Augenspiegel 13-18: Was kommt nach Facebook?

Partielle Sonnenfinsternis über der Neumayer-Antarktis-Forschungsstation 2018. Bild: AWI
Partielle Sonnenfinsternis über der Neumayer-Antarktis-Forschungsstation 2018. Bild: AWI

Nach den aktuellen Diskussionen um Facebook, die das Unternehmen wohl in seine bislang tiefste Krise gestürzt haben, scheinen viele Menschen nun konkret zu begreifen, was der alte Spruch bedeutet: Wenn Du nicht für einen Dienst bezahlst, bist du das Produkt und nicht der Kunde. Aber ich will hier gar nicht in das zweifelslos berechtigte Facebook-Bashing einsteigen oder die NutzerInnen für verantwortlich erklären. Dass Nutzende nicht (nur) Kunden sind, sondern dass z.B. Medien-Unternehmen deren Aufmerksamkeit an Werbetreibende vermarkten – das kennen wir aus der 1.0-Kommunikationswelt schon lange. Tageszeitungen (bis auf die taz vielleicht, die sich im Übrigen gerade im Digitalen neu gründen will) finanzieren sich ja auch überwiegend aus Werbeeinnahmen und eben nicht größtenteils über die LeserInnen, die insofern auch nicht (nur) Kunden sind, sondern auch Produkt.

Eine offene Infrastruktur für Soziale Netzwerke in BürgerInnen-Hand

Ich möchte eher den Blick nach vorne richtigen: Wie kann es weiter gehen? Der Trend, dass sich Menschen digital-interaktiv z.B. über Smartphones miteinander austauschen wollen, wird aus meiner Sicht nicht so schnell verschwinden. Da sollten wir als Gesellschaft uns überlegen, wie wir dies mittel- und langfristig gerne realisiert sähen. Und da stimmt die aktuelle Kritik schon: Das im Fall Cambridge Analytica bekannt gewordene Problem, liegt an der Struktur von Facebook an sich: eine einzige Firma hortet die Nutzungsprofile von etwa zwei Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Aber jetzt lediglich zum Löschen von Facebook-Accounts aufzurufen, ist aus meiner Sicht nicht ausreichend, wenn dann alle NutzerInnen bei einem anderen Anbieter landen, der ebenfalls versuchen würde, Nutzerprofile zu monetarisieren. Verstaatlicht Facebook, heißt es jetzt. Die Forderung macht aus meiner Sicht deutlich, dass wir einen radikalen Schnitt benötigen, der die Nutzungsinfrastruktur für Soziale Netzwerke vom Geschäftsmodell einzelner Firmen entkoppelt. Die digitale Infrastruktur sollte uns mittlerweile so wichtig sein wie die Verkehrsinfrastruktur.

Ich würde daher sagen: Wir müssen nicht Facebook verstaatlichen (an welchen Staat sollte es eigentlich gehen?), sondern wir müssen eine offene Infrastruktur in Bürgerhand schaffen, auf der die Sozialen Netzwerke der Zukunft aufsetzen können. Ich nenne dies Open Social Infrastructure (OSI) und habe den Vorschlag dazu vergangene Woche auf wissenschaftskommunikation.de skizziert. Es geht also nicht nur um Facebook, sondern um alle Sozialen Netzwerke: Chat-Dienste, Videoplattformen, Foto-Communities und alles, was in Zukunft noch an Innovationen folgen mag wie z.B. die von mir lange prognostizierte Geruchs-Sharing-Apps, sobald die Smartphones endlich so weit sind. Und in der Tat dürfte es schwierig bis unmöglich sein, Nutzende von Facebook runter zu holen, wenn es nicht wo anders etwas ganz Neues und Einzigartiges zu erleben gibt. Daher halte ich es auch für wichtig, sich jetzt Gedanken um so eine Open Social Infrastructure zu machen, damit sie dann Grundlage des next big things sein kann.

Kernmerkmale der OSI sind erstens ihre Dezentralität entsprechend der alten Diaspora-Idee. Und zweitens eine Finanzierung nach dem Abgabenmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um eine solche Idee voranzutreiben, braucht es viele gesellschaftliche Mitspieler. Neben Medien, NGOs, Bürgerinitativen, Kirchen, Gewerkschaften, Vereinen etc. könnte meiner Meinung nach auch die Wissenschaft als gesellschaftliches Subsystem ihren Teil zum Vorantreiben einer OSI-Initiative beitragen. Vielleicht kann der aktuelle Facebook-Skandal ja ein auslösendes Moment für eine grundlegende Änderung sein – wie Tschernobyl oder Fukushima. Beim Thema Rauchen und Fleischkonsum haben sich die Verhaltensweisen der Menschen in den vergangen Jahrzehnten ja auch geändert. Ich hoffe sehr, dass diese Diskussion jetzt an Fahrt gewinnt, die Vorschläge sind ja auch nicht wirklich neu.

