Final antarctic countdown

Was machen ÜWIs davor (Linda Ort / Paul Ockenfuß)

Wie versprochen möchte ich im heutigen Blogeintrag auf unsere durchaus spannende und vielfältige gemeinsame Vorbereitungszeit eingehen:

Die Frist für die Online-Bewerbung aller Überwinterer (ÜWIs) auf der Neumayer-Station III läuft üblicherweise jährlich Ende Februar aus und im April bekam ich meine – noch unverbindliche – telefonische Zusage.

Zunächst wurde noch unsere Expeditionstauglichkeit medizinisch genau untersucht, danach hielten wir unseren auf zwei Jahre befristeten Vertrag in den Händen. Die Zeit bis zum 1. August vergeht wie im Flug und manch einer von uns nutzt die Zeit noch, um schnell noch überflüssige Weisheitszähne los zu werden. Mitte Juni bekommen wir auch unsere ersten Informationen zum Ablauf der Vorbereitungszeit per Post. „Frachtliste“, „Gefahrgut“ und „Polarkleidung“, wenn ich das heute wieder lese, was in diesen ersten Informationen steht, so steigt mein Puls wieder. WIR sind das neue Überwinterungsteam und nun lesen wir erstmals die Namen, wer noch mit dabei ist.

„Final antarctic countdown“, so benenne ich nun unsere Social Media-Gruppe und habe den Song der Gruppe Europe im Kopf: „We’re leavin‘ together…“ Die Spannung steigt, der Countdown hat begonnen!

Unser WG-Leben beginnt…

Ende Juli sehen wir uns das erste Mal:

Im Kreis stehend sehen wir uns erstmals vor einem Hotel in Bremerhaven, wo wir nach Abnahme von Corona Abstrichen eine Nacht auf unser Ergebnis warten. Erst danach beziehen wir zusammen unsere voll ausgestatteten sechs  Ferienwohnungen, die vom AWI bereitgestellt wurden. Jeder hat sein eigenes Zimmer und wir kochen und verbringen die gemeinsame Zeit in der Küche von Tanguy oder Theresa. Wir sind nun ein Haushalt und die Corona-Abstände fallen nun bei uns weg. Es sind viele besondere Abende dabei, die uns noch heute lebhaft in Erinnerung sind. Wir erzählen viel, von uns, was wir gerade berufsspezifisch für die Überwinterung erlernen und von Ideen, die wir in der Antarktis verwirklichen wollen und was wir in die großen Zarges-Boxen packen wollen.

Nach einer gemeinsamen Einführungswoche beim AWI inklusive Führung durch die verschiedenen Bereiche des Instituts geht es los.

Die Vorbereitungszeit ist zusammenfassend in zwei Teilen zu betrachten, da manches  gemeinsam und manches individuell (berufsspezifisch) gelernt wird.

Der Brandschutzkurs, der Bergkurs und das Konfliktmanagement werden zusammen wahrgenommen. Dazwischen gehen wir zum Teil weit auseinanderliegende Wege, um uns individuell auf unsere Aufgaben vorbereiten zu lassen. Manchmal sind wir daher in unserer WG abends nur zu dritt oder zu viert, weil ein Großteil auf auswärtigen Schulungen ist. Während ich mich zum Beispiel tagsüber im Bereich Anästhesie im nahegelegenen Klinikum drei Wochen fortbilde, sind andere auf Schulungen in Süddeutschland, im Ruhrgebiet oder Leipzig. Dazwischen gibt es Einheiten, die wieder von allen besucht werden, zum Beispiel über Absturzsicherung, medizinische Studienvorbereitung in Berlin an der Charité oder zum Thema Kommunikation und Medien.

Tibloc, Prusik, Abseilachter und 60 blaue Flecken

Zum Bergkurs fahren wir Mitte August mit zwei Leihbussen nach Mandarfen in Österreich. Unsere sehr gute Bergausrüstung für den Kurs bis hin zu steigeisenfesten Bergschuhen und Rucksäcken wird vom AWI gestellt und ist im Gepäck dabei. Wir sind gut gelaunt und bereits auf der Hinfahrt beginnen wir unser gemeinsames Logo für die Überwinterung zu erarbeiten.

