„Und: Action!“

Bald in Ihrem Kino (Gestaltung: Markus Schulze)

Wir steigen ins Filmemachen ein. Nicht, dass irgendjemand von uns sowas schonmal gemacht hätte, aber das tut ja nichts zur Sache. Der Impuls kam natürlich von Markus. Er hatte schon auf unserer Anreise an Bord der „Polarstern“ an einem Drehbuch geschrieben. Die Idee dazu wurde, wie so viele Ideen, in einer Berliner Bar geboren. Das war noch während unserer Vorbereitungszeit, als wir alle gemeinsam in Berlin waren. Offizieller Anlass war natürlich nicht ein Barbesuch für kreative Ideen, sondern die Voruntersuchungen für die Weltraummedizin-Studie. Dafür werden unsere Gehirne getestet und vermessen- vorher, zwischendurch und nachher- um zu sehen, wieviel flöten geht in so einer Überwinterung. Natürlich haben wir den Besuch in Berlin genutzt, um die Zivilisation nochmal unsicher zu machen, bevor wir ein Jahr lang miteinander in der Abgeschiedenheit auf antarktischem Eis sitzen. Nebenprodukt dieses Abends war die gewagte Idee zu einem Vampirfilm, bei dem ehemalige Antarktis-Entdecker wie Amundsen und Scott als Vampire auf Neumayer hausen. Dass aus dem Berliner Brainstorming mal was werden würde, hat natürlich keiner geahnt. Sicherheitshalber, denn man wird ja ein Jahr lang nicht einkaufen können, wurden trotzdem noch auf den letzten Drücker ein paar Eckzähne und Kontaktlinsen bestellt (ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an die Pförtner von AWI-Gebäude „D“, die mit einer Engelsgeduld unsere zahllosen Päckchen angenommen und gehortet haben).

Brainstorming in Berlin (Foto: Markus Schulze)

Zeitsprung in den antarktischen Herbst, wir ÜWIs sind auf der Neumayer Station gerade von allen guten Sommergästen verlassen worden, für die kommenden acht Monate allein und unter uns. Markus stellt in gemütlicher Abendrunde das Drehbuch vor. Der Plot geht so: die ehemalige deutsche Polarforschungsstation Neumayer III wird von Vampiren bewohnt, die dort ihren Rückzugsort haben. Die Weltregierung der Menschheit (wir befinden uns in der Zukunft) hat ein Abkommen mit den Vampiren getroffen: Die Vampire werden in der Antarktis mit Blutkonserven versorgt und in Ruhe gelassen und halten sich im Gegenzug von den menschenbesiedelten Kontinenten fern. Mittlerweile, denn der Vertrag besteht seit hundert Jahren, möchte die menschliche Weltregierung jedoch die Vampire auslöschen und heuert dazu einen vampirerfahrenen Auftragskiller an. Der wiederum hat eine sehr persönliche Rechnung mit den Vampiren offen…

Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden- wer den weiteren Fortgang wissen möchte, darf gerne über den untenstehenden Link den Film anschauen.

Die Hauptrolle des Auftragskillers wird einstimmig Hannes aufs Auge gedrückt. Katrin wird die eiskalt kalkulierende Regierungschefin der Menschen, Micha ihr beflissener Handlanger. Neben dem Vampir Amundsen (Karsten) gibt es, entsprechend des Casts, diverse weibliche Vampire auf der Neumayer- Station. Auch die sind an historische Persönlichkeiten angelehnt: Louise Seguin, die, als Mann verkleidet, als erste europäische Frau die Antarktisregion bereiste und in unserem Film als Leitvampirin (Aurelia) auftritt, des Weiteren Maria Klenova (Alicia), russische Meeresbiologin und erste weibliche Wissenschaftlerin in der Antarktis sowie Josephine Peary (Benita), eine amerikanische Polarforscherin und Schriftstellerin, die in der Arktis überwintert hat. Die Regie wird von Markus geführt und Werner übernimmt das Ressort „Catering und Allgemeines Wohlergehen“.