Update 27.4.2018: Reaktionen zur OSI-Idee gibt es im SpiegelOnline-Debatten-Podcast von Sascha Lobo ab Minute 4 (MP3) und in einem FAZ.NET-Artikel von Hanna Decker.

Video: WSJ

Videos der Woche

Video: Schön schlau

Video: Schön schlau

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Blick in die Blogs

Tweets der Woche

Social Media-Nutzungszahlen 2018

Die chinesische All-in-one-App WeChat hat nun eine Milliarde NutzerInnen. Währenddessen brechen auf Facebook bedingt durch den neuen Newsfeed die Reichweite-Zahlen der Seitenbetreiber ein. Haupt-Traffic-Lieferant für News-Webseiten war allerdings auch zu Zeiten des alten Newsfeeds in 2017 nicht mehr Facebook, sondern mittlerweile Google (etwa doppelt so hoch wie der Facebook-Anteil). Privates Teilen über E-Mail und Messenger ist auf dem Vormarsch, dieser Dark Social-Anteil soll doppelt so hoch liegen wie klassisches Sharing über Twitter und Facebook.

Bei den Jugendlichen (hier: 18 bis 24 Jahre) in den USA sind die Nutzung von Instagram (81 Prozent), Facebook (80 Prozent) und Snapchat (78 Prozent) etwa gleich auf. Mit 94 Prozent bleibt Youtube hier die Nummer eins. In Deutschland bleibt WhatsApp das Maß aller Dinge: Sage und schreibe 98 Prozent aller 14- bis 18-Jährigen nutzen den Messenger.

Goodbye, Stephen Hawking!

Die Augenspiegel-Kolumne

Die Kolumne „Augenspiegel – Webfundstücke rund um die Wissenschaft“ erscheint seit Februar 2014 etwa alle zwei Wochen freitags im Blogportal der Helmholtz-Gemeinschaft. Darin stellt Henning Krause, Social Media Manager in der Helmholtz-Geschäftsstelle, Internetfundstücke aus dem Web 1.0 und dem Web 2.0 vor, die zeigen, wie sich der gesellschaftliche Diskurs um Wissenschaft im Internet abspielt: neue Kommunikationsformen, neue Technologien und Kommunikationskulturen. Bei dieser Kuratierung spielen Blogs, Apps, Facebook, Youtube und Twitter eine Rolle – anderseits auch Internet-Meme, Shitstorms und virale Videos. Etwas ähnliches macht auch das Panoptikum auf Wissenschaftskommunikation.de

Leser:innenkommentare (3)

  1. Augenspiegel 15-18: Loblied auf den Feed - Augenspiegel

    […] Online-Neuigkeiten erreichen uns und welche nicht? Das ist eine wesentliche Frage bei den aktuellen Diskussionen um Filterblasen, Algorithmen und Soziale Netzwerke. Viele Menschen hätten gerne […]

  2. Augenspiegel 34-18: Das Fe(e)diversum – Augenspiegel

    […] Die Augenspiegel-Kolumne meldet sich aus der Sommerpause zurück. Wie immer geht es hier auch heute um die aktuelle Forschung, Trends in der Wissenschaftskommunikation und Entwicklungen des Web 2.0: „The internet is a series of tubes„, so charakterisierte US-Senator Ted Stevens im Jahr 2006 das Internet. Sein Ausspruch, der kurz daraufhin zu Mem wurde, war damals wohl noch wahrer heute. Das Web war 2006 sehr divers, es gab viele „tubes“: Mensch „surfte“ damals auf vielen verschiedenen Webseiten herum, kommentierte in ersten Blogs und hatte vielleicht sogar RSS-Feeds abonniert. Heute scheinen eine bis zwei handvoll dieser Röhren das Internet auszumachen: Facebook, Google, Amazon, Apple, WeChat und ein paar wenige weitere. Und die großen Anbieter scheinen sich fast alles erlauben zu können. […]

  3. Helmholtz-Facebook-Seite abgeschaltet – Augenspiegel

    […] uns mit. Aktuell betrifft dies unsere Nutzung von Facebook, über das ich hier im Augenspiegel-Blog schon oft geschrieben […]

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