Sakrisch kalt …

Eisfenster (Klaus Guba)

Servus zusammen …

es gibt Sachen, die kann man im Dialekt besser ausdrücken. Und ich erinnere mich, dass ich diesen Ausdruck das letzte Mal vor eineinhalb Jahren beim Skitourengehen gebraucht hab, als sich bei minus 20 Grad die Klebefelle unter meinen Skiern immer gelöst haben. Aber in den letzten Tagen hab ich den Ausdruck öfters ausgesprochen. Wir haben inzwischen (Stand 13.08.20) über 6 Stunden Sonne täglich. Und dabei oft strahlend blauen Himmel, ein wunderschöner Anblick. Dazu aber auch leichter Südwind, der die kalte Polarluft zu uns bringt. Und dann wird’s trotz strahlender Sonne zeitweise mit Windchillfaktor bis zu minus 61,5 Grad kalt. In der Galerie findet sich an so manchem Fenster ein Innenrahmen aus Eis, in dem sich die Sonnenstrahlen spiegeln. Sonne, blauer Himmel, weißer Schnee … schnell mal rausgehen und die Sonne genießen. Ist bestimmt auch nicht so kalt, wenn die Sonne scheint ….

Eisfenster (Klaus Guba)

Das ist der erste Denkfehler in der Antarktis. Der zweite besteht darin, dass man nur kurz den Anorak anzieht und rausgeht ohne Gesichtsschutz und Skibrille. Man tritt ins Freie, atmet tief durch und denkt sich „etwas frisch heute“. Nach ein paar Minuten schmerzen dann die freien Hautpartien im Gesicht, bevorzugt die Jochbögen und die Kiefer- und Stirnhöhlen. Erst kommt ein ziehender Schmerz, der sich dann aber rasch in einen schneidenden Schmerz verwandelt. Spätestens dann hat man seine Denkfehler erkannt … und in meinem Falle sag ich eben „Sakklzement, scho sakrisch koid heit“, dreh um, steig die 5 Treppenabsätze wieder hoch und pack mich vernünftig ein. Ich werde öfters gefragt, was wir eigentlich anziehen bei der Kälte. Aus diesem Grunde möchte ich einen kurzen Einblick in unsere Bekleidungsmöglichkeiten bei Außeneinsätzen geben.

Zuerst gibt’s lange Thermounterwäsche in schlank machendem schwarz, dazu ein oder zwei paar dicke Wollsocken. Ein Bild spare ich mir, das kann sich jeder vorstellen. Drüber kommt bei extremen Temperaturen eine hochgezogene Filzhose, die bis zu den Brustwarzen hochgeht. Recht bequem mit Hosenträgern zu tragen und wirklich erstaunlich warm. Im Bild sieht man Noah, der sich dankenswerterweise als Antarktika-Model zur Verfügung gestellt hat. Neben ihm stehen die dicken orangenen Polarstiefel mit Fellinnenschuhen. Die Stiefel haben eine wunderbare Farbe (immer noch ist orange meine Lieblingsfarbe …  ;-) ), allerdings machen sie nicht gerade einen schlanken zierlichen Fuß. Und das Gehgefühl ist auch etwas „schwammig“, ein elegantes Gangbild schaut anders aus … aber warm sind sie, sogar richtig warm. Bei der Meereismessung gibt’s dann noch ein Paar Heizeinlagen, die für ca. 10 Stunden zusätzlich Wärme spenden.

Noah mit Filzhose (Klaus Guba)

Drüber gibt’s dann eine dicke Fleece-Jacke und dann schlüpft man in den roten Tempex-Overall, der an der Innenseite Hosenträger hat. Für die Hände gibt’s Stoff-Unterziehhandschuhe als Fingerlinge und drüber dick gefütterte Fingerhandschuhe oder aber Polarfäustlinge, die auch bei Himalaya Expeditionen verwendet werden. Bei der Meereismessung schmeiße ich auch immer noch ein Paar Fingerwärmer in die Fäustlinge, bei mir frieren die Finger deutlich schneller als die Füße. Auf dem Bild trägt Noah unsere schwarzen Kamik-Stiefel mit Filzinnenschuh, die sind nicht ganz so klobig wie die orangenen Polarstiefel, allerdings auch nicht so warm. Am Kopf hat er eine Sturmhaube auf, zusätzlich die Mütze und als wichtiges Accessoire den Turtle Neck Schal (bei anderen heißt er auch Buff). Mit dem Schal möglichst alle freien Hautstellen abdecken, damit es keine Erfrierungen gibt …

