Rückblick auf über 45 Jahre Überwinterungen auf deutschen Antarktisstationen

Erste Überwinterung an der Georg-von-Neumayer-Station mit Wissenschaftlern im Jahr 1982.

Der Wert wissenschaftlicher Langzeitbeobachtungen an abgelegenen Orten

Ein Gastbeitrag von Steven Franke, Jölund Asseng, Tim Heitland, Alfons Eckstaller.

In diesem Jahr übernimmt das 43. Überwinterungsteam die Arbeit auf der Neumayer-Station-III in der Antarktis. Es wird die seit mehreren Jahrzehnten laufenden wissenschaftlichen Messungen fortführen, damit wichtige Erkenntnisse über den Zustand und die Aktivität unseres Planeten liefern und die dazu notwendige logistische und Forschungsinfrastruktur sicherstellen. Durch die bereits einige Jahre früher aufgenommene Observatoriums- und Forschungsarbeit an der DDR Georg-Forster-Station (1976-1992) werden damit sogar bereits seit 47 Jahren Langzeitmessungen von Überwinternden auf deutschen Antarktisstationen durchgeführt.

Zwischen 1976 und 1991 überwinterten 100 Personen auf der Georg-Forster-Station und seit 1981 über 370 auf den drei Generationen der Neumayer-Station. Sie stellen dadurch eine der Säulen, die die deutsche Antarktisforschung und Langzeitbeobachtungen unter diesen ebenso schwierigen wie einzigartigen Bedingungen erst ermöglichen. Ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema wurde diesen Winter in der Zeitschrift Polarforschung veröffentlicht: https://doi.org/10.5194/polf-90-65-2022.

Die deutsche Antarktisforschung wurde über Jahrhunderte von vielen Schlüsselfiguren geprägt. Stellvertretend erwähnt seien hier Reinhold Forster und sein Sohn Georg, die auf der Reise mit James Cook als erste Deutsche 1775 die antarktische Insel Südgeorgien besuchten, Georg von Neumayer, der sich seit den 1850er Jahren für die Entsendung einer Expedition ins Südpolarmeer einsetzte und 1882-1883 das Internationale Polarjahr mit organisierte. Aber auch die deutschen antarktischen Schiffsexpeditionen von Erich von Drygalski (1901-1903) und Wilhelm Filchner (1911-1912). Nach dem zweiten Weltkrieg entstanden neue Anknüpfungspunkte der Antarktisforschung mit deutscher Beteiligung ab 1959 durch Teilnahme der DDR an sowjetischen Antarktisexpeditionen. Aus der BRD wurden ab 1975 wieder wissenschaftliche Schiffsexpeditionen in das Südpolarmeer entsandt. Letztendlich wurde in den 1970er Jahren mit dem Beitritt beider deutscher Staaten zum Antarktisvertrag und der darauffolgenden Gründung des Alfred-Wegener-Instituts sowie dem Bau des Forschungseisbrechers Polarstern, der Grundstein für durchgehend besetzte deutsche Antarktisstationen gelegt.

Über all die Jahre sind dabei die Kernaufgaben der Überwinternden gleichgeblieben. Die wissenschaftlichen Langzeitmessungen aufrechtzuerhalten und die dafür notwendige Infrastruktur unter teils schwer vorstellbaren Bedingungen zu betreiben. An den äußeren Umständen, wie der geographischen Abgeschiedenheit, der sozialen Isolation, den Stürmen und Temperaturen bis zu -50° C sowie der monatelangen Dunkelheit hat sich dabei nichts geändert.

(a) Zeigt die Verteilung und Dauer der Tages- und Nachtstunden pro Tag (y-Achse) während eines gesamten Überwinterungszyklus (∼ 14 Monate) in Deutschland (oben: Berlin, ∼ 52° N) und an der Neumayer-Station (unten: ∼ 70° S). Temperatur, Windgeschwindigkeit und Sonneneinstrahlung sind für das Jahr 2015 in (b) dargestellt, wie sie an der Wetterstation an der Neumayer-Station III aufgezeichnet wurden.

 

Sehr viel verändert hat sich über die Zeit am Überwinterungskomfort, den Kommunikationsmöglichkeiten nach außen und auch der Zusammensetzung der Teams. Bis 1996 wurden auf die Georg-Forster- und die Neumayer Stationen keine gemischten Teams aus Männern und Frauen entsandt. Im Rahmen der „Frauenüberwinterung“ 1990 auf der Georg-von-Neumayer-Station überwinterten erstmals Frauen auf einer deutschen Antarktisstation, dies aber ebenfalls noch nicht in einem geschlechtergemischten Team. Seit 1996 sind gemischte Teams die Regel (mit den Ausnahmen im Jahr 1998 und 2005), der Anteil an Frauen liegt im Durchschnitt bei leicht unter 50%. Eine weitere Verbesserung und auch Erleichterung für die Überwinternden heutzutage ist die ständige Möglichkeit mit der Außenwelt, mit Freunden und der Familie zu kommunizieren. Zu Beginn der Antarktisforschung war das lediglich über den Seeweg möglich, der über Monate und teils Jahre versperrt blieb und lange Laufzeiten hatte. Die ersten Neumayer- Überwinterungsteams hatten die Möglichkeit per Telex, per Funk über Radio Norddeich oder in Ausnahme- und Notfällen ein Satellitentelefon zu nutzen, mittlerweile steht eine Satellitenstandleitung zur Verfügung.

Entwicklung der Zusammensetzung der überwinternden Besatzungen an der Georg-Forster-Station und der drei Neumayer Stationen. (a) Anzahl der männlichen und weiblichen Besatzungsmitglieder für jede Überwinterung an der Georg-Forster-Station (obere Reihe) und der Neumayer-Station (untere Reihe). In der gleichen Reihenfolge wird in (b) das Durchschnittsalter der ÜberwintererInnen für beide Stationen angegeben. Die Fotos zeigen die jeweiligen Stationen (teilweise in der Bauphase) und sind mit folgenden Bildnachweisen versehen: Georg-Forster-Station, Georg von Neumayer und die Neumayer-Station II von Hartwig Gernandt (AWI) und die Neumayer-Station III von Steven Franke (AWI).

 

Die drei anfänglichen Kernobservatorien an der Neumayer-Stationen, Luftchemie, Meteorologie und Geophysik, werden seit 1982 durchgehend betrieben und wurden im Laufe der Zeit erweitert. Beispielsweise wurden die Zeitreihen einiger meteorologischer Messungen, wie zum Beispiel der Ozonmessungen bis in die Stratosphäre, bereits früher an der Georg-Forster-Station begonnen und sind, kombiniert mit den bis heute stattfindenden Messungen der Neumayer Station, Teil einer sehr wertvollen kontinuierlichen Zeitreihe. Über die Jahre sind weitere zusätzliche, eigenständige Langzeitbeobachtungsprojekte sowie temporäre Forschungsprojekte hinzugekommen und werden von den Überwinternden betreut. Diese umfassen unter anderem mit dem Hydrophonenetzwerk PALAOA die Ozeanakustik, das Pinguinobservatorium SPOT, sowie regelmäßige meereisphysikalische Untersuchungen, wie zum Beispiel die Meereisdickenmessungen in der Atkabucht. Zudem werden medizinische Studien betreut und die Infraschallstation I27DE, die ein Bestandteil der Überwachung und Einhaltung des Kernwaffenteststoppvertrages ist, unterhalten.

Links: Guenther Ennulat betrachtet Wetterdaten zu Windgeschwindigkeit und Windrichtung. (1982)
Rechts: Sepp Kipfstuhl zeichnet eine Wetterkarte. (1982)

 

Kontinuierliche Langzeitbeobachtungen in der Antarktis sind mühsam und werden als wissenschaftliche Leistung oft wenig honoriert. Dabei werden viele der wichtigen wissenschaftlichen Entdeckungen erst dann gemacht, wenn lange Zeitreihen zur Betrachtung und Auswertung zur Verfügung stehen (man denke an die Entdeckung des Ozonloches). Oft scheint es leichter große Summen für kurzfristige Projekte zu akquirieren als langfristige Infrastruktur aufzubauen. Mut, Beharrlichkeit und jahrelange wenig rühmliche Arbeit sind notwendig um Kontinuität und Qualität aufrechtzuerhalten. Denn nur mit präzisen, qualitativ hochwertigen Daten können wir den Zustand des Erdsystems besser verstehen. Und auch die Erdsystemmodelle werden nur dann zukünftige Szenarien bestmöglich abbilden, wenn sie mit Daten höchster Qualität gespeist werden.

Genau das lässt die Daten so wertvoll sein und ist Anlass, auf die Arbeit aller bisherigen Überwinternden der Neumayer-Stationen und der Georg-Forster-Station mit Anerkennung hinzuweisen. In diesem Zusammenhang sollen auch die Überwinternden der German Antarctic Receiving Station (GARS O’Higgins) nicht unerwähnt bleiben. Diese Station befindet sich nahe der chilenischen Station General Bernardo O’Higgins auf der Antarktischen Halbinsel und dort werden seit 1991 durchgehend geodätische Langzeitbeobachtungen durchgeführt.

Erste Überwinterung an der Georg-von-Neumayer-Station mit Wissenschaftlern im Jahr 1982. Vlnr: Sepp Kipfstuhl, Alfons Eckstaller, Gert König-Langlo, Guenther Ennulat (kniend), Holger Dietz, Jürgen Janneck, Axel Feurer

 

In den Langzeitobservatorien der Neumayer-Station ist mittlerweile ein vollständiger Generationswechsel vollzogen. Die Pioniere der ersten Überwinterungen auf der Georg-von-Neumayer Station, die die Observatorien aufgebaut, instand gehalten und betreut haben, haben sich aus der aktiven Betreuung zurückgezogen und die Verantwortung an eine neue Generation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen übergeben.


Originalartikel:

Franke, S., Eckstaller, A., Heitland, T., Schaefer, T., and Asseng, J.: The role of Antarctic overwintering teams and their significance for German polar research, Polarforschung, 90, 65–79, https://doi.org/10.5194/polf-90-65-2022, 2022.

Leser:innenkommentare (1)

  1. Helge

    Hallo Nora und Lukas, wir haben gestern kurz telefoniert. Danke dafür. Ich habe diesen Blog entdeckt und mich weiter über Eure eindrucksvolle Arbeit und die Eurer Vorgänger informiert. Dabei ist mir aufgefallen, dass der Link oben fehlerhaft ist: Das Komma und die zweite 2022 sind zuviel. Viele Grüße aus Berlin in’s super eindrucksvolle ewige Eis, Helge

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