Fast 45° im Schatten…

Mittwinter (Tanguy Doron)

…hatten wir es die Tage hier draußen und ich müsste korrekterweise ein Minus davorsetzen und dazu den Erdschatten erwähnen, denn wir befinden uns nun für 2 Monate durchgehend auf der Schattenseite unserer Erde! Während in der Heimat von der Hitzewelle berichtet wird, bekommen wir hier am wohl südlichsten Arbeitsplatz der Welt die ersten Kältewellen der hiesigen Polarnacht zu spüren. Außentemperaturen um -45°C sind dabei für die meisten Mitteleuropäer eine recht abstrakte Zahl, da die persönlichen Erfahrungen dazu fehlen. Die antarktischen Forscherkollegen auf der russischen Station Vostok haben bei sich schon einmal -89°C gemessen: Die kälteste Temperatur, die je auf der Erde bodengebunden gemessen wurde. Und das Jahresmittel liegt im Inland mit nur -55° deutlich tiefer als bei uns hier an der Küste.

Ab -30° spürt man jedes einzelne Grad: Material wird sehr spröde, Kunststoff und Gummi brechen auseinander, Reißverschlüsse versagen, Hydraulikschläuche platzen und der Atem gefriert im Bart, die Wimpern werden weiß wie das Haar des Weihnachtsmannes aus der Werbung.

Bibliothek und Vollmond (Peter Jonczyk)

Kann man Stahl lieben?

Es sind gerade diese arktisch extrem kalten Momente, in denen ich diese Station lieben gelernt habe, so wie Seemänner ihr Schiff lieben. Andere Menschen lieben eben ihr Auto oder Motorrad. Kapitän Nansen hat z.B. während seiner legendären Polardrift mit seiner Crew den Geburtstag ihres Schiffes, der Fram, festlich gefeiert. Die Crew hat Lobeslieder auf ihr Schiff gesungen, weil sie begeistert von der Stabilität des Rumpfes mit den verstärkten Spanten war, welcher den Eispressungen nicht nachgeben wollte. Wir hier dürfen mitten in der Polarnacht warm duschen, wenn draußen die Windlast mit bis zu 250 t gegen die Fassade drücken könnte und die menschenfeindliche Kälte durch das durchdachte 2-Schalen-Isolationsprinzip draußen gehalten wird. Die Station steht auf Stelzen und dennoch bleibt die Billardkugel beim abendlichen Spiel liegen und rollt nicht zur Tischkante. Unsere beiden Techniker arbeiten für uns täglich daran, dass wir es hier behaglich haben in unserem Heim. Ich bin darüber hinaus unglaublich dankbar, dass wir zu alledem diesen unbezahlbaren Ausblick genießen dürfen und nicht in unterirdischen Röhrenkonstruktionen wohnen müssen, wie unsere Vorgänger. So zieht nicht nur mich das mittägliche Farbenspiel am Horizont regelmäßig in seinen Bann: Unten blau und oben rötlich, so wie die gelungene Farbgebung der Außenfassade.

Doch bevor die Polarnacht anrückte, rückten wir mit unseren Kameras nur zu oft vor die Tür, um die letzten Sonnenstrahlen im Mai noch einmal einzufangen.

Ja und die schattige Mitte des Winters konnten wir am 21.6. mit unseren Kollegen hier auf der Antarktis am „Midwinter Day“ international feiern. Er gilt als hoher Feiertag hier in der Antarktis und wir bekamen viele Fotos von unseren Mitbewohnern dieses großen weißen Kontinentes zugeschickt verbunden mit den besten Wünschen. Ein Kontinent, fast so groß wie Russland mit vielleicht derzeit nur 1000 Bewohnern. Was für ein Gedanke: Etwa 1 Einwohner auf 18.000 Quadratkilometer. Einer der spannenden Gründe, warum man hier nun als „Mittendrin-ÜWI“ im Überwinterungsteam lebt. Es ist eine kaum beschreibbare Abgeschiedenheit, die ich in dem „Malbuch für Polarforschervon H.J. Hack hier in der Bibliothek im Eis wirklich treffend abgebildet fand. Ein drastischer „Lockdown“ von der gewohnten Zivilisation.

