Forscher sollten sich mehr in öffentliche Debatten einmischen – und die Gesellschaft ihnen zuhören, fordert der Chef der Helmholtz-Gemeinschaft Jürgen Mlynek.
Die neue rot-grüne Regierung in Niedersachsen hat sich viel vorgenommen: Sie will die Bildungspolitik zum Schwerpunktthema machen, Niedersachsen soll einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten, und die Bürger sollen stärker beteiligt werden, um mit ihnen gemeinsam die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern. Große Ankündigungen, bei denen ein Detail vielleicht untergegangen ist: Laut Koalitionsvertrag will die neue Regierung zusammen mit der Landwirtschaft alles versuchen, um das Bundesland komplett gentechnikfrei zu halten. Alle Fördermittel in diesem Bereich will sie streichen. Dabei gibt es in Deutschland kaum kommerziellen Anbau, sondern nur einige Versuchsfelder. Dass zudem ein wichtiges Modellprojekt, das seit einigen Jahren Schülern biotechnisches Fachwissen vermittelt und so die Bewertungskompetenz zu diesem Thema fördert, beendet werden soll, komplettiert das Bild.
Denn unabhängig von der Frage, ob sich ein Forschungsansatz am Ende als sinnvoll erweist oder nicht: Immer öfter beobachte ich, wie einzelne Politiker, Interessengruppen oder manchmal eben auch ganze Regierungen kritische Themen zu gesellschaftlichen Tabuzonen erklären. Damit nicht genug. Bei mancher neuen Technik wollen sie der Öffentlichkeit ihre ablehnende Sichtweise aufdrängen, ohne vorher hinreichend mit der Wissenschaft über deren Sinn diskutiert zu haben. Ich sehe die Gefahr, dass dabei die öffentliche Meinungsbildung auf der Strecke bleibt. Die Bevölkerung wird gar nicht erst korrekt und umfassend informiert. So kann sie sich kein fundiertes, auf Fakten basiertes Urteil zu diesem gesellschaftlich viel beachteten Thema bilden.
Chancen und Risiken neuer Technik
Dabei verfügen nur Wissenschaftler über die nötigen Informationen, die die Gesellschaft braucht, um die Gefahren und den Nutzen neuer Technik abzuschätzen. Etwa beim Fracking, dieser umstrittenen Methode zur Erdgasgewinnung. Die Forscher sollten bei diesem Thema in der öffentlichen Debatte endlich den Raum bekommen, der ihnen zusteht. Dann erführen die Bürger zum Beispiel, dass es gar nicht so sehr um die Frage geht: Fracking ja oder nein?, sondern nur um das Wie. Die Menschen würden lernen, dass sich die Gefahr, das Grundwasser zu verschmutzen, durch die Wahl des Standortes bei der Förderung möglicherweise umgehen ließe. Sie würden aber auch erfahren, dass eines der größten Risiken dieses Verfahrens das oberirdische Abwasser darstellt, das Schwermetalle oder radioaktive Stoffe aus tiefen Gesteinsschichten enthalten kann.
Ohne ausreichendes Wissen kann es kein angemessenes Handeln geben. Falls dieser Satz richtig ist, heißt das im Umkehrschluss: Wir können über den Einsatz einer umstrittenen Technik wie Fracking nur dann entscheiden, wenn Chancen und Risiken ausreichend bekannt sind. Dazu sind Probebohrungen erforderlich. Aber selbst diese sind angesichts der Proteste in der Bevölkerung kaum möglich.
Der Widerstand ergibt sich fast zwangsläufig, weil die Angebote zur Meinungsbildung einseitig sind. Das ist leider auch bei vielen anderen Forschungsprojekten zu beobachten. Ein Beispiel ist die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, englisch CCS abgekürzt, die einst als Klimaschutz-Technik galt. Mit diesem Verfahren ließe sich ein relevanter Teil der Emissionen des CO2 unterirdisch speichern, das maßgeblich zur Erderwärmung beiträgt. Die Akzeptanz der Bürger für dieses Verfahren geht gegen null, weil sie Gefahren für die Umwelt fürchten.
Doch wie groß sind diese wirklich? Umweltwissenschaftler könnten und sollten über dieses Verfahren aufklären und für mehr Transparenz über den möglichen Einsatz dieser Technik sorgen.
Als Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft habe ich täglich mit kompetenten und engagierten Wissenschaftlern zu tun. Sie sind es, die mit Hilfe ihrer Forschung, sei es zu Fracking, zur Energiewende oder zu neuen Therapien gegen wichtige Volkskrankheiten, zuverlässige Aussagen über Sinn und Unsinn neuer Techniken und Konzepte treffen können.