Unsere ersten Entwürfe vom Logo (Peter Jonczyk)
Fertiges Logo (AWI)

 

Von unserem PKW-Abstellplatz aus geht es nun mit unseren beiden überaus kompetenten und unterhaltsamen Bergführern Andreas und Hans auf das 2434 Meter hoch gelegene Taschachhaus, wo wir die ersten Nächte bleiben. Danke an dieser Stelle euch beiden! Die ersten Tage helfen uns, mit unserem Material wie Steigeisen, Abseilachter, Reepschnur, Tibloc und die verschiedenen Karabinersorten vertraut zu machen. Nicht jeder von uns hat sich schon einmal eine 30 Meter hohe Felswand abgeseilt. Wir lernen hier dazu auch noch, eine verletzte Person im Evakuierungsdreieck dabei zu haben (s. Video).

Die Tagesprogramme sind anstrengend genug und wir bekommen abends noch zusätzliche Unterweisungen unter anderem in der Handhabung von GPS- und Funkgeräten oder den Aufbau einer Survival-Box. Abends fallen wir im engen Matratzenlager zügig in den Schlaf. Wir lernen den Begriff der fehlenden Privatsphäre (ich sprach in meinem vorangegangenen Eintrag über die Sommerkampagne davon) dabei das erste Mal spürbar kennen. Vor 13 Tagen kannten wir uns noch nicht einmal persönlich…

Matratzenlager (Peter Jonczyk)

Spaltensturz!!!

Nachdem wir am Seil hängend gelernt haben, uns selber aus einer Gletscherspalte zu retten, brechen wir bei Regenwetter mit je circa 20 Kilogramm Gepäck auf, um auf dem Gletscher die kommenden Nächte zu zelten und weitere Bergungsmanöver zu lernen. Die äußeren Bedingungen werden intensiver: Mit klammen Fingern betätigen wir nun erstmals auf dem harten Eis kniend die Benzinkocher, die wir inzwischen täglich in unseren Survival-Kisten hier in der Antarktis für den Ernstfall mitführen.

In der Seilschaft üben wir mit Steigeisen Gletscherspalten zu überschreiten, mit der Eisaxt, einer Bandschlinge und einem Eisanker eine Eissanduhr oder einen „Totmannanker“ als Fixierpunkte zu bauen.

Der langgedehnte Ruf „Spaltensturz“ von unserem Bergführer Hans signalisiert uns, eine Rettungs-Seilschaft zu bilden und ein mehr oder weniger verletztes Teammitglied koordiniert, sicher und „gegen die Uhr“ aus einer vier bis acht Meter tiefen Eisspalte zu bergen.

Video: Abseilen einer verletzten Person (Peter Jonczyk)

 

 

 

Video: „Gib Gas!“ beim Setzen eines Eisankers (Peter Jonczyk)

 

Am Ende das neun-tägigen Bergkurses zurück in Mandarfen stehen zusammengezählt zehn entschlossene Menschen, die wissen, wie zum Beispiel ein Prusikknoten angefertigt wird, wie man sich gegenseitig am Seil sichert und die zusammengezählt 60 blaue Flecken aufweisen.

 

Kommunizieren lernen und Teambuilding

Den Umgang mit extremer Kälte, fehlender Privatsphäre und der geographischen Isolation macht auf jeden Fall eine gute Kommunikation leichter. Das AWI bietet uns ÜWIs daher eine Workshop-Reihe in Kommunikationstraining und Konfliktmanagement. Hier lernen wir die Grundregeln guter Kommunikation und kümmern uns professionell mit einem Coach um das Teambuilding.

Die Monate der Vorbereitung vergehen wie im Flug: Vorbereitung der persönlichen Fracht in Zarges-Boxen, Anprobe der geliehenen Polarkleidung, Besuch des Klimahauses in Bremerhaven, wo wir schon einen Vorgeschmack auf die Antarktis bekommen haben, und vieles mehr.

Vom Brandschutzkurs werde ich später schreiben.

 

Insgesamt, so möchte ich mit diesem Blogeintrag betonen, spüre ich die 40 Jahre AWI-Erfahrung mit Überwinterungen besonders in der gut strukturierten Vorbereitungszeit, in der persönlichen Ausrüstung und im Mentoring.

Von all dem, was wir in der Vorbereitungszeit mit auf den Weg bekommen haben, profitieren wir ja nun. Und der erste Monat unserer Überwinterung ist auch schon vorbei. Wir stehen aber noch am Beginn. Ein jeder von uns bekommt inzwischen Trittsicherheit sowohl im Arbeiten in seinem Betriebsbereich als auch bei bis zu 50 Knoten Windgeschwindigkeit draußen vor der Tür. Und weil manche von uns am Bergkurs noch nicht genug in Eis und Schnee gezeltet haben, haben fünf Unerschrockene von uns um Ostern bei minus 26 Grad Celsius in einem speziellen Polarzelt (Scottzelt) geschlafen: Ausrüstung checken ;-)

Im nächsten Blogeintrag wird Theresa beschreiben, was wir unter dem Schelfeis, auf dem die Station steht, mit unseren Mikrofonen zu hören bekommen können.