Noah mit Tempex (Klaus Guba)

Bei längerem Außeneinsatz trag ich gern die Fellmütze, die hält den Kopf mitsamt Wangen / Ohren schön warm und dichtet auch sehr gut an der Schneebrille ab durch das Synthetikfell. Bei den Schneebrillen bevorzuge ich persönlich aber aktuell das größere und unförmige Modell mit Klarsichtglas (Noah trägt lieber eine „normale“ Skibrille mit getönten Scheiben)… Und wenn’s immer noch zieht kann man die Kapuze vom Tempex auch noch drüber ziehen.

Noah mit Fellmütze und mit Tempex-Kapuze (Klaus Guba)

Als Bekleidungsalternative steht uns auch statt dem roten Tempex eine dicke Thermohose und ein richtig dicker Daunenanorak mit Fellkapuze zur Verfügung. Der Fellstreifen (übrigens synthetisches Fell) kann zu einem Kreis geschlossen werden, dann ist das Gesicht in einem kleinen Tunnel geschützter. Auf dem Bild trägt Noah noch unsere dicken Fingerhandschuhe, die mittels einer aufgenähten Tasche auch zu provisorischen Fäustlingen umgewandelt werden können. Ferner sieht man wunderschöne orangene Polarstiefel mit deutlicher Erhöhung des Fußristes und Verbreiterung von Vor-, Mittel- und Rückfuß. Ich mag diese Schuhe wirklich … Die blaue Daunenjacke wird auch bei der Meereismessung gern zusätzlich über dem roten Tempex-Anzug getragen, was allerdings die Bewegungsfreiheit dann doch etwas einschränkt und man beim Gehen an einen vollgefressenen watschelnden Pinguin erinnert …

Noah mit Daunenjacke (Klaus Guba)
Kapuzen-/Felltunnel (Klaus Guba)

Je voluminöser die Bekleidungswahl ausfällt, desto schwieriger wird es jedoch bei stärkerem Wind. Die größere Angriffsfläche erschwert das Fortbewegen gegen die Windrichtung doch deutlich und führt zu vermehrter Wärmeentwicklung mit nachfolgender Transpiration beim Träger … drum Augen auf bei der Bekleidungswahl.

Gehen bei 50 Knoten Windgeschwindigkeit mit Schneedrift (Klaus Guba)

Soweit der kleine Exkurs zur Bekleidungswahl. In den letzten drei Wochen hatten wir viele kalte Sonnentage, an denen die Sonne sich immer wieder länger zeigte. Durch die extrem niedrigen Temperaturen hatten wir aber auch einige technische Ausfälle, an einem Tag konnten z.B. die Pistenbullys vor der Tür trotz Standheizung nicht gestartet werden. Aber auch diese Probleme wurden von unseren Technikern Mario und Andreas wie immer gelöst. Ansonsten gab es neben der üblichen Monatsroutine mit medizinischer Studie, Brandschutzübung, Trinkwasseruntersuchung, Trassenkontrolle, Erstellung des Monatsberichtes etc. auch Höhepunkte wie die Ausbringung der Meereisbojen durch unsere Meteorologin Anna, eine letzte Überwinterer-Geburtstagsfeier in diesem Jahr mit wie immer vorzüglicher Torte, schöne Hausmusikabende und interessante Telefonate, z.B. mit einem Filmhochschulstudenten, der ein Dokumentarfilmprojekt plant, und mit einer Buchautorin, deren Roman unter anderem auf der Neumayer-Station III spielen soll und die dafür recherchieren wollte. Gerade solche Telefonate bringen eine schöne Abwechslung in die inzwischen eingetretene Routine.

Eine andere Abwechslung in der Routine ereignete sich dann am 2.8.20 … statt des üblichen Ostwindes mit höheren Windgeschwindigkeiten gab es diesmal ausnahmsweise Westwind mit immerhin 40 Knoten. Und durch kleine Ritzen am westlichen Stationsrand bahnte sich der Driftschnee seinen Weg in unsere Tiefgarage. Wir mussten an der gesamten West-Süd-Ecke der Station die kleinen Löcher so gut wie eben möglich mit Schnee verschließen, damit es nicht weiter in die Garage driftet. Nach drei Stunden war dann alles weitgehend abgedichtet. Ist unglaublich, wie der Driftschnee durch die kleinsten Ritzen seinen Weg ins Innere findet. Am nächsten Tag war dann Schneeschippen angesagt … die Schneehügel auf dem Gitterrost und den Hydraulikbolzen für die Seitenschnürzen mussten beseitigt werden. Trotz der Abdichtaktion vom Vortag hatte sich doch noch einiges an Driftschnee angesammelt.