Malbuch für Polarforscher (Peter Jonczyk)

Doch da gibt es noch die „Nabelschnur“ nach draußen: Das Radom mit der Satellitenantenne stellt unsere Versorgungsleitung zur Außenwelt dar. Was für ein Segen! Die tägliche Tagesschau, Zeitungen in pdf-Format und sogar die Übertragung eines Länderspieles, hier wissen wir diesen Vorzug gegenüber unseren Vorgängern vor 2-3 Dekaden doch sehr zu schätzen. Und die immer größer werdende wissenschaftliche Datenmenge findet darüber nun auch noch schneller in die Labore rund um die Welt. Dazu schaut auch noch der ein oder andere Angehörige von uns gerne mal auf die hiesige (am Radom installierte) Webcam und sucht nach Neuigkeiten bei den Neumayers…

Unser Radom im letzten Mittagslicht (Peter Jonczyk)

Die letzten 4-8 Wochen hat sich viel getan um und in der Station:

Bei den Pinguinen läuft’s gerade

Die Paarungszeit der Kaiserpinguine ging zu Ende und die riesige Kolonie hat sich wieder auf dem Meereis zusammengefunden, um hier zu überwintern. Waren es im März nur noch wenige Tiere auf dem Meereis, so schmiegen sie sich nun zahlreich wieder dicht aneinander, um sich vor der Kälte und dem Wind zu schützen. Wir dürfen uns besonders auf den Frühling freuen, wenn die Lichtverhältnisse besser werden für vermutlich unsere Jahres-Lieblingsfotos aus der Antarktis: Dann watscheln die tollpatschigen Küken über das glatte Eis und geben sicher ein gutes Motiv ab. Manche von uns haben bereits einen fast komplett schwarzen Kaiserpinguin unter den vielleicht 25.000 Tieren entdeckt: Gute Tarnung in der Polarnacht!

Papier, Stift und Laptop …

… haben fast alle hier in den letzten Wochen ständig zur Hand gehabt. Nicht nur mir raucht der Kopf, wenn ich an die bisherige mehrwöchige Inventurzeit zurück denke. Tausende, wirklich tausende Dinge werden hier in allen Bereichen der Station gezählt, in Bestandslisten aufgenommen und an die Reederei Laeisz und das AWI geschickt. Unsere gelieferten Zahlen sind dabei die Basis dafür, dass es unseren Nachfolgern, die bald unsere Wohnung in Bremerhaven beziehen, mit den Bestellungen gut haben. Nachkaufen ist in der Antarktis ja nicht möglich und so gibt jeder hier sein Bestes, damit es im nächsten Winter kein Murren über uns gibt. Dabei habe ich z.B. Tanguy, unseren Koch, nicht beneidet. Oft musste er die Inventur des -25° Lagers zitternd nach 2 Stunden unterbrechen! Die Inventuren gehören zum Leben auf einer Forschungsstation dazu und ohne diese herrscht schmerzhafter Mangel.

Auch das gehört zur Polarforschung – Inventurliste (Peter Jonczyk)

Mal aufs Meer rausfahren …

… das können wir nun auch. Lange wurden die Satellitenbilder der vergangenen Wochen mit viel Fachexpertise in Bremerhaven für uns untersucht und das Meereis in der Bucht auf Risse im Eis, Bewegungen der Eismassen und die notwendige Stabilität untersucht. Das plötzliche Abreißen einer Meereisplatte von der Schelfeiskante wäre ein echtes Problem, wenn wir auf dem abgerissenen Meereis unterwegs wären! Paul und ich haben die Meereisrampen, wo das Schelfeis und das Meereis zusammentreffen, untersucht. Der bewegliche Spalt dazwischen wurde mit einem Eispickel freigelegt, dabei waren wir mit Bergseilen gesichert. Nun ist es soweit: Das Meereis ist freigegeben und wir können die Meereisanalysen starten und die Pinguine in der Dämmerung der Polarnacht  besuchen.

Meereiserfahrung (Peter Jonczyk)

Um die gemeinsamen Hauptkomponenten unserer Vorbereitungszeit auf die Überwinterung aus dem vorletzten Blogeintrag noch abzuschließen, möchte ich hier noch unseren erlebnisreichen Brandschutzkurs erwähnen.

