Was ist Wissenschaftskommunikation?

Auch eine Form der Wissenschaftskommunikation: Mit starken Lasern erforschen die Wissenschaftler superschwere Elemente. Bild: GSI
Auch eine Form der Wissenschaftskommunikation: Mit starken Lasern erforschen die Wissenschaftler superschwere Elemente. Bild: GSI

Im Augenspiegel-Blog schreibe ich oft über Wissenschaftskommunikation. Doch was das genau ist – darauf gibt es viele unterschiedliche Sichtweisen. Manche Menschen verstehen darunter die Öffentlichkeitsarbeit von Wissenschaftsorganisationen, andere nennen genau dies lieber Wissenschafts-PR. Manche denken bei Wissenschaftskommunikation eher an die Äußerungen von Forschenden, andere verstehen auch den Wissenschaftsjournalismus als Teil der Wissenschaftskommunikation. Andere wiederum finden den Begriff Wissenschaftskommunikation an sich nicht greifbar. Und dann gibt es ScienceHackDays, ScienceSlams, Tage der offenen Tür, Lange Nächte der Wissenschaft, ScienceTweetups, Spiele und Apps mit Wissenschaftsbezug, Wissenschafts-Wikis wie Teile der Wikipedia, Wissenschaftscomics, -blogs, -podcasts, -Snaps, -tweets, -meme, -witze etc. (von unterschiedlichsten Akteuren), interne Kommunikation von Wissenschaftsorganisationen, Science-to-Science-Kommunikation. Alles Wissenschaftskommunikation?

Ich möchte heute mal mein Verständnis des Begriffs Wissenschaftskommunikation aufschreiben. Um es vorweg zu nehmen: Für mich gehören alle die bisher genannte Elemente zur Wissenschaftskommunikation.

Ich verstehe unter Wissenschaftskommunikation alles, was zum Thema Wissenschaft kommuniziert wird: also Kommunikation über und an die Wissenschaft sowie von, mit und innerhalb der Wissenschaft.

Ich steuere hier keine kommunikationswissenschaftliche Sichtweise bei und erhebe insofern für meine Ausführungen keine wissenschaftlichen Ansprüche. Meine Perspektive ist die eines Praktikers, der seit zehn Jahren Wissenschaftskommunikation betreibt. Für den kommunikationswissenschaftlichen Blick auf die Wissenschaftskommunikation gibt ja es viele empfehlenswerte Bücher.

Mal konkret, was gehört demnach alles zur Wissenschaftskommunikation? Aus meiner Sicht:

  • Wissenschaftsjournalismus (Nachtrag Februar 2019: Zur spannenden Frage, ob der Wissenschaftsjournalismus nun zur Wissenschaftskommunikation zu rechnen sei oder nicht, ergab sich Anfang 2019 eine interessante Diskussion. Nach Lektüre der ganzen Argumente, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich den Wissenschaftsjournalismus nach wie vor hier subsumieren würde. Update Januar 2020: Mittlerweile habe ich meine Meinung hierzu geändert und würde den Wissenschaftsjournalismus nun nicht mehr unter der Begriffsdefinition Wissenschaftskommunikation fassen, weil die Abesendenden-Perspektive der Journalist_innen und die demokratische Funktion in der Gesellschaft sich zu stark von den (anderen?) Akteuren der Wissenschaftskommunikation unterscheidet.)
  • Öffentlichkeitsarbeit / Public Relations von Wissenschaftsorganisationen (Hochschulen, Forschungsinstitute) – ich nenne das institutionell-externe Wissenschaftskommunikation
  • interne Kommunikation von bzw. in Wissenschaftsorganisationen (im Sinne von Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Kommunikation)
  • WissenschaftlerInnen kommunizieren untereinander – ich nenne das interne Wissenschaftskommunikation
  • (über das Wissenschaftssystem hinaus) kommunizierende ForscherInnen
  • Interessierte/Bürger/Laien sprechen über Wissenschaft (Beispiel private Wissenschaftspodcasts und -blogs)

Wer gehört zu den Akteuren?

Und was sind die Inhalte?

  • Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik
  • Geisteswissenschaften
  • Bildung
  • Wissenschaftspolitik
  • Wissenschafts-Organisatorisches
  • Verwandte Themen: Open Science, Citizen Science, digitale Gesellschaft, …

Welche Foren gibt es?