Driftschnee im UG 1 (Klaus Guba)

Nach zwei Tagen besserte sich das Wetter wieder, der Wind flaute ab und die Sonne zeigte sich wieder öfters. Aber dafür wurde es wieder kalt. Aber mit der Zeit lernt man, dass Sonne am Himmel nicht automatisch „warm“ bedeutet. Für den 08.08. zeigte sich dann in der Vorhersage eine mehrtägige Sturmfront ab. Also „trampelten“ wir noch am letzten windstilleren Tag die Station ab und enteisten die Lüfter auf dem Dach. Die Lüfter vereisen mit der Zeit immer wieder so so stark, dass sie fast komplett verstopfen. Aus diesem Grunde wird einmal in der Woche mit dem großen Gummihammer von außen auf die Lüfter geschlagen, damit das Eis aus und der Schnee sich aus den Rohren löst … anschließend werden die Eisbrocken und der Schnee vorsichtig vom Dach gefegt, damit bei Sturm keine Eisklumpen vom Dach unkontrolliert herumfliegen. Ich mag die Arbeit auf dem Dach in 21 m Höhe. Das Hämmern strengt an, aber es macht auch warm … nur die Finger werden öfters klamm. Aber der Blick von hier oben bei Sonne ist einfach atemberaubend und ich ertappe mich bei so manchem „Juchzer“, den ich in solchen Momenten rauslasse.

Lüfter enteisen (Klaus Guba)

Und dann kam der Sturm am nächsten Tag. Ein typischer Sturm bei Ostwind mit Böen bis zu 70 Knoten Windgeschwindigkeit, der die Station für drei Tage durchschütteln sollte. Ohropax griffbereit neben dem Bett, alles kein Problem … Geräusche auf dem Dach … schon mal gehört. Vibrationen der Station … auch schon mal gespürt. Also nichts Neues. Habe ich mir jedenfalls anfangs gedacht. Aber als am zweiten Tag der Sturm dann noch stärker wurde kam doch wieder dieses mulmige Gefühl bei den Geräuschen am Dach, beim Fauchen des Sturmes, beim Ächzen der Station, beim Anblick der Kaffeetasse, in der der Inhalt immer leicht hin und herschwappte … und in den Sturmnächten schläft man definitiv unruhiger. Aber auch dieser Sturm ging ohne größere Schäden vorbei. Am 12.08. schien wieder die Sonne, als wenn nie etwas gewesen wäre, als wenn die letzten drei Tage und zwei Nächte nur ein schlechter Traum gewesen wären … bis ich Mario sehe, der grad die Transportkabine am Pistenbully vom Driftschnee freischaufelt … und die Tür war während des Sturmes geschlossen!!!!

Driftschnee im Pistenbully (Klaus Guba)

An diesem Tag war auch noch der Wasserwechsel bei unserem Gewächshaus EDEN fällig, was auch immer etwas länger Zeit kostet. Die Kanister mit frischem Wasser und die anderen Kanister mit Brauchwasser werden dann im Wechsel ausgetauscht und das Brauchwasser in der Stationskläranlage entsorgt. Insgesamt 300 Liter, die gewechselt wurden…

Sunset at EDEN (Klaus Guba)
EDEN am Nachmittag (Klaus Guba)

Und heut‘ morgen sind wieder vier von uns zur monatlichen Meereismessung aufgebrochen. Ich nutz dafür die Zeit für Büroarbeit und für’s Schreiben des Blogs. Und der Sonnenaufgang um 9 Uhr 30 war so richtig schön…

Sunrise (Klaus Guba)

Wir schicken unsere Grüße aus dem eisigen Antarktika hinaus an den Rest der Welt und insbesondere an unsere Leser, unsere Familien und Lieblingsmenschen zu Hause…

Bis zum nächsten Mal

 

Leser:innenkommentare (8)

  1. Otto

    Servus Klaus,
    Mir wurde schon kalt, als du die einzelnen Kleidungsschichten aufgezählt hast.
    Der Driftschnee ist ja unheimlich.
    Ein kleiner Trost für dich, ;-), in Bayern haben wir Hitze und dann wieder Gewitter mit Wolkenbrüchen. Also Driftschnee in anderm Aggregatzustand.
    Ich schätze es sehr, und viele andere Mitleser wohl auch, dass du für uns so viel Zeit aufwendest.