Brandschutzkurs (Peter Jonczyk)

Brandschutz und Überwinterung

3 Dinge machen Brände auf Forschungsstationen in der Antarktis extrem gefährlich und schwierig: Das trockene Klima, die geringen Vorräte an flüssigem Wasser und die häufigen starken Winde, die einen Brand extrem beschleunigen können. Dazu die geographische Isolation mit riesigen Distanzen. Grund genug, dass wir vom Alfred-Wegener-Institut in unserer Vorbereitungszeit einen 1A Brandschutzkurs besuchen durften, der uns eine Woche lang an die Ostsee nach Neustadt in Holstein führte. Auf dem Gelände der Marine gibt es einen riesigen Schulungsbereich mit mehreren Brandhallen und auch mit einem Übungsschiff, der Hulk.

Wir durften Tag für Tag dort verschiedene Top-Szenarien üben und dabei die verschiedenen Löschmittel (beginnend vom einfachen Pulverfeuerlöscher über den CO2-Löscher bis hin zum Impulslöschgerät IFEX 3000) theoretisch und praktisch testen. Der Umgang mit dem angelegten Pressluftatmer, den silbernen Hitzeschutzanzügen darüber gezogen bis hin zur Verletztenrettung in den engen Schiffsgängen: Jeder im Team bekam eine praxisorientierte und oft humorvolle Ausbildung von unserem versierten Ausbilder. Wir alle durften dabei üben einen lichterloh brennenden Hubschrauber alleine zu löschen oder einen Großbrand in einer Stahlkammer zu bewältigen.

 

Bilder: Verraucht ist es auch… / Humor am Ende eines harten Tages (Peter Jonczyk)

Demgegenüber stehen nun hier auf Station die monatlichen Brandschutzübungen auf dem Programm, wo wir die erlernten Techniken immer wieder praktisch üben und uns stetig verbessern können. Brandschutz ist eben ein sehr sensibles Thema hier in der Antarktis, dem man niemals zu viel Beachtung schenken kann.

Abschließend möchte ich erwähnen, dass wir in der viereinhalbmonatigen Vorbereitungszeit wirklich sehr gut für die Überwinterung geschult wurden. Als Team besuchten wir zahlreiche Kurse und die dazugehörigen berufsspezifischen Praktika waren sehr praxisorientiert und geben uns nun in der tatsächlichen Überwinterung eine gute und sichere Arbeitsgrundlage.

Mittagsvollmond im Süden (Peter Jonczyk)

Der Mond ist aufgegangen…

und will nicht mehr untergehen. Eines der beeindruckendsten Phänomene in den Tagen um die Polarnacht ist auch, dass wir den Vollmond nun 24 Stunden bei klarer Sicht sehen dürfen: Er wandert still um die Station herum und geht nicht unter. Nachts spendet er dabei soviel Licht, dass man bei klarer Luft die bis zu 8 km entfernten Eisberge der Atkabucht sehen kann und sich auch gut ohne Lichtquelle draußen bewegen kann. Und da wir auf der Südhalbkugel sind, steht auch der Mond für uns auf dem Kopf und nimmt von links nach rechts ab.

Mit den besten Mittwintergrüßen!

Ihr / Euer Peter Jonczyk

Leser:innenkommentare (10)

  1. Die Siegerländer

    Hallo aus dem sommerlichen Siegerland!

    Wir sind mal wieder total begeistert. Von den Bildern, die eingefangenen Stimmungen und überhaupt dem Blogeintrag.
    Es ist so unwirklich, dass wir in der letzten Zeit durchaus mal 70 Grad Temperaturunterschied hatten. Aber bei den Erzählungen von den Pinguinen und den Meereisfahrten werden wir doch etwas neidisch ;-)
    Lasst euch die Dunkelheit nicht Leid werden!