Und was ist Wissenschaftskommunikation 2.0?

Mit dem PUSH-Memorandum (Public Understanding of Sciences and Humanities) bekam die Wissenschaftskommunikation 1999 neue Impulse. In den vergangenen zehn Jahren entwickelten sich neue Web-Technologien und Kommunikationstrends („Social Media“). Ende 2005 wurde der Begriff „Web 2.0“ geboren. Und auch die Wissenschaftskommunikation nutzt seit einigen Jahren Soziale Netzwerke, Wikis, Blogs, Podcasts, Comics etc. Zusammen mit dem Partizipations- und Dialoggedanken, der diesen Trends zueigen ist, entwickelte sich PUSH zu PENSH: Public Engagement in Sciences and Humanities. Insofern verstehe ich Wissenschaftskommunikation 2.0 als die Wissenschaftskommunikation, die genau diese Kommunikationsformen nutzt.

Wissenschaftskommunikation 2.0 ist auch mein Tätigkeitsfeld. Ich verlinke hier mal einige weiterführenden Quellen dazu: Unsere Kanäle, unsere allgemeine Kommunikationsstrategie und unsere Social Media-Kommunikationsstrategie, einige Interviews zu meiner Arbeit und eine Zusammenfassung in einem Video. Genaueres zum Thema Wissenschaftskommunikation 2.0 habe ich mal in einem knapp einstündigen Audio-Podcast erzählt.

Die richtigen Wörter

PR? Kommunikation? Öffentlichkeitsarbeit? – Ich hatte es oben schon angedeutet: Was ich als institutionell-externe Wissenschaftskommunikation bezeichne (und was auch mein Tätigkeitsfeld ist), das nennen manche schlicht Wissenschaftskommunikation, andere auf keinen Fall, wiederum andere Wissenschafts-PR. Ich möchte hier kurz ausführen, warum ich die kompliziertere Form bevorzuge.

Mein Sprachempfinden grenzt die Begriffe Wissenschaftskommunikation und Wissenschafts-PR insbesondere dadurch ab, dass “PR” im Deutschen eher Werbungs- und Marketing-Aspekte beinhaltet als “-kommunikation”, die den Schwerpunkt eher auf Öffentlichkeitsarbeit und Information legt. Erstaunlicherweise ist dieser Unterschied meinem Sprachempfinden nach in der Langform “Public Relations” statt “PR” nicht so stark konnotiert. Die Wissenschaftskommunikation kommuniziert nach meinem Sprachempfinden (dialogisch) über Wissenschaft: Sie informiert, unterhält, macht Öffentlichkeitsarbeit. Im Gegensatz zur PR macht sie aber keine Werbung und kein Marketing, schaltet keine Anzeigen. Sie hat es auch nicht nötig zu überreden, sie will überzeugen – mindestens aber in einen Diskurs eintreten.

Der Begriff “public relations” ist zwar im eigentlichen Wortsinn sehr nah dran an „Öffentlichkeitsarbeit“, ist aber nach meinem Sprachempfinden bei der Mehrheit der deutschen SprachnutzerInnen mit Werbe- und Marketingaspekten konnotiert – insbesondere im Deutschen in der abgekürzten Form „PR“. Insofern ist aus meiner Sicht “Öffentlichkeitsarbeit” (die wiederum die interne Kommunikation nicht umfasst) oder alternativ “institutionelle Wissenschaftskommunikation” die beste Bezeichnung für mein Tätigkeitsfeld – in meinen Selbstverständnis.

Wobei ich da bisher auch nur über die externe Wissenschaftskommunikation gesprochen habe, die sich nach draußen wendet. Die interne Wissenschaftskommunikation, die ForscherInnen untereinander im Wissenschaftssystem betreiben, bildet natürlich auch einen großen Teil der gesamten Wissenschaftskommunikation – was wiederum zu einer Ungenauigkeit des Begriffs bzw. seines Verständnisses führt. Daher finde ich „Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Wissenschaft“ (wenn die interne Kommunikation nicht mitgemeint ist) oder auch „institutionell-externe Wissenschaftskommunikation“ die beste Beschreibung meiner Tätigkeit, auch wenn es viel mehr Buchstaben hat als „Wissenschafts-PR“.

