Das Leben des Stationsingenieurs

Auf dem Meereis, Sommersaison (Foto: Lukas Weis)

Zwischen den Blockheizkraftwerken mit ihren stetig brummenden Motoren, den Ventilen und Klappen des Heizungssystems, den endlos verwinkelten Verrohrungen, den Abgaswärmetauschern, den Druck- und Ausgleichsgefäßen, den Förder-, Druck- und Saugpumpen, der Schneeschmelze, der Mineralisierung, der UV-Entkeimung, den Sanitärleitungen und -installationen jeglicher Größe und Art, der liebevoll auf den Namen Bernd getauften Abwasseraufbereitungsanlage, der Stationshydraulik mit all ihren Sensoren und Zylindern und dem süßlichen Geruch des Silikonöls, dem Warenaufzug, den Windkraftanlagen und Solarpanels, der Brandmeldeanlage, der Flotte an Skidoos und Pistenbullys mit verschiedensten Aufbauten und den aufgerüsteten Hilux Arctic Trucks, dem Grobstofffilter und der Dekantierzentrifuge, dem Heizgebläse und den Befeuchtungsanlagen, den Klimazellen mit Fußbodenheizung, den teils ramponierten Schlitten, den Containertanks, dem Schneefräsen, den Müllpressen und Schreddern bis zum Kombisteamer in der Küche, den Waschmaschinen und dem defekten Föhn – zwischen all diesen Dingen und Systemen sitzt ein müder Stationsingenieur, blättert in Wartungs- und Reparaturanleitungen, versucht, zu rekonstruieren, wie das Gesamtsystem über die Jahre gewachsen ist, und welche Geräte und Anlagen miteinander verknüpft sind.

Zu viele Systeme, um sie alle auf Anhieb reparieren zu können, zu viele Variablen, um für jeden Schadensfall adhoc ein passendes Ersatzteil zur Hand zu haben. Material und Maschinen leiden unter den extremen Temperaturschwankungen, was sich in kältebedingten Teil- und Komplettausfällen widerspiegelt. Weil Kunststoff nun mal spröde wird bei minus 30 Grad Celsius und auch Stahl irgendwann sagt: Nö – keine Lust mehr.

Man weiß nie, was der Tag bringt. Oft ist es ruhig, die Systeme laufen ordnungsgemäß, und man kann sich der regulären Wartung oder weniger dringlichen Aufgaben widmen – oder denen, die man für stürmische Tage beiseitegelegt hat. Und dann gibt es Tage, die mitten in der Nacht mit einem Alarm beginnen, der einen aus dem Bett schnellen lässt. Dann steht man da, morgens um halb vier, schlaftrunken, in Unterhosen und Badeschlappen, und duscht unfreiwillig, während man verzweifelt das zugehörige Absperrventil für eine geborstene Leitung sucht.

Nach jedem Sturm müssen Unmengen Schnee verschoben werden (Foto: Thomas Schenk)
Kette neu aufziehen bei -27 Grad Celsius (Foto: Thomas Schenk)

Rückblickend sind es genau diese Nächte, die in Erinnerung bleiben. Mit der geballten Hilfe der Elektroingenieurin und des IT-Spezialisten / Funkers konnte bisher jede Fehlermeldung behoben und jedes System wieder in Gang gebracht werden. Notfalls werden Hydraulikverschraubungen mit Wasserarmaturen verschweißt, um anschließend ein konisches Gewinde mit viel Dichtmasse auf eine Flachdichtung zu verpressen – weil es anders nicht geht. Der nächste Baumarkt ist nun mal einige tausend Kilometer entfernt. In dieser Station sind Einfallsreichtum und schnelle Auffassungsgabe gefragt, um Systeme in Windeseile zu verstehen und im Notfall am richtigen Hebel, Knopf oder Handrad zu ziehen oder zu drehen, um eine Havarie oder größere Schäden zu verhindern.

