Verborgene Schönheit im Schatten der Sonne

Arbeiten in der Polarnacht (Foto: Lukas Weis)

Die Polarnacht hat die Station fest im Griff. Seit mehreren Wochen vermag kein Sonnenstrahl mehr die Station zu erwärmen, bis auf einige Stunden Dämmerung um die Mittagszeit bleibt es dunkel.

Die Eiskristalle an den Fensteraußenseiten tauen nicht mehr auf, und aus der Distanz wirkt die Station wie ein Raumschiff – gelandet in einer fernen Galaxie auf einem lebensfeindlichen Planeten, fernab jeglicher Zivilisation.

Und die Bewohner:innen, das sind wir. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Menschen, die sich zwar in ihren Fachbereichen stark unterscheiden, jedoch alle das Abenteuergen und einen Funken Verrücktheit in sich tragen.
Eine intrinsisch motivierte Gruppe, in der längst jegliche Hemmungen abgefallen sind und sich die einzelnen Mitglieder viel zu gut kennen.

Mondhalo mit Nebenmonden vom Stationsdach (Foto: Lukas Weis)

Hier, am Ende aller Dinge, scheint sogar die Zeit eingefroren zu sein und wie ein erstarrter, gutmütiger Riese schnarcht und gluckert die Station leise vor sich hin, schützt uns vor den extremen Witterungseinflüssen und bietet uns Komfort, der uns das Ingenieurshandwerk loben lässt.
Gelegentlich tauchen wunderschöne Polarlichter die Szenerie in eine tanzende, schimmernde Welt und lassen uns gebannt in klirrender Kälte in den Himmel blicken, in stilles Staunen versetzt.

Milchstraße über der Pinguinkolonie in der Atkabucht (Foto: Lukas Weis)

Hier zu sein fühlt sich erneut surreal an, ähnlich wie zu Beginn unseres Einsatzes. Stürme fegen regelmäßig mit grotesker Gewalt über die Station, sodass die ganze Station mit der Resonanz des Sturms wippt und uns behutsam in den Schlaf wiegt. Die Temperaturen sind ab und an so niedrig, dass die Nasenhaare draußen innerhalb von Sekunden empfindlich einfrieren. Bei längeren Einsätzen draußen wird jede kleinste Stelle Haut sorgsam vor Wind und Kälte geschützt, schließlich will man keine Frostbeule gesund pflegen wollen.

Raureif am Schneemobil (Foto: Thomas Schenk)

Die Gespräche wurden weniger und es scheint mir – auch etwas leiser. Wir alle benötigen mehr Schlaf und alles ist ein Tick anstrengender, die Sinne abgestumpft – ganz automatisch schaltet der Körper in einen anderen Modus.
Doch wir halten die Stellung, erledigen unsere Aufträge nach bestem Wissen und Gewissen und mit größter Sorgfalt.

Arbeiten in der Polarnacht (Foto: Lukas Weis)

Wir meistern Tag für Tag, halten an Traditionen und gemeinsamen Aktivitäten fest, halten uns fit und wach, unterstützen uns. Denn wir alle wissen, bald schon, bald, streicht die Sonne wieder über die Horizontlinie und taucht die Station auf ein Neues in ihr goldenes Licht.

Himmelsspektakel über der Station (Foto: Johanna Brehmer-Moltmann)

Hier sein zu dürfen, ist ein Privileg. Ein Privileg, das mitunter auch mit harter Arbeit unter schwierigsten wettertechnischen Bedingungen verbunden ist. Und doch gibt es keinen von uns, der diese außergewöhnliche Erfahrung hergeben möchte; viel zu stark die Anziehung zu diesem von brachialer Schönheit geprägtem Teil unserer Erde und den damit verbundenen Herausforderungen.

T.S, 30.06.2025

Leser:innenkommentare (3)

  1. Reiner Gerke

    Ich kann gar nicht sagen, was mich an Deinem Bericht am meisten berührt. Natürlich die Fotos. Wer hat schon Gelegenheit, die Milchstraße zu sehen (in München gibt es auch eine) oder die Polarlichter, das diffuse Licht. Aber die Eindrücke, die Stimmung, das Leben während der Polarnacht. Die Gespräche werden weniger und leiser, man könnte meinen, dass das Leben auch so langsam einfriert. Klar, man erledigt pflichtbewusst seine Aufträge. Natürlich ist das Team auch immer präsent, aber tief im Inneren warten alle auf den Tag, an dem die Sonne wieder den Horizont durchbricht. Dass muss wie Frühling sein, wenn innerhalb von ein paar Tagen alle Dämme brechen.
    Vielen Dank, Thomas, für Deine Mitnahme in Eure Welt

  2. Wolfram Hagen

    ihr seid ein tolles Team und macht wertvolle Arbeit.

  3. Elmar Lauterborn

    Ja es ist nicht nur ein Privileg, sonder eine privilegierte Aufgabe dort Forschung zu betreiben, um noch mehr Verständnis und Wissen über viele komplexe Themen zu erlangen.

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