LG aus dem Eis

Ihr / Euer Peter Jonczyk

Übernachtung im Scottzelt (Peter Jonczyk)

Leser:innenkommentare (15)

  1. Die Siegerländer

    Hallo an euch da unten!

    Wieder mal ein spannender und toller Beitrag! Das macht richtig Spaß hier zu lesen.
    Macht es gut und bis bald
    Die Siegerländer

    1. Peter Jonczyk

      Hallo ins Siegerland,
      danke wieder für das angenehme Feedback von Euch! –
      Theresa’s kommender Beitrag dann ist nicht nur zum Lesen schön, auch für die Ohren gibt’s was Spannendes zu entdecken..
      LG aus dem Süden

  2. Ch.-M. Ruthenberg

    Hallo Herr Jonczyk,
    vielen Dank für Ihre eindrücklichen Schilderungen der Vorbereitungszeit. Besonders das kurze Video vom „Abseilen einer verletzten Person“ finde ich beeindruckend. Es zeigt jenseits jeder Abenteuerromantik wie wichtig es ist sich aufeinander verlassen zu können. Die blauen Flecken haben sich sicherlich gelohnt. Ich hoffe, der Osterhase hat auch die ÜWIs in dem Zelt gefunden.
    Die Vorbereitung wie die Sommerkampagne scheinen nicht viel Platz für Langeweile zu lassen. Es ist immer wieder spannend vom Alltag so entfernt der gewöhnlichen Normalität zu lesen.

    Mit den besten Grüßen an alle ÜWIs
    Christian Ruthenberg

  3. Peter Jonczyk

    Hallo Herr Ruthenberg,
    danke für das positive Feedback zu meinem Eintrag.
    Vieles aus der Vorbereitungszeit trifft hoffentlich nie hier ein: So die Gletscherspaltenbergung, das Abseilen und auch die Brandbekämpfung. Aber im Fall der Fälle ist es schon sehr gut, im Fall der Fälle diszipliniert und schkundig dann an das Problem herantreten zu können. Dazu ist die Vorbereitungszeit wirklich hervorragend und extrem vielseitig.
    Langeweile müssen Sie übrigens woanders weitersuchen, bei uns gibt’s nix;-)
    Mit den vielleicht südlichsten Grüßen
    Peter Jonczyk

  4. Elvira Polifka

    Hallo Peter Jonzcyk,
    ein sehr interessanter kurzweiliger Bericht. Trotzdem sicher für alle eine Herausforderung. Wünsche allen weiterhin eine gute Zeit und bleiben sie alle gesund.
    Grüße aus Unterfranken Elvira Polifka
    P.s. Danke für das Video

    1. Peter Jonczyk

      Hallo Frau Polifka,
      danke für den positiven Kommentar. Es freut mich doch immer sehr, wenn meine Blogeinträge gelesen und auch kommentiert werden.
      LG in das frühlingshafte Unterfranken!
      Wir genießen hier noch inzwischen die letzten Sonnenstrahlen vor der Polarnacht…

  5. Reiner Gerke

    Hallo Herr Jonczyk,
    ich habe mir schon gedacht, dass Überwintern viel weniger mit Romantik zu tun hat als mit knüppelharter Arbeit, wobei Abgeschiedenheit, Polarnacht und -35° und Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke nicht explizit getestet wurden. Das läuft dann wohl unter „Training on the Job“. Und die eigentliche Arbeit in der Station kommt ja noch dazu.
    Vielen Dank für die Einblicke die Sie uns immer wieder bieten. Herzliche Grüße an das Team.