Wir ergänzen uns gut: Während meine Kernkompetenzen bei den Blockheizkraftwerken, Fahrzeugen und der Metallbearbeitung liegen und ich mich nicht scheue, die große Trennscheibe in die Hand zu nehmen, navigiert sich Regine mühelos durch Hochspannungsanlagen, Frequenzumformer und den ganzen Kabelsalat, den ich lieber mit sicherem Abstand umgehe. Und wenn die Systeme nicht mehr miteinander kommunizieren, ist Alex zur Stelle.

Anderen beim Arbeiten zugucken kann ich gut (Foto: Thomas Schenk)

Nach der Arbeit rieche ich nach Öl, Holz, Diesel oder Kerosin und falle müde, aber zufrieden in mein Bett – das ebenfalls schon repariert werden musste.
Es gibt Tage, die sind ziemlich anstrengend, und einige Systeme haben ein hohes Frustrationspotenzial. Und doch es ist ein absolutes Privileg, an so vielen verschiedenen Systemen an einem so einzigartigen Ort arbeiten zu dürfen.
Und abseits der Arbeit? Während die rund 3,5-monatige Sommersaison gefühlt nur aus Arbeit bestand und mich das unaufhörliche Gewusel und Geplapper der Menschen (mit Ausnahmen ;)) irgendwann genervt hat, bleibt im Winter mehr Zeit für Privates.

Für mich bedeutet das: Sport, Zeit draußen (mein Schneebiwak ist leider immer noch nicht fertiggestellt), lesen und schreiben, in den Werkstätten die schönen Holzplatten zersägen oder mit den anderen Überwinterer:innen an der Bar sitzen und uns gegenseitig die neusten Flachwitze erzählen. Zudem eignet sich der Winter hervorragend, um über die eigene Zukunft nachzudenken.
Abgekapselt zu sein von allem, was einem lieb und teuer ist, getrennt von den Menschen und Dingen, die einen jahrelang geprägt haben, ist nicht einfach. Manchmal fühle ich mich ganz schön nackt und wurzellos. Doch ich nehme diesen Umstand als Chance, mich neu auszurichten, abseits von Ablenkungen und dem Einfluss anderer.

Abholung defekter Skidoo, Sommersaison (Foto: Thomas Schenk)

Ich lerne hier viel. Über Windkraftanlagen, Aufzüge, den richtigen pH-Wert für Fäkalienwasser – und auch über mich selbst.
Dieser Ort verzaubert mich. Auch wenn ich mir manchmal wie im Innern einer Schneekugel vorkomme – ich bin hier glücklich, ich bleibe noch ein bisschen.

Meine Schneehöhle muss noch wachsen (Foto: Thomas Schenk)

Leser:innenkommentare (3)

  1. Reiner Gerke

    Wie das Leben abseits der Welt so spielt. Ein schöner und umfassender Bericht, der uns zuhause einen Einblick in das Leben in der Abgeschiedenheit einer Forschungsstation in der Antarktis gewährt. Wir haben alle schon mal einen Reifen bei 0° gewechselt und haben erbärmlich gefroren. Aber Kettenreparatur bei -30° ist ja eine ganz andere Nummer. Vielen Dank für den interessanten Blog aus dem Münchener Umfeld, wo es seit einer Ewigkeit endlich noch mal geregnet hat, eine ganze Nacht. Aber es soll ja noch mehr Wasser kommen.
    Herzliche Grüße an alle Üwis
    Reiner Gerke

    1. Thomas Schenk

      Hallo Reiner,

      Dankeschön!
      Zum Glück herrscht hier eine trockene Kälte, das macht aus meiner Sicht einen grossen Unterschied. Wir haben gute Kleidung, die hält uns schön warm. Einzig etwas hinderlich, dass nur mit Handschuhen gearbeitet werden kann, was filigrane Arbeiten draussen in die Länge zieht. Denn Metall lässt sich bei diesen Temperaturen nicht mehr mit „nackten“ Fingern berühren.

      P.S: Regen vermisse ich persönlich doch etwas, das hätte ich nicht gedacht.

      Viele Freundliche Grüsse nach München vom ÜWI Team, Tom

  2. Uwe Heinze

    Ein toller Bericht über das Stationsleben Thomas! Vielen Dank, auch für die sehr persönlichen Einblicke. Liebe Grüße an Regine und an das ganze ÜWi Team.

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