Die ersten Dreharbeiten laufen an, solange noch Flugzeuge bei uns zu Gast sind (brauchen wir als Kulisse) und solange es noch Sonnenuntergänge gibt- auch das ist nicht banal, denn wenn erstmal die Polarnacht losgeht, sind die monatelang nicht mehr zu bekommen. Da wir das alles zum ersten Mal machen, müssen wir uns nach und nach reinfuchsen. Rückschläge und Pannen bleiben nicht aus und natürlich geht alles nur mit hemmungslosem Improvisieren, wir können ja nichts besorgen.

Der Auftragskiller auf dem Weg zur Vampirstation (Foto: Markus Schulze)
Die wollen nur spielen… Vampire Klenova und Amundsen (Foto: Aurelia Hölzer)
Erste Proben, hier noch im Warmen: Fackeln tragen und ohnmächtig sein (Foto: Aurelia Hölzer)
Erste Proben: den ohnmächtigen Vampirjäger abschleppen (Foto: Aurelia Hölzer)
Dreharbeiten im Dunkeln bei -30°C (Foto: Markus Schulze)
Ernst bleiben, bitte! (Foto: Aurelia Hölzer)
Abgemacht! (Foto: Markus Schulze)

Werners multifunktions- Küchensieb (das auch gerne mit uns auf Meereismessungen fährt zum Plättcheneis-sieben) wird mal wieder zweckentfremdet: der im Schneesturm verendende Vampirjäger muss schließlich mit Schnee bestäubt werden, damit es echt aussieht. Ständig gibt es was zu tun. Das Wohnzimmer wird umgeräumt, mal zum Regierungssitz, mal zum Vampirwohnzimmer, Requisiten und Hilfsmaterial türmen sich, Bilder werden neu gemacht, abgehängt, umgehängt. Karsten lernt flugs, Cembalo zu spielen, unsere betreuende Zahnarztpraxis in Bremerhaven wird für Rezepte zur provisorischen Eckzahnbefestigung konsultiert (Danke, liebe Ortmanns!), Markus arbeitet sich in Special Effects ein und kann jetzt ganz ohne Streichhölzer Feuer machen, das klemmende Kamerastativ wird mit Zahnarztbohrer-Turbinen-Öl aus dem Hospital wieder flottgemacht.

Werners Küchensieb im Einsatz (Foto: Markus Schulze)

Im Verlauf der Dreharbeiten werden wir anspruchsvoller und weiser. Tonspuren werden teils separat aufgenommen, insbesondere Geräusche für Türenklacken und Sesselknarren, passende Musik wird gesucht und Lizenzen recherchiert, Kameraeinstellungen ausprobiert und das Licht! Herrje, das Licht ist ein ewiges Debakel- und Markus ein anspruchsvoller Regisseur. Stundenlang leuchten wir bestimmte Ecken aus, versuchen Schattenwürfe wegzubekommen, basteln aus Butterbrotpapier Lichtscheinverteiler vor Baustellenscheinwerfern, ändern Farben und Anstrahlwinkel, bemühen Brandleuchten und Stirnlampen. Das Drehbuch wird laufend editiert, die Dialoge den sich entwickelnden Charakteren angepasst, die Schauspieler setzen sich mit ihren Rollen auseinander, Szenen werden geprobt, Kameraeinstellungen ausprobiert, Texte von Jesaja, Baudelaire und William Blake werden bemüht, Witze erfunden und wieder gestrichen. Wir stellen fest, dass separate Sprechpassagen besser klingen, wenn der Ton im Schrank (Methode nach Micha) oder unter der Bettdecke (Methode nach Markus) aufgenommen wird. Szenen werden vielfach wiederholt bis wir zufrieden sind. „Take 32. Kamera läuft. Und Action!“ „Sorry, ich hab mich versprochen, können wir nochmal anfangen?“ „Aurelia, kannst Du nochmal gucken kommen? Mir sind schon wieder die Eckzähne rausgefallen“. „Hat noch jemand eine nicht-blaue Hose, die Hannes passt? Blaue Hose auf blauem Teppich geht gar nicht.“ „Wie viele rote Lampen bekommen wir zusammen für die Szene im Zwischendeck?“ „Micha, können wir die Leuchtstoffröhren-Entsorgungskisten als Särge umbauen?“ „Heute ist Vollmond, können wir die Finde-Szene nachher drehen?“