    Viele Grüße aus dem heute verregneten Siegerland

    Die Siegerländer

    1. Peter Jonczyk

      Danke Euch für die Wünsche und das nette Feedback!
      2/3 der Polarnacht liegen nun schon hinter uns und man kann sich an den Farben nicht satt sehen, die sich mittags hier zeigen.
      Liebe Grüße zurück ins Siegerland!
      Peter

  2. Meike Mossig

    Sehr eindrucksvoll! Danke für diesen Bericht und die wunderschönen Fotos, Wow! Alles Gute weiterhin!

    1. Peter Jonczyk

      Danke für die positive Rückmeldung und die Wünsche! Da freut man sich doch auch sehr.
      LG aus der Polarnacht
      Peter Jonczyk

  3. Christian. Ruthenberg

    Moin,
    vielen Dank für den interessanten und informativen Beitrag mit den schönen Fotos. Es ist immer wieder eine Freude, einen neuen Artikel zu finden. Vor allem, weil jedes Mal Aspekte dabei sind welche man im „normalen“ Alltag nicht bedenkt.

    Schöne Grüße in den kalten Süden
    Christian

  4. Peter Jonczyk

    Moin Christian,
    danke für die positive Rückmeldung. Ein paar Sachen begreift man hier erst nach Wochen und Monaten, dass es hier anders läuft. Mittagssonne im Norden, Weihnachten im Sommer, die grassen Naturphänomene wie z.B. der Mpemba-Effekt oder Nebensonnen (Parhelia). Das Alles läßt mich bis heute nicht kalt ;-)
    Mit winterlichen Grüßen
    Peter Jonczyk

  5. Sylvia Bolm

    Ich würde so gerne mal dort sein und mich um 360GRAD drehen, um diese Stille , Weite und Kälte im tiefsten Sinne zu begreifen. So hart die Bedingungen sind, so ist es doch ein Privileg für Euch, das erleben zu dürfen und wie gut, dass wir durch Eure Fotos und Artikel etwas von der Faszination der Antarktis abbekommen. Dankeschön dafür und liebe Grüße von Sylvia Bolm aus dem sommerlich südlichen Niedersachsen

    1. Peter Jonczyk

      Moin Frau Bolm, der Begriff „Privileg“ trifft den Nagel auf den Kopf. Die Überwinterung schenkt uns diese Möglichkeit, diese Weite und Stille so zu empfinden, wie man es kaum auf der Welt woanders finden darf.
      LG ins schöne südliche Niedersachsen, wo ich lange in Northeim leben durfte!

  6. Jürgen Baßfeld

    Hallo Peter und Üwi Team,

    am Ende Deiner sehr eindrucksvollen Beschreibung blieb bei mir die Frage offen, ob ihr Euch schon wirklich umgestellt habt was die Orientierung betrifft. Wenn bei uns die Sonne hoch steht weiß ich dass ich mein Solarpaneel nach Süden ausrichten muss und es bald Zeit für einen Kaffee ist.
    Mit Widrigkeiten der Witterung hatten wir letzte Woche auch zu kämpfen. Hier in Eningen sind wir sehr glimpflich diesmal davon gekommen, weiter westlich sah das schon ganz anders aus.
    Auf der Hamradio -Online gab es auch einen interessanten Bericht von Charly über die Fahrt mit der Polarstern von Bremerhaven zur Schelfeiskante.
    Ich hoffe ihr habt trotz der rauchenden Köpfe keine aktive Brandbekämpfung machen müssen, es sei denn, der Brand war an anderer Stelle.
    Ich wünsche Euch weiterhin viele erlebnisreiche Stunden.
    Mit den herzlichsten Grüßen aus dem Schwabenland.

    Jürgen DL9SBT

    – Techniker aus Leidenschaft-

  7. Peter Jonczyk

    Hallo Jürgen, danke für deinen Kommentar, auf den ich gerne Dir antworte. Tatsächlich haben wir uns nach nunmehr fast 6 Monaten schon auf der Antarktis etwas eingelebt. Auch wenn uns in der Dunkelheit um Mittwinter eher weihnachtliche Gefühle (im Juni!) bewegen, so ist die Orientierung mit der Sonne nun schon normal geworden. Das geht dann doch recht fix. Und die Fahrt mit der Polarstern, die du erwähnst, war wirklich DAS besondere Ereignis für uns Überwinterer gewesen.
    Die besten Grüße aus der Antarktis ins Schwabenland

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