zusätzlich noch das Gespräch mit Rebecca Winkels von Wissenschaftskommunikation.de im Anchor-Kanal des Stifterverbands:

Videos der Woche

Max Planck schickt zwei Youtuber (sic!) auf Entdeckungsreise:

Video: Max Planck

Was macht man mit Reichweite?

Video: MaiLab

Ein zwei Jahre alter Klassiker von Veritasium:

Video: Veritasium

#RealScience, #JunkScience oder #FakeScience?

Und damit sind wir bei den Medienberichten der vergangenen Woche über so genannte Predatory Journals. Da sicherlich alle Wissenschaftsinteressierten an dem Thema nicht vorbei gekommen sind, möchte ich mich hier auf eine Auswahl von Reaktionen in Social Media beschränken:

Video: MaiLab

Ungelöst scheint ebenfalls noch die Frage zu sein, wie man von den Mailinglisten der Schrottverlage wieder runter kommt. David Mazières and Eddie Kohler probierten dies bereits 2005 mit einem schön geLaTeXten Paper. Doch leider vergeblich…

Kurz verlinkt

Termine

  • Am 14. September fragen die Kolleg*innen von Max-Planck: „Wo nach suchst du?“ und laden zu Veranstaltungen im ganzen Land ein.
  • Vom 28. bis 30. September findet in Wien der WissenschaftsPodcaster*innen-Treff GanzOhr2018 statt.
  • Nicht vergessen: Heute Abend ist Mondfinsternis! Ich wünsche einen wolkenfreien Himmel!

Die Augenspiegel-Kolumne

Die Kolumne „Augenspiegel – Webfundstücke rund um die Wissenschaft“ erscheint seit Februar 2014 etwa alle zwei Wochen freitags im Blogportal der Helmholtz-Gemeinschaft. Darin stellt Henning Krause, Social Media Manager in der Helmholtz-Geschäftsstelle, Internetfundstücke aus dem Web 1.0 und dem Web 2.0 vor, die zeigen, wie sich der gesellschaftliche Diskurs um Wissenschaft im Internet abspielt: neue Kommunikationsformen, neue Technologien und Kommunikationskulturen. Bei dieser Kuratierung spielen Blogs, Apps, Facebook, Youtube und Twitter eine Rolle – anderseits auch Internet-Meme, Shitstorms und virale Videos. Etwas ähnliches macht auch das Panoptikum auf Wissenschaftskommunikation.de

Leser:innenkommentare (2)

  1. Rosenkohl

    Statt von „falscher Ausgewogenheit“ wäre es ehrlicher, von „fehlender Zensur“ zu sprechen. Pressefreiheit bedeutet, daß es einzig im Ermessen des Autors liegt, wie er seinen Bericht gestaltet. Daher erscheint es problematisch, wie der MDR auf äußeren Druck hin einer jungen Gastautorin durch nachträgliches Redigieren ins Wort gefallen ist.

    Was beim Impfthema nicht ausreichend reflektiert wird ist, daß die Ziele, z.B. Elimination einer Krankheit in der Bevölkerung, eben nicht rein wissenschaftlich begründbar sind. Man könnte z.B. versuchen, utilitaristische Argumente eines maximalen Nutzens für die Mehrheit anzuführen, gleichwohl handelt es sich stets um ein ethisches Werturteil, also eben keine beweisbare Tatsache.

    Beim Klimawandel wird nicht hinreichend reflektiert, was mit der Rede vom „menschgemachten“ gemeint ist. Dabei wird verdrängt, daß die Menschheit in viele unabhängige, teilweise konkurierende Akteure zerfällt, Nationen, Unternehmen, Individuen, usw.. Stattdessen wird so getan, als sei 1. es die willkürliche Entscheidung eines „Menschen schlechthin“ gewesen, den Klimawandel hervorzurufen und 2. dieser „Mensch schlechthin“ in der Lage den Klimawandel wesentlich zu bremsen oder revertieren. Die dann gemeinhin vorgeschlagenen technischen Maßnahmen, entweder Carbon-Capture-and-Storage, oder Nuklearenergie oder Wind- und Solartechnik sind jedoch vollkommen illusorisch und ungeeignet. Einzig eine drastische Beschränkung und Umkehr des globalen Bevölkerungswachstums, was eben nicht ohne Zwangsmaßnahmen möglich wäre, könnte eine mittelfristige Lösung bieten, wird aber aus politscher Opportunität zur Zeit kaum vorangetrieben.

    1. Henning Krause

      Ich sehe es nicht als „Zensur“ an, sich gegen falsche Ausgewogenheit auszusprechen. Zensur wäre Informationskontrolle im Sinne von Artikel 5 Grundgesetz. Ich habe hier eher über journalistische (Selbst-)Ansprüche gebloggt, wie man ein rationales Weltbild vermitteln kann und sollte. Beim Thema Klimawandel hatte ich – scheinbar im Gegensatz zu Ihnen – noch nie den Eindruck, das Adjektiv „menschengemacht“ würde bei eine Absicht implizieren. Ich verstehe darunter schlicht „durch den Menschen verursacht“ und nicht „absichtlich von Menschen herbei geführt“. Auch sehe ich viele andere Problemvermeidungsstrategien, die seit Jahrzehnten diskutiert aber nicht hinreichend angegangen werden: Umstieg von Fossil- auf erneuerbare Energien, Effizienzmaßnahmen, Vermeidung unnötiger Flugreisen, verursacherprinzip-gesteurte Besteuerung von Klimagas-Ausstoß (z.B. Kerosin-Besteuerung), vegetarische Ernährung, Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs, Reglementierung des Fahrzeug-Ausstoßes und viele weitere.

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