Vampiralltag (Foto: Karsten Böddeker)
Vampir Benita (Foto: Aurelia Hölzer)
Alicia, unsere Akrobatin, in Fledermauspose (Foto: Aurelia Hölzer)
Erstaunlich bequem, so ein „Sarg“ (Foto: Aurelia Hölzer)
Drehvorbereitungen auf der „Galerie“ (Foto: Alicia Rohnacher)

Für die Draußenszene auf Deck 0 wird Markus samt Kamera auf ein gefundenes Skateboard gestellt, das Alicia schiebt- damit die Kamera Vampirjäger Hannes auf seinem Weg gen Nord möglichst ruckelfrei begleiten kann. Für die Gangszene kommt Werners Teewagen zum Einsatz und die Tageslichtlampe, vor die sich Benita in leichter Hockstellung genau so platziert, dass nur indirektes Licht auf die zu filmenden Wandfotos fällt. Manchmal ziehen sich die Dreharbeiten bis weit in den Abend hinein, dann taucht Werner mit mobilen Snacks oder Abendbrot auf dem Teewagen auf.

Mit dem Skateboard wird Markus zur fahrenden Kamera (Foto: Aurelia Hölzer)
Volle Konzentration: Markus als Regisseur und Kameramann (Foto: Alicia Rohnacher)

 

WIFFA- Winter International Film Festival of Antarctica

Wir werden mit unserem Film auf den letzten Drücker fertig, denn es gibt eine Deadline: wir wollen „Vampire Station“ beim antarktischen Filmfestival zeigen. Mitten im Polarwinter findet traditionellerweise das vielbesungene internationale antarktische Winterfilmfestival statt. Hier können alle Überwinterungsstationen der Antarktis und der subantarktischen Inseln teilnehmen und selbstgedrehte Filme einreichen. Es gibt zwei Kategorien. Erstens die sog. „Open Category“, die frei ist von Vorgaben, sofern während der Überwinterung gedreht wurde. Hier stellen wir „Vampire Station“ vor. Zweitens gibt es noch die berühmte 48-Stunden-Kategorie, das Herzstück des Festivals. Auch hierfür haben wir uns angemeldet. Man hat, vom Brainstorming über Plot, Drehbuch, Proben, Dreh, bis zum Schneiden und Editing genau 48 Stunden Zeit. Der Film darf maximal fünf Minuten dauern und muss fünf Zutaten beinhalten, die erst zum Startschuss der 48 Stunden bekannt gegeben werden. Das ist ein ziemlicher Ritt, der Zeitdruck Teil der Herausforderung. Die Japaner der Antarktisstation „Syowa“ haben die Organisation übernommen, viele Emails gehen im Vorfeld hin und her. Wir wurden per Losverfahren beauftragt, ein Zitat für die „5 Pflichtzutaten“ beizusteuern. Am Ende nehmen 23 Forschungsstationen Teil. Die Überwinterer der indischen Forschungsstation sind dabei und der polnischen, der südkoreanischen, der australischen, der französischen und der französisch-italienischen, der neuseeländischen, der US-amerikanischen , der südafrikanischen, der britischen, der japanischen usw. Es ist ein internationales Fest derer, die gerade gemeinsam in der Antarktis überwintern und sich nie begegnen.

