Einen Strick kann man nicht schieben. Dreht die Wissenschaftskommunikation um!

Seile. Bild: Schütz MD, CC-0
Seile. Bild: Schütz MD, CC-0

von Franz Ossing, Doris Wolst (UFZ), Josef Zens (GFZ) |

Populismus? Wissenschaftskommunikation und Politik haben das gleiche Problem

Randständige Ansichten in Politik und Gesellschaft scheinen Konjunktur zu haben. Sicher gab es Verschwörungstheorien, bauchgefühlte Wahrheiten und Misstrauen gegen „Die da oben“ schon immer. Aber was bisher schnell als kuriose Verschwörungstheorien erkannt wurde und flugs wieder von der Bildfläche verschwand, prägt jetzt manchmal flächendeckend die Debatte, nicht nur in unserem Land. Die Wissenschaft kriegt auch ihr Fett ab, und zwar in dem Maße, dass sie gegen alternative Fakten weltweit auf die Straße ging.

Die neue Tragweite der Skepsis ist Resultat eines gewandelten Kommunikations- und Informationsverhaltens in der Gesellschaft, das Werkzeug stellt die digitale Welt zur Verfügung. „Social Media“ sind vermutlich in ganz anderem Sinne „social“, als wir es bisher diskutieren.

Von „Filterblasen“, „Verschwörungstheorien“ und „alternativen Fakten“

Es sind dieselben Prozesse, welche die Demokratie aushöhlen und die das Vertrauen auf die Wissenschaft erodieren. Das Neue ist zunächst einmal, dass Information und Kommunikation jetzt sofort viral funktionieren – mit der Folge, dass die daraus entstehende Quantität in eine neue Qualität der Meinungsäußerung umschlägt. In der Politik machen sich das seit Berlusconi (als erster überhaupt) Populisten wie Erdogan, Trump oder die neue Rechte zu eigen, um daraus Macht zu gewinnen: ‚Give the people what they want‘, mit Twitter, Facebook etc. kann man seiner Klientel selbst noch im hintersten Hof des Midwest bestätigen, dass man sie ernst nimmt – auch mit alternativen Fakten. Die Wissenschaft erfährt diese Erosion so, dass zu jeder langen Forschungsarbeit, die ein „Peer Review“ durchlaufen hat, sich im Netz sofort und scheinbar gleichberechtigt eine haltlose oder unbegründete Gegenposition findet, die von vielen geteilt und damit weitaus schneller und weitreichender verbreitet wird als die fundierte Forschungsarbeit. Damit wird wissenschaftliches Wissen entwertet.

Die Gesellschaft lebt von Wissenschaft, aber weiß die Gesellschaft das?

Die positive Leseweise des WiD-Wissenschaftsbarometers ist: Ja, die Gesellschaft kennt die Wichtigkeit faktenbasierten Wissens. Die negative: bisher noch. Der diesjährige Tagungstitel der VW-Stiftung zur Wissenschaftskommunikation „Wissenschaft braucht Gesellschaft?“ legte insofern eine falsche Fährte, als er impliziert, dass die Wissenschaft derzeit keine Gesellschaft hätte, was gerade in Deutschland nicht stimmt. Zur Behebung der begrifflichen Unschärfe, die sich auch beim Wissenschaftsrat findet: Der WissensTRANSFER in die Gesellschaft ist der Normalfall; es gibt faktisch keine Wissenschaft, die nicht in der Gesellschaft landet (von der Politikberatung und Mitarbeit in DIN-Ausschüssen über das gute Sachbuch bis hin zur Wettervorhersage). Daraus ergibt sich für die WissenschaftsKOMMUNIKATION: Wie macht man der Gesellschaft bewusst, dass ihr Wohlstand auf Wissenschaft, Forschung, Innovation und Ausbildung beruht? Wohlgemerkt: Es geht um das WIE. Wie gelingt es der Wissenschaftskommunikation, den tagtäglich stattfindenden Wissenstransfer in die Gesellschaft bewusst zu machen? Hervorzuheben ist, dass der Wissenschaftsrat mittlerweile von den Forschungsorganisationen und Hochschulen fordert, den tatsächlich weitverbreitet stattfindenden Wissenstransfer in die Gesellschaft künftig zu einem Kriterium bei Evaluationen zu machen – das gibt Anlass zur Hoffnung.

Die neue Unübersichtlichkeit

Tendenziell sind die Menschen, wir alle, durch das exponentiell wachsende Wissen überfordert. Niemand kann einen Überblick über alles haben: was ist heute Allgemeinbildung? Das Internet hat seine Mitschuld an dieser Wissensexplosion; es bietet scheinbar für jede Frage Lösungen oder Lösungsoptionen, aber in Form eines Dschungels. Es ergibt sich folgerichtig daraus eine Orientierungslosigkeit: Welches Wissen ist allgemeinverbindlich, welches nicht? Welches ist seriös, welches nicht? Und wer weiß, wie dieses Faktenwissen (reviewtes oder alternatives) gefunden, bewertet, eingeordnet oder in die richtigen Zusammenhänge gebracht wird?

Es gibt eine schleichende Erosion des Gemeinwesens und (mit ihr) der Wissenschaft durch die Digitale Revolution. Angesichts diffuser Zukunftsängste in der Gesellschaft versprechen Trump, AfD, May, Le Pen, dass alles wieder so wird, wie es früher auch nie war. Dass das nicht geht, wissen sie; das hindert sie nicht daran, die von ihren Wählern verlangten Vorurteile und Unwahrheiten auch auszusprechen. Für die Wissenschaft ist das natürlich kein Weg, sie muss hier sehen, wie dieser schleichende Vertrauensverlust aufzuhalten ist.