Letzter Punkt: Bei „Öffentlichkeitsarbeit“ und „Wissenschaftskommunikation“ kommt nach meinem Sprachempfinden auch viel mehr das Selbstverständnis rüber, dass wir als öffentlich finanzierte Einrichtungen eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft zur Information und zum Dialog mit der Öffentlichkeit haben. Das sehe ich beim Begriff PR überhaupt nicht. PR beinhaltet nicht die interne Kommunikation, die auch zum Portfolio der Kommunikationsabteilungen (der Begriff „Pressestellen“ klingt für mich immer so nach Ärmelschonern, Umlaufmappen und Telexgeräten) von Wissenschaftsorganisationen gehört. Auch hier finde ich institutionelle Wissenschaftskommunikation viel passender. Der Begriff ist damit auch klar vom Wissenschaftsjournalismus abgegrenzt. (Die letzten Absätze sind ein aktualisiertes Eigenplagiat aus dieser Diskussion.)

Der „Sommer der Wissenschaftskommunikation“

Im Sommer 2014 stellte die Arbeitsgruppe „Wissenschaft Öffentlichkeit Medien“ der Akademien ihr Ergebnis vor. Diese wurden daraufhin weit im Netz diskutiert. Eine ganz schön lange Linkliste hat Markus Anhäuser gesammelt. Auch der Siggener Kreis stellte sein erstes Papier zur Diskussion. Und die Volkwagen-Stiftung begann eine Reihe von Workshops zum Thema Wissenschaftskommunikation. Bisheriger Höhepunkt war ein Artikel auf Spiegel Online im Februar 2015 mit den entsprechenden NetzReaktionen. Aktuell arbeitet das Nachfolge-Projekt der Akademienarbeitsgruppe (WÖM2). Kommenden Freitag, den 18. März 2016 gibt es einen Zwischenbericht, der auch per Livestream übertragen wird. Ich werde dort eine kurzen Kommentar auf die Expertise von Henning Lobin abgeben. Im Zuge der Vorbereitung darauf, ist mir nochmal bewusst geworden, dass ich gerne mal meine Sichtweise der Wissenschaftskommunikation aufschreiben würde. Daher dieser Blogbeitrag zu dieser Zeit.

„Die Zukunft der Wissenschaftskommunikation“ …

… ist ein lesenswertes Papier von Norbert Lossau betitelt, das die Konrad Adenauer Stiftung in dieser Woche veröffentlichte. Darin geht es insbesondere auch um die Rolle des Wissenschaftsjournalimus, den ich in diesem Artikel nur sehr stiefmütterlich behandele. Daher eine unbedingte Leseempfehlung. Gleichzeitig finde ich an dem zwölfseitigen Papier eine Dinge kommentierenswürdig. Da dies auf der KAS-Webseite leider nicht geht, schreibe ich meine Kommentare hier auf.