Als die „5 Zutaten“ für den Kurzfilm der 48-Stunden-Kategorie bekanntgegeben werden, sitzen wir beim Abendessen, die Spannung ist beträchtlich. Verwendet werden muss der Gegenstand Hammer, das Geräusch eines Milchschäumers, der „Wally“ (gestreifte Figur aus einem britischen Bilderbuch), die Handlung „einen Eimer Wasser über den Kopf kippen“ und das Zitat von Luna Lovegood aus Harry Potter: „things we lose have a way of coming back to us in the end, if not always the way we expect“.

Los geht’s mit Brainstorming, die Zeit läuft. Nachdem die Idee „Ten dumb ways to die in Antarctica“ verworfen wurde, entscheiden wir uns für einen Tierfilm/ Naturdoku über den „Overwinterus antarcticus“ in seinem Habitat: „The hidden Life on Ice“.

Filmplakat zu unserer „Naturdoku“ (Gestaltung: Alicia Rohnacher)

Die gesamten Dreharbeiten und die Nachbearbeitung gehen mit einer ziemlichen Hektik einher, aber am Ende sind wir ziemlich glücklich mit dem Ergebnis. Als beide Filme abgeschickt sind, bestreiten wir einen Abend mit unserem selbstgemachten Kinoprogramm, was mit Erleichterung, Stolz und viel Gelächter über uns selbst einhergeht.

Wenige Tage später sind die Filme aller teilnehmenden Antarktis- Stationen verfügbar. Jetzt geht es daran, die Filme anzuschauen und für die Preisverteilung zu stimmen. Es sind wirklich tolle Sachen dabei und die Wahl fällt oft schwer, wem wir unsere Stimme geben wollen. Es ist toll, unsere internationalen Mitüberwinterer und ihre kreativen Ideen zu sehen und einen kleinen Einblick in die Landschaft an ihrem Standort und die Station zu bekommen. Viele Gepflogenheiten und antarktische Alltagsplagen erkennen wir bei ihnen ebenso wieder wie die Begeisterung für die Antarktis.

Natürlich geht es in erster Linie ums Mitmachen und den Spaß am Filmedrehen, aber wir freuen uns trotzdem, dass wir für Vampire Station einen der Preise gewinnen. Selbstverständlich ist der Preis reine Glorie, um nicht zu sagen: ein imaginärer goldener Eisbrocken.

Wer Lust bekommen hat, die Filme zu sehen – hier sind die Links:

Vampire Station: www.youtube.com/watch?v=s6VEwleSNpM

The Hidden Life on Ice: www.youtube.com/watch?v=3ICpf-dHQxM

Übrigens kann man über die Website des antarktischen Filmfestivals auch Beiträge der anderen Überwinterungs- Stationen anschauen (Wir finden, es lohnt sich!) https://www.wiffa.aq.

Leser:innenkommentare (5)

  1. Meike Trautmann

    Ihr habt ja richtig gute Ideen auf der Neumeyer III👍🥰sehr schön geschrieben 🥰

  2. Martin

    Oskar!

  3. Klaus Guba

    Herzlichen Glückwunsch zum WIFFA Preis … ihr habt es euch verdient. Klasse Filme und toller Hintergrundbericht. Viele Grüße, Klaus

  4. Anne

    Wow, das sieht nach echt viel Spaß aus.

  5. Eine Meteorologin

    Wie – noch kein Kommentar? Dann muss ich als bisher stille Mitleserin das Wort ergreifen. Das ist sowas von unglaublich, was ihr da abgeliefert habt. Total cool, was für einen Aufwand ihr betrieben habt, um zwei tolle Filme zu produzieren. Und das einfach aus dem Stand weg neben eurer Arbeit auf der Station. Vielen Dank, dass ihr diesen Blog betreibt und man von außen miterleben darf, wie ihr eure Zeit in der Antarktis erlebt!

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