Manchmal frage ich mich, warum wir zu wenig von den Experten hören. Warum ist ihre Stimme so oft leiser als die derjenigen, die jede weitere Forschung ablehnen? Meine Antwort: Weil die Öffentlichkeit häufig schon den, der für die ergebnisoffene Betrachtung einer neuen Technik plädiert, für voreingenommen hält. Viele Forscher fürchten, in diese Ecke gedrängt zu werden. So schweigen sie lieber, ziehen sich in ihren Elfenbeinturm zurück und schotten sich von ihrer Umwelt ab.
Wissenschaftlich begründete Argumente sind eben oft komplex und liefern nicht schlicht ein Ja oder Nein; sie erfordern Beschäftigung und Auseinandersetzung, was nicht bequem ist.
Recht und Pflicht der Forscher
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite: Wir Forscher kreisen allzu oft um uns selbst. Für uns ist es häufig wichtiger, sich im Kreis der Kollegen einen Namen zu machen, geschätzt und ausgezeichnet zu werden. So führen Druck von außen und das Streben nach Anerkennung in der Forschergemeinde gelegentlich zu einer Passivität in der öffentlichen Debatte, die an Mutlosigkeit grenzt.
Spätestens die Diskussionen über Fracking zeigen: Das muss sich dringend ändern. Wir brauchen Forscher, die aktiv die Debatte mit der Gesellschaft suchen, keine Tabuthemen fürchten und ihrer Funktion aufzuklären gerecht werden. Die Wissenschaft kann selbstbewusst sein – wann, wenn nicht heute, hat sie allen Grund dazu? Deutschland leistet Großartiges in der Forschung, investiert in so viel wie nie zuvor, ist global hoch angesehen.
Unsere Wissenschaftler müssen über ihre Forschung reden, diskutieren, Debatten anstoßen und der Gesellschaft selbst überlassen, welche Meinung sie entwickelt. Fern von Konventionen jeglicher Art haben Vertreter der wissenschaftlichen Zunft das Recht und die Pflicht, ihre Ergebnisse transparent zu machen, über Vorgänge in der Forschung zu informieren und gegen voreilige Schlüsse zu kämpfen.
Forschung darf nicht ständig Gegenstand von Volksentscheiden sein. Doch die Herausforderungen unserer Zeit können wir nur gemeinsam mit einer kritischen Gesellschaft angehen. Sie muss die Wissenschaft früh in den Meinungsbildungsprozess einbeziehen.
Womöglich kommen wir eines Tages zu dem Ergebnis, kontroverse Verfahren wie wissenschaftlich fundiertes Fracking, CCS oder Gentechnik würden zu viele Risiken in sich bergen. Vielleicht werden wir aber auch herausfinden, dass ihr Einsatz eher sinnvoll und nutzbringend ist. Dann wird die Politik entscheiden müssen, was zu tun oder zu lassen ist. Doch bis es so weit ist, bedarf es vieler offener Diskussionen. Denn nur dann gilt sie, diese unverzichtbare Maxime einer aufgeklärten Gesellschaft: vom Wissen zum Handeln.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Essay von Helmholtz-Präsident Jürgen Mlynek, der am 28. März 2013 im New Scientist erschien. Für Ihre Anmerkungen nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion.
tauss
Mlyenks Worte erinnern mich etwas an meine letzten Ausführungen im Helmholtz-Senat 2009 vor meinem Ausscheiden aus dem Bundestag.
Anregungen, für einen solchen Dialog Strukturen einzurichten, wurden aber leider bis heute (!) nicht aufgegriffen.
Eines der Probleme sind die unterschiedlichen Kulturen in Forschung und Politik. In letzterer ist oft die Spirale der Weg zum Ziel, was in der wissenschaftlichen Arbeit natürlich ein Gräuel ist.
Umgekehrt vermittelt Wissenschaft noch zu oft den Eindruck, ohne Werte zu agieren. Unterstellt wird die Richtigkeit des alten Witzes, wonach ein Ingenieur beauftragt wird, einen elektrischen Stuhl zu konstruieren und dieser antwortet: Gerne- darf es Gleichstrom oder Wechselstrom sein?
Und natürlich gibt es nicht „die“ Wissenschaft, so wenig es „die“ Politik gibt. Um es beim Thema „Fracking“ zu erläutern: Warnende Stimmen dagegen kommen ja AUCH gerade von Wissenschaftlern.
Mit einer Forschungs – und Technikfolgenabschätzung, die den Namen verdient, könnte übrigens ein wesentlicher Beitrag für eine verbesserte Debattenkultur entstehen.
Mit einem Bastawort an „die“ Gesellschaft, wie es Mlynek leider auch an den Anfang seiner Betrachtungen stellt (hört uns mal zu — und haltet die Klappe), wird allerdings nichts bewirkt.
Da täte bezüglich früherer eigener Irrtümer mehr Selbstkritik auch an die eigene Adresse gut. Ein Beispiel? Gerne! Die Asse in langjähriger Verantwortung einer Helmholtz- Einrichtung.
Jörg Tauss
MdB und Forschungspolitiker 1994 – 2009