Das heißt in der Konsequenz, dass es in der Wissenschaftskommunikation um viel mehr gehen muss als lediglich die Erfindung neuer pfiffiger digitaler und durchaus guter Techniken mit correctivem Faktencheck.

Zuerst wäre zu untersuchen, wie eigentlich dieser subtile Erosionsprozess vor sich geht. Das technische Mittel nennt sich Vernetzung durch Social Media, aber damit hat man nur die virale Verbreitungsweise erklärt, nicht aber, wieso offen erkennbarer Unfug verbreitet Fuß fassen kann – Basis für Populismus. Wie also lässt sich erklären, dass Menschen, die ganz selbstverständlich das Handy zum Navigieren benutzen, gleichzeitig die Mondlandung leugnen? Überzeugungen und ihnen widersprechende Fakten in ein-und demselben Kopf: das geht offenbar. Hier hat das gesamte System der Wissenschaftskommunikation Bedarf an Nachhilfe, vor allem aus der empirischen Sozialforschung (soweit diese die neue Fragestellung schon auf dem Schirm hat).

Populismus: Push und Pull funktionieren noch, aber genau anders herum

Die allgemeine Ratlosigkeit rührt wohl daher, dass alle Diskutanten noch immer davon ausgehen, dass man lediglich ein besseres/neues Angebot ans Publikum machen muss, gern auch dialogisch (oder bidimensional), also mit der Einladung, mitdiskutieren zu können, mit Bürgerbeteiligung, Citizen Science und was noch alles.

So sinnvoll das alles ist: es scheint uns zu kurz gegriffen. Wenn man das Wort „Digitale Revolution“ in die Runde wirft, nicken alle verständig. Nur muss man das zu Ende denken: aus der Digitalen Revolution folgt ein grundlegend verändertes Informations- und Kommunikationsverhalten, aus diesem wiederum eine veränderte Meinungsbildung und daraus wieder eine neue Form der politischen Willensbildung. Das bisherige Bild ̶ die Parteien offerieren ein politisches Angebot (Programm) und werden deshalb gewählt ̶ ist überholt und muss umgedreht werden: die schweigende Mehrheit und die Nichtwähler offerieren eine politische Meinung (Angebot), für die sie eine politische Richtung suchen. Die Parteien lassen sich auf dieses Angebot ein (Nachfrage). So funktionieren Brexit, Trump, Bannon, AfD …. Die Politik der Neuen Rechten/Populisten basiert auf angewandter Demoskopie, Meinungsumfragen, auch netzgestützten. Die Populisten nehmen das „Nehmt uns als Wähler!“-Angebot an. Damit wird Demokratie untergraben, aber genau das ist das Ziel dieser Politik.

Der gleiche Prozess untergräbt auch das Vertrauen der Menschen auf die Wissenschaft. Skeptiker aller Art bieten ihre eigene Zweifel im Netz auf die gleiche Art an wie die Nichtwähler ihre Kritik am Establishment. Und so wie die Populisten das im politischen Raum aufnehmen, so gibt es Verschwörungstheoretiker, die Impfskeptikern, Flat Earthern und „Klima-Skeptikern“ einen Raum und eine Heimat anbieten. Im Zuge des March for Science und aller nachfolgenden Aktivitäten wurde überall hochgespült, dass man die festen Überzeugungen der Menschen nicht mit Logik und Argumenten verändert. Eine richtige Feststellung. Es ist zwar unangenehm, aber ein Faktum: Wenn Suchmaschinen beim Begriff „Impfen“ die Webseiten ideologischer Impfgegner gleich bei den ersten Adressvorschlägen vorschlagen, ist das ein reales Abbild der stattfindenden Information/Kommunikation im Web, auch wenn es von lernfähigen Algorithmen zusammengestellt wurde. So wird der Unfug viral: die Anfragenden stellen sich die Nachfrage auf ihr Angebot selbst zusammen, ganz vollautomatisch.

Einen Strick kann man nicht schieben.

Daraus folgt ganz unmittelbar für die Wissenschaftskommunikateure: das Publikum verlangt von uns Information/Aussagen zu – im schlimmsten Fall sogar unsinnigen – Inhalten, die es selbst vorgibt. Das kommunikative Problem ist also, diese Inhalte zu beantworten, gegebenfalls falsche Behauptungen richtig zu stellen, sich der unvermeidlichen Kritik („gekaufte Wissenschaft“) auszusetzen und zugleich klarzustellen, dass es neben diesen vorgegebenen Inhalten auch noch das gibt, was die Forschung eigentlich so faszinierend macht: die Entdeckung des Neuen mit all seinen Möglichkeiten. Marketing der eigenen Einrichtung und das Logo interessieren in diesem Zusammenhang überhaupt niemanden, auch wenn Institutsleitungen das nicht gern hören. War Marketing aus der Sicht des Publikums vorher schon eher lästig, so kann es jetzt direkt schädlich wirken, weil es sofort in einen Beweis für interessengeleitete Wissenschaft umgedeutet wird.

Wir müssen uns auf diese neue, umgepolte Kommunikationsstruktur, die mit ihr einhergehende Meinungsbildung und das daraus resultierende Handeln einstellen. Das wäre vielleicht ein Thema für eine nächste Tagung. Dass die Wissenschaft selbst als eine Teilmenge der Wissenschaftskommunikateure mit dabei sein sollte, versteht sich von selbst. Dafür kann man, muss man aber nicht unbedingt marschieren.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.

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