  6. Peter Jonczyk

    Hallo Herr Gerke,
    der Begriff „Training on the Job“ trifft den Nagel auf den Punkt: Viele Dinge kann man einfach in Europa nicht simulieren und ich hatte einmal das Pistenraupenfahren als Beispiel im Blog schon erwähnt.
    Für meine Person kann ich nur beispielhaft sagen: Getränkeleitungen zu reinigen, das habe ich erst hier von meinem Vorgänger lernen dürfen. –
    Und Romantik bleibt aber schon erhalten, wenn man z.B. wie letztens „mitten in der Antarktis“ sich auf das Eis hinlegt und in den Himmel guckt und nur noch den eigenen Herzschlag hören kann… Oder nachts, wenn wir Polarlichter bestaunen dürfen. Heute morgen beim Sonnenaufgang und und und…
    Herzliche Grüße aus der 10-samkeit

  7. franz

    Hi,

    mal wieder ein sehr gut geschriebener Artikel, und vor allem gut nachvollziehbar und informativ.

    Vielen Dank 😊👍

    1. Peter Jonczyk

      Hi Franz, danke! Genau das ist mein Ziel gewesen…
      Gruß
      Peter

  8. Nadija und Nelly

    Lieber Peter,
    hier sind Nadija und Nelly :)
    Es ist sehr interessant und faszinierend zu sehen was ihr alles erlebt.
    Uns macht es außerdem sehr viel Spaß die Beiträge zu lesen!
    Im Fach Erdkunde wurden wir beauftragt Kontakt mit jemand aus dem Team aufzunehmen(Hausaufgabe),und zu schauen ob wir einen Antwort bekommen.
    Uns interessiert es wie es so ist am Nordpol zu leben und ob sie uns ein bisschen davon erzählen könnten.
    Vielleicht könnten sie ja mit uns Kontakt aufnehmen??
    Viele liebe Grüße aus dem Donautal!

  9. Peter Jonczyk

    Liebe Nadija, liebe Nelly!
    Abgesehen davon, dass ich über die Lage am Nordpol nicht viel zu berichten weiß (wir leben auf der Antarktis ca. 2000km entfernt vom Südpol…) gebe ich natürlich gerne Auskunft.
    Bitte schreibt eure Fragen an „medien@awi.de“
    LG in das Donautal (war letztes Jahr dort paddeln gewesen;-)
    Peter

    1. Nadija und Nelly

      Hallo Peter,
      wir und unsere Klasse freuen uns sehr das sie geantwortet haben.
      Alles klar!Wie melden uns dann per E-Mail
      wegen den Fragen.
      Darf man wissen wo sie im
      Donautal waren?:)
      Liebe Grüße Nadija und Nelly

  10. Steffen Köppe

    Moin Peter,
    vor 31 Jahren war ich dort, wo ihr jetzt seid. Und außer dem Besuch im Klimahaus (gab es noch nicht) hat sich in der Vorbereitung für die Überwinterung kaum etwas geändert. Danke für deine Beschreibung!
    Wie nachhaltig die Eindrücke von damals sind, hier mein Beispiel: in drei Wochen werde ich die Region besuchen, wo wir 1990 in unserer Vorbereitung auf die 11.Überwinterung „freiwillig“ in Gletscherspalten gesprungen sind um uns gegenseitig mit den neu erworbenen Fähigkeiten zu „retten“. Damals ging es von Obergurgl (Ötztal) zum Hochwildehaus (2.866m) und dann auf den Gurgler Ferner zum üben. Für mich als Rostocker Seemann die erste Berührung mit den Alpen. Seitdem bin ich jedes Jahr mindestens einmal in den Bergen. Wenn ihr also eure Mittwinterfeier gerade hinter euch gebracht habt, dann sehe ich die Hochwilde (3.482m), die wir damals bestiegen und denke an euch! Ich besuchte damals am 21.06.1991 die Pinguinkolonie (15km von GvN entfernt) mit dem Skidoo. Das werde ich nie vergessen!
    Vielleicht trifft man sich ja mal in den Bergen ;-)…

    Ich wünsche dir und allen Üwis eine tolle Zeit, ein schönes „Bergfest“ und kommt gesund zurück!

    Herzliche Grüße von der Ostsee
    Steffen K.

    1. Peter Jonczyk

      Hallo Steffen,
      danke für deine ausführliche Reflexion eurer Überwinterung und die guten Wünsche. Euer Team hatt ja das reine Damen-ÜWI-Team abgelöst und dein Bild hängt noch hier in der Ahnengalerie.
      Ja, man muss schon aufgeschlossen sein für neue Dinge. So lernte ich hier auch erst viele neue Dinge außerhalb meines normalen Arbeitsfeldes kennen.
      Gegenüber Eurer Überwinterung ist die NM-Station III ja ein Luxushotel mit Ausblick auf die Aktabucht.
      LG in den Norden
      Peter

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