  • Auf Seite 3 unten nennt Norbert Lossau als eine Akteursgruppe der Wissenschaftskommunikation „Bürger (in der Regel nur als Empfänger)“. Im Web 2.0 treten Bürger mit Wissenschaftsblogs und -podcasts, mit Youtube-Videos zum Thema Wissenschaft und anderen Social Media-Inhalten nun auch vermehrt als Absender auf.
  • Auf Seite 4 oben schreibt Lossau: „Die Medien sind Dienstleister für ihre Leser, Hörer, Zuschauer und Nutzer.“ Im Facebook-Kontext heißt es oft: „When you are not paying for it, you are not the customer, but the product.“ Und da viele Medien (abgesehen vom Öffentlich-rechtlichen Rundfunk und vielleicht noch der taz) den Großteil ihrer Einnahmen aus Werbeerlösen generieren, müsste man an dieser Stelle nachfragen, zu wie viel Prozent der Leser Kunde und zu wie viel Prozent er Produkt ist. Insofern würde ich in Lossaus Aufzählung an prominenter Stelle auch die Werbetreibenden ergänzen.
  • Auf Seite 6 oben schreibt Norbert Lossau über den Boom der Wissenschaftskommunikation: „Zudem ermöglichen das Internet und soziale Netzwerke wie Facebook oder Kurznachrichtendienst Twitter eine direkte Verbreitung von Wissenschaftsnachrichten“. Das ist sicher richtig, der springende Punkt und eine signifikante Neuerung gegenüber der offline-Wissenschaftskommunikation und auch im Gegensatz zum Web 1.0 ist aus meiner Sicht aber, dass Social Media einen nachhaltigen Dialog mit den Menschen und allen Anspruchsgruppen ermöglicht.
  • Auf Seite 8 schreibt Lossau über die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Dies ist sicher ein zentrales Merkmal des Journalismus im Vergleich zu anderen Akteuren der Wissenschaftskommunikation. Auf der anderen Seite merken auch Medienkonsumenten, wenn JournalistInnen Fehler machen. Und auch Projekte ohne professionelle, bezahlte Redaktion wie etwa die Wikipedia haben sich mittlerweile bei vielen Menschen eine hohe Glaubwürdigkeit erarbeitet. Sicher: Auch hier gibt es Fehler. Weil es die aber überall gibt, ist Medienkompetenz und eine kritische Sichtweise auf alle Quellen so wichtig.
  • Auf Seite 11 schreibt Norbert Lossau: „Gibt es Strategien, die eine Umverteilung in der Wissenschaftskommunikation ermöglichen, so dass die Zahl der Wissenschaftsjournalisten relativ zur Zahl der PR- und Pressearbeiter steigt? Daran müssten beide Seiten ein Interesse haben, denn Medien beliefernde Pressestellenmitarbeiter wären überflüssig, wenn es auf der anderen Seite keine Abnehmer mehr für ihre Angebote gäbe.“ Ich sehe einen solchen Vorschlag sehr kritisch. Zwar wünschen sich auch wir Öffentlichkeitsarbeiter einen unabhängigen (soweit dies bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Kapitalismus möglich ist) und kritischen Wissenschaftsjournalismus. Ich sehe aber nicht, wie die Kommunikationsabteilungen durch eine MitarbeiterInnen-Reduktion die Geschäftsmodell-Probleme der Verlage lösen können. Außerdem sind die Kommunikationsabteilungen eben auch keine reinen Pressestellen mehr, die nur den Medien und JournalistInnen zuarbeiten. Sie haben in den vergangen Jahren viele weitere Aufgaben übernommen (Online, Social Media, Events, interne Kommunikation, Videoproduktion), die eben auch der Information der Bevölkerung und dem Dialog mit allen Interessierten dienen. Und diese kommunikative Bringschuld der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft müssen wir aus meiner Sicht erfüllen, anstatt den Stellenaufwuchs an dieser Stelle gegen die veränderte Anzahl von Wissenschaftsjournalisten aufzurechnen.
  • Wenn über die wirtschaftlichen Probleme des Wissenschaftsjournalismus diskutiert wird (ich habe auch keine Lösung), dann sollte man aus meiner Sicht auch eine weitere offene Frage auf den Tisch legen: Wir beobachten Wissenschaftsblogs und Wissenschaftspodcasts von privaten Enthusiasten sowie Wissen(schaft)syoutuber etc., die auch zur Wissenschaftskommunikation beitragen – manchmal auch Bürgerjournalismus genannt. Ich finde man sollte auch hier die Frage nach einer öffentlichen Förderung solcher Projekte stellen. Wie wäre es angesichts sich weiterentwickelnder Kommunikationstechnologien und -trends mal darüber nachzudenken, solche Kommunikatoren mit öffentlichen Geldern zu unterstützen?

Bitte um Feedback

Ich würde mich über Kommentare hierzu freuen: Widerspruch, Ergänzungen, Fragen, andere Perspektiven, etc. Vielen Dank!

Update 3. März 2017: Mike S. Schäfer plädiert in seinem aktuellen Blogbeitrag ebenfalls für eine sehr umfassende Definition des Begriffs Wissenschaftskommunikation.

Leser:innenkommentare (6)

  1. Lisa Leander

    Hallo Henning,
    ich benutze die Begriffe Öffentlichkeitsarbeit oder Wissenschafts-PR ganz bewusst, gerade weil Wissenschaftskommunikation so ein weit gefasster Begriff ist, der z.B. auch den Wissenschaftsjournalismus miteinschließt. Bei PR besteht zwar das Problem, dass manche in Richtung Marketing denken. Doch solche Assoziationen sind ja nicht in Stein gehauen, statt den Ausdruck zu vermeiden, sollte man ihn lieber öfter im entsprechenden Zusammenhang verwenden und das Bild ein wenig zurechtrücken.
    Deine Kommentare zum Papier von Herrn Lossau finde ich gut, da stimme ich an vielen Stellen zu!

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