    Die Fotos sind wieder spitze, aber das weißt du ja schon.
    Noch viele tolle Tage in Gesundheit. Genieße sie.
    Liebe Grüße auch an das ganzenTeam.

    Otto

    1. Klaus Guba

      Ssrvus Otto,
      das mit dem Driftschnee ist wirklich erstaunlich. Der Schnee kommt überall rein, auch in verschlossene Taschen.
      Viele Grüße nach Bayern,
      Klaus

  2. Reiner Gerke

    Genau diese Kälte können wir uns nicht vorstellen. Ich war mal bei -18° und leichtem Schneetreiben beim Skifahren. Der Bart vereist, das Beissen im Gesicht, das war kein Spaß. Völlig durchgeforen haben wir schon um 11 Uhr Mittagspause gemacht, danach wollte keiner mehr raus. Das ganze jetzt bei -40 oder -60° ist noch mal ein ganz anderer Schnack. Und wir sind danach ab nach Hause und Ihr müsst trotzdem raus, jeden Tag. Dazu die Beschallung durch Sturmgebrus rund um die Uhr. Ich glaube, das ist eine echte Belastungsprobe, oder kann das forsche Forscher nicht erschüttern. Vielleicht eine dicke Rippe Schokolade und heißen Tee zum Aufmuntern. Herzliche Grüße aus dem sommerlichen Bayern

    1. Klaus Guba

      Die Kälte fühlt sich einerseits wegen der sehr niedrigen Luftfeuchtigkeit nicht so extrem kalt an, andererseits kommt es an nicht bedeckten Hautpartien ab minus 40 Grad sehr schnell zu Erfrierungen. Aber auch die heilen in der Regel gut ab, genauso wie ein derber Sonnenbrand. Aktuell kann ich mir persönlich dafür keine 35 Grad plus mehr vorstellen … und Schlafprobleme aufgrund des schwülen Wetters gibt es hier auch nicht.
      Viele Grüße nach Bayern

  3. Jonas Karger

    Hallo Klaus,

    ich bin Jonas und 10 Jahre alt. Hier war es einmal – 16° kalt, bei euch ist es ja noch viel kälter. Wie heizt ihr denn eigentlich? Und wie wird der Strom bei euch produziert?

    Viele Grüße an die Kaiserpinguine, das sind nämlich meine Lieblingstiere. Wie weit ist denn die nächste Pinguinkolonie entfernt und wann fangen die Pinguine an zu brüten?

    Viele Grüße Jonas

    1. Klaus Guba

      Hallo Jonas,
      geheizt wird mit der Abwärme unserer Blockheizkraftwerke. Mit diesen wird der Strom erzeugt, die Abwärme wird zum Erhitzen des Wassers und zum Heizen verwendet. Zusätzlich haben wir eine Windkraftanlage für die Stromerzeugung, die in naher Zukunft auch erweitert werden soll. Zusätzlich laufen Versuche mit Solarpanelen …
      Die Grüße an die Kaiserpinguine richte ich aus, wenn ich sie das nächstemal besuche. Wir waren zuletzt vor 1 Woche bei ihnen zu Besuch. Eine grosse Kolonie mit ca. 3000 Pinguinen brütet jedes Jahr auf dem Meereis in der 5 km entfernten Atka-Bucht. Vor 1 Woche haben wir schon viele Küken gesehen, die unter der Bauchfalte des Elternteiles neugierig herausgeschaut haben. Die Eier werden meist im Mai gelegt und dann 62 bis 65 Tage bebrütet. Ende Juli schlüpfen dann die Küken … also mitten im antarktischen Winter.
      Viele Grüße und bleib neugierig,
      Klaus

  4. Jessica Kirsten Travels & Events

    Dankeschön für diese ausführliche Beschreibung der „Kleiderordnung“ im Detail mit Fotos, und den Erklärngen von für Euch normalen Tagesabläufen. Da will ich sofort mein Büro verlassen und wieder reisen. Liest sich super interessant – und super kalt. Viel Erfolg und Spass weiterhin. Ich kenne die Antarktis nur im Sommer von meinen Schiffsjobs. Grüsse aus Hamburg.

  5. Klaus Guba

    Danke für´s Lesen und die guten Wünsche.
    Viele Grüße nach